Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0330: Die V2-Geschichte


Man nehme eine Blechröhre, fülle sie mit Sprengstoff und befestige an der Spitze ein paar Astronauten. Fertig ist die Raumfahrt, oder? Warum hat das dann aber solange gedauert, bis wir das hingekriegt haben?

Download der Episode hier.
Opener: „Sportpalastrede [Goebbels 1943]“ von HansDieterTV
Closer: „William Shatner “Sings” ‘Rocket Man’ (1978) – BEST QUALITY!“ von The Museum of Classic Chicago Television
Musik: „Fred Bird Luigi Bernauer – Schöne Frau im Mond – Schellack 78Rpm“ von 12schalli

+Skript zur Sendung
Weltweit, so schätzt man, gibt es mehr als 2000 Atomraketen. Das ist immer noch genug Potential, um das Leben auf der Erde für Menschen unmöglich zu machen. Selbst Bastler der Hamas können mittlerweile Raketen basteln. Dabei ist das gar nicht so einfach, wie man glauben mag.

Das einfachste Modell einer Rakete ist eigentlich ein Luftballon. Wenn man den aufbläst, nicht zuknotet und dann loslässt, dann hat man einen Flugkörper mit Rückstoßantrieb. Eine Rakete, wenn man so will. Und auch ein gutes Modell vom Flugverhalten der ersten Prototypen.

Aber schon kurz nachdem man die ersten Feuerwerkskörper entwickelt hatte, folgte der militärische Nutzen. Es ist schwierig zu glauben, aber schon im 16ten Jahrhundert waren die grundsätzlichen Ideen für die Rakete, so wie wir sie heute kennen, entwickelt.

Conrad Haas beschreibt in seinem Kunstbuch „Wie du solt machen gar schöne Rakette, die da von im selber oben hinauff in die hoch faren.“ In diesem Buch, das er von 1529 bis 1551 verfasste, beschreibt er eine dreistufige Rakete mit deltaförmigen Ruder und glockenförmigen Düsen. Alles Merkmale, über die auch heute noch Raketen verfügen. Mehr noch: Er formuliert tatsächlich erste Gedanken zur Raumfahrt.

Aber die Probleme beim Raketenbau sind nicht geringe und erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde klar, dass es nur Raketen sein können, die es Menschen ermöglichen könnten, der Gravitation der Erde zu entkommen. Einer der Pioniere dieser Ideen war z.B. Hermann Oberth. In seinem Bestseller „Die Rakete zu den Planetenräumen“ aus dem Jahre 1929 formuliert er eine Reihe von Hypothesen:

1: Beim heutigen Stand der Wissenschaft und der Technik ist der Bau von Maschinen, die höher steigen können, als die Erdatmosphäre reicht, wahrscheinlich.

2: Bei weiterer Vervollkommnung können diese Maschinen derartige Geschwindigkeiten erreichen, dass sie nicht auf die Erdoberfläche zurückfallen müssen und sogar imstande sind, den Anziehungsbereich der Erde zu verlassen.

3: Derartige Maschinen können so gebaut werden, dass Menschen (wahrscheinlich ohne gesundheitlichen Nachteil) mit emporfahren können.

4: Unter gewissen wirtschaftlichen Bedingungen kann sich der Bau solcher Maschinen lohnen. Solche Bedingungen können in einigen Jahrzehnten eintreten.

Das war damals noch revolutionäres Gedankengut. Jules Verne hat seine Astronauten noch mit einer Kanone auf den Mond geschossen. Das durch den dabei entstehenden Andruck kein Mensch an Bord überleben würde, wurde der Wissenschaft auch erst im 20ten Jahrhundert klar.

Oberth war auch wissenschaftlicher Berater bei Fritz Langs Film „Die Frau im Mond“. Die Rakete in diesem Film schaut der V2 schon verdächtig ähnlich, aber besteht aus drei Stufen. Es entsteht hier ein realistischer Andruck von 4G und auch die Schwerelosigkeit ist richtig dargestellt.

Um den Film gab es 1929 viel Bohei, z.B. waren Albert Einstein und viele andere Prominente bei der Uraufführung. Manche nennen diesen Raketenfilm der ersten, ernst zu nehmenden Science Fiction.

