Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0327: Rukeli Trollmann


Ich habe mich erst für das Boxen interessiert, als ich selber sparrte. Das war ja weder brutal noch dumm, sondern machte Spaß! Und nach einem Sparring ist man sich nicht spinnefeind, sondern sich sogar näher – erstaunlich. Und ein besonders begabter Boxer war Johann Wilhelm Trollmann, dessen Karriere von den Nazibonzen im Boxverband beendet wurde. Weil er kein Arier war. Über einen Helden.

Download der Episode hier.
Opener: „GIBSY | Trailer german deutsch [HD]“ von vipmagazin
Closer: „Robin Williams – And Then There’s Boxing“ von Rickey Smiley Morning Show
Musik: „Ali Baba“ von den Comedian Harmonists / Public Domain Mark 1.0

+Skript zur Sendung
Zur Begrüßung erst einmal etwas in eigener Sache: Ich bin wieder da! Tut mir leid, dass zwei Sendungen ausgefallen sind, ich hoffe, ihr habt mir alle die Treue gehalten! War ein großer technischer Fuckup und die Sendungen haben mir echt gefehlt! Vielen Dank für die vielfach angebotene Hilfe: Ich habe die besten Hörer der Welt!

Jetzt aber zurück ins Hauptstadtstudio: Heute gibt es eine Geschichte aus der Weimarer Republik. Eine Zeit, mit der ich mich viel beschäftigt habe. Ich hatte ‘mal ein Expose für eine graphic novel an einen namhaften deutschen Comicverlag verkauft. Die Geschichte spielte 1928. Aber ich hab’ dann kalte Füße bekommen und mir die Umsetzung nicht zugetraut. Eine der verpassten Chancen in meinem Leben…

Auf jeden Fall war das aber eine aufregende Zeit. Jazzmusik, Comedian Harmonists, Bubiköpfe, Charleston, Nachtclubs, Autos und eben auch das Boxen. Nie wieder war Boxen in Deutschland populärer als in den Zwanzigern und Dreißigern. Es war ein relativ preisgünstiges Vergnügen und eine willkommene Ablenkung von den Wirren der Politik und der frustrierenden Wirtschaft.

Damals gab es richtige Stars. Man denke z.B. nur an Max Schmeling. Einer der beliebtesten Boxer war aber Rukeli. Der eigentlich Johann Wilhelm Trollmann hieß und aus Hannover kam. Er bot den Boxfans intelligentes Faustfechten und nicht dumpfe Prügelei, denn er hatte einen Stil entwickelt, der dem von Muhammed Ali – dreißig Jahre später – nicht unähnlich war.
Ihr wisst schon: Float like a bee, sting like a butterfly. Oder umgekehrt.

Und weil er auch richtig gut aussah, hatte er einen Haufen weibliche Fans. „Die Damen schwärmen für ihn“, schrieb der Hannoversche Anzeiger, heute würde man wohl sagen, Rukeli war ein Sexsymbol. Er hatte eine steile Karriere bei den Amateuren hinter sich und sich aus ärmsten Verhältnissen buchstäblich hochgeboxt. 1929 wurde er schließlich Profi.

Seinen ersten Profikampf beendete er mit einem K.O. in der vierten Runde. Er wich den Schlägen mit Pendelbewegungen aus, tanzte im Ring herum. Mied lange Schlagwechsel und wartete geduldig auf die Ermüdung des Gegner, auf erste Fehler in der Deckung. Und das alles so mühelos, dass er sich nebenbei noch mit den Verehrerinnen im Publikum unterhalten konnte.

Selber ein Halbschwergewichtler besiegte er so durchaus auch Gegner aus dem Schwergewicht. Aber er war den Nazibonzen im Boxverband ein Dorn im Auge. „Zigeunerhafte Unberechenbarkeit“ schimpften sie seinen Stil und „Flitzen“ – ein teutscher Boxer hatte im Ring zu stehen wie eine teutsche Eiche und einzustecken. Und auszuteilen. Wie eben Max Schmeling, der sogar den „Braunen Bomber“ – Joe Louis – besiegt hatte.

1933 wurde dann alles anders für den Sinti namens Rukeli . Am 6. Juni ging es um die Wurst. Um den Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht. Er trat gegen den Kieler Adolf Witt an. Bärenstark, aber eben unbeweglich. Sieben Runden sammelte Rukeli Punkt um Punkt bei den Ringrichtern. Sehr zum Missfallen von VDF-Boss Radamm, der dem Ringrichter etwas ins Ohr flüsterte und mit dem Siegeskranz verschwand.

Nach 12 Runden wurde der Kampf „Ohne Wertung“ abgebrochen, die Boxer hätten beide eine „ungenügende Leistung“ gezeigt. Das ließ sich das Publikum aber nicht gefallen und es brach ein richtiger Tumult aus. Auch die Ringrichter protestierten. Unter diesem Druck warf der Nazi Radamm dann halt doch schnell den Kranz über Rukelis Schultern. Dem die Tränen kamen, es endlich geschafft zu haben.

Das diente den Bonzen im VDF aber pormpt als Ausrede, ihm den Titel stante pede – nach einer Woche – wieder abzuerkennen. Sein Verhalten sei „armselig“. Der Berliner Lokalanzeiger schrieb, um das Urteil zu begründen: „ Ein deutscher Boxer darf nicht weinen, erst recht nicht ein Meister in aller Öffentlichkeit heulen”.

Die Nazis im Boxverband schmiedeten also einen Racheplan, um den Zigeuner endgültig zu entzaubern und die Überlegenheit der arischen Rasse zu demonstrieren. Am 21. Juli sollte Rukeli gegen den Dortmunder Gustav Eder antreten. Aber unter bestimmten Auflagen. Er durfte nicht flitzen, nicht tanzen, er müsse „mit offenem Visier” und „Fuß bei Fuß” kämpfen, sonst verliere er seine Lizenz.

Am Tag des Kampfes stieg Rukeli dann stolz in den Ring. Mit Wasserstoff hatte er sich blond gefärbt und mit Talkum seine Haut weiß gefärbt. Eine Karikatur des arischen Herrenmenschen. Die SA im Publikum brüllte: „Leg Dich, Zigeuner, oder wir holen Dich.“

Ohne jegliche Deckung ließ er sich also verprügeln, aber sein Gegner brauchte trotzdem fünf Runden bis zum K.O.

Das sollte sein letzter Kampf gewesen sein, die Boxlizenz wurde ihm trotzdem entzogen. Die Zeitschrift “Boxsport” – sichtlich auch brav gleichgeschaltet – veröffentlichte folgendes Gedicht: “War einstmal ein Zigeuner / Jetzt ist er nämlich – koiner / Denn Wasserstoff und Sonnenbrand / In beiden er zu lange stand / Wie haben sie ihn bloß verhunzt / ”Verblichen” ist selbst seine Kunst.”

Und so verschwand Rukeli Trollmann aus der kollektiven Erinnerung der Deutschen. Bis der hannoversche Künstler und Verleger Hans Firzlaff in Jahrzehnten seinen Lebensweg weiter recherchiert hat und 1997 ein Buch über ihn schrieb.

Trollmann schlug sich nach dem Verlust seiner Lizenz als Kellner durch und als Boxer auf der Kirmes und auf Jahrmärkten. Wie jeder Sinti und Roma musste er sich 1938 sterilisieren lassen. Er ließ sich von seiner Frau scheiden, um sie und sein Kind nicht zu gefährden. Er wurde eingezogen, an der Ostfront angeschossen, kehrte 1942 zurück. Im selben Jahr wurde er von der Gestapo verhaftet. Er kam ins KZ Neuengamme.

Als die SS-Leute herausfanden, wer er war, begannen sie aus lauter Spaß, ihn regelmäßig zu verprügeln. Jeden Abend. „Trainingskämpfe“ nannten sie das.

Seine Mithäftlinge schmiedeten einen Plan. Sie wechselten Trollmann mit einem verstorbenen Häftling aus. Johann Wilhelm Trollmann war also offiziell tot. Unter seiner neuen Identität kam er 1944 ins Nebenlager Wittenberge.

Aber schon bald wurde er erkannt. Zu groß war seine Popularität gewesen. Es wird ein Kampf arrangiert zwischen Rukeli und dem m Kapo Emil Cornelius. Noch einmal flammt der Stolz des ehemaligen deutschen Meisters auf und er schlägt Cornelius k.o. Der, als er dann aufsteht, die Pistole zieht und ihn erschießt. Arische Herrenrasse halt.

Auch nach dem Krieg blieb Trollmann unbekannt, die gleichen Nazibonzen blieben am Ruder im Boxverband. Durch das Buch „Knockout“ des vorhin erwähnten Hans Firzlaff änderte sich das ein bisschen. Es ist der Boxpromoterin Eva Rolle zu verdanken, dass sich das noch mehr änderte. Es sollte dann aber bis zum das Jahr 2003 dauern, bis Rukelis Meistertitel von 1933 offiziell bestätigt wurde und wieder in den Meisterlisten geführt wird.

Rukeli Trollmann, einer der interessantesten deutschen Boxer. Ein Opfer der Rassenwahns. Wie wahrscheinlich 300.000 weitere Sinti und Roma, die im Porajmos starben. So das Romanes-Wort für diesen Genozid.

Mittlerweile gibt es vier Bücher zu ihm, drei Theaterstücke, zwei Filme und – am wichtigsten – ein Boxcamp in Kreuzberg, das seinen Namen trägt.

Wir haben aufgehört Rukeli zu vergessen.
Blond gefärbt und weiß gefärbt.
Ein stolzer Boxer, auf den wir in Deutschland auch stolz sein können.


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 November 18, 2015  14m