Schon kurz danach begann Wernher von Braun an der konkreten Arbeit für eine Rakete. Wir können ganz sicher davon ausgehen, dass Oberths Bücher mit dessen Leidenschaft begründeten. Die Heeresleitung suchte verzweifelt nach Waffen, die der Versailler Vertrag nicht reglementierte, so dass von Braun ab 1932 über genug Mittel verfügte, um an diesen fliegenden Bomben zu arbeiten.

Aber es blieb richtig schwierig. Wie schafft man es, dass die Rakete einen stabile Flugbahn hat? Was ist das ideale Verhältnis von Gewicht der Rakete zum Gewicht des Treibstoffs? Wie kann man verhindern, dass der Ausstoß lediglich so groß ist,den nötigen Schub zu erzeugen – denn andernfalls explodiert die Rakete? Und: Wie steuert man eine Rakete, wenn sie einmal losgeflogen ist?

Die Schwierigkeiten waren zahllos. Die ersten drei Prototypen waren völlig nutzlos und erst die „Aggregat 4“ getaufte Rakete versprach erste Erfolge. Trotzdem liest sich die Startliste der Versuchsstarts in Peenemünde sehr traurig.

„Explosion bei Zündung“, „zu steil, rollte im Flug“, „Aufstieg zu flach“, „Feuer im Heck“, „vertikaler Aufstieg, Heckexplosion“, „zu steil, Rotation im Flug“ oder „Abschaltung versagt“ kann man da lesen. Nach zehn Jahren schafft es die erste Aggregat-Rakete auf eine Höhe von über 80 km, fast in den Weltraum. Zwei Jahre später, 1944, fliegt eine weitere auf über 170 km Höhe.

Das erste Objekt von Menschenhand im Weltraum! Allerdings hatten die Nazis da natürlich diese Raketen als Wunderwaffe entdeckt. Der Krieg war im Prinzip schon verloren und man erhoffte sich von den Raketen eine Wende. Darum wurde die Aggregat umgetauft auf „Vergeltungswaffe 2“ oder kurz „V2“.

Die V2 war 14 Meter hoch und wog 13,5 Tonnen. Oben war ein Sprengkopf, der beim Aufschlagen detonierte. Darunter die Steuereinheit, in der die Gyroskope – die Steuerkreisel – ständig die Position ermittelten und die Stellung der Ruder anpassten. Darunter ein Tank für Alkohol und darunter einer für flüssigen Sauerstoff – die Brennstoffe der V2.

Im Heck waren Schubgerüst, Druckflaschen mit Stickstoff, Dampferzeuger, Turbopumpe, die Brennkammer („Ofen“), Schubdüse, Strahlruder und Luftruder verbaut.

Das Zielen war ein weiteres Problem. Man berechnete mit Schublehren die Ballistik und schoss die Rakete dann los. Anvisiert wurde hauptsächlich London, aber die Zielgenauigkeit war erbärmlich.

Die meisten Raketen richteten deswegen auch gar keinen Schaden an. Beeindruckend war das aber für die Alliierten durch aus. Die V2 erreichte Mach 4, also vierfache Schallgeschwindigkeit und schaffte die ca. 300 km Distanz in fünf Minuten. Deswegen gab es keinerlei Abwehrmöglichkeiten und verlässliche Mittel zur Früherkennung sowieso nicht.

Wegen dieser überlegenen Technologie begann bald ein Wettlauf. Wer würde sich das Entwicklerteam schnappen können? Wernher von Braun und sein Team stellten sich am 2. Mai 1945 selber den Amerikanern und begannen noch im Krieg selber mit der Weiterentwicklung der Rakete für die Amerikaner.

Es war der kalte Krieg, der den Raketen doch noch die „Planetenräume“ erschloss – ein bisschen. Von Braun war der maßgebliche Ingenieur der Saturnraketen, sozusagen Enkelkinder der V2. Und mit der flogen Menschen dann wirklich zum Mond. Eine Frau, wie beim Film von Fritz Lang, war aber nicht mit an Bord.

Es waren also deutsche Wissenschaftler, die das erste Objekt von Menschenhand ins All geschossen haben. Aber das ist kein Grund für falschen Nationalstolz. Denn es war eine Waffe, die da die Erdatmosphäre verließ. Eine Vergeltungswaffe, deren Einsatz mindestens 8000 Menschen das Leben kostete. Und für dessen Produktion mindestens 20.000 Zwangsarbeiter ihr Leben lassen mussten.

Ein blutiger Triumph für die Wissenschaft.

 


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 November 23, 2015  12m