Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0324: Mussolini & Cole Porter


Wenn man sich heute Videos anschaut, wie unser Ex-Führer Adolf Hitler so rumfuchtelt bei seinen Reden, dann muss man sich wundern. Aber das hatte er sich beim Original-Führer abgeschaut. Beim ‘Duce’. Bei Benito Mussolini. Der auch im Westen eine Zeit lang sehr populär war. Sogar Cole Porter hat ihn in einem Song verewigt. Aber stimmt das auch?

Download der Episode hier.
Opener: „MUSSOLINI SPEECH IN GERMAN“ von rno5100
Closer: „Cole Porter – You’re The Top“ von Alison Barone
Der Artikel „Mussolini and Cole Porter“ auf Beachcomb.
Bildbeitrag:„Bundesarchiv Bild 102-09844, Mussolini in Mailand“ von Bundesarchiv, Bild 102-09844 / CC-BY-SA 3.0. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons.
Musik: „La storia si repete“ von GenteStranaPosse / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
Habt ihr ein Wort verstanden vom Opener? Zugegeben, war nicht einfach, aber wenn man weiß, dass das ein Italiener ist, dann ist das doch ganz gut. Und natürlich ist das nicht irgendein Italiener, sondern das Original. Also, das Führer-Original.

Denn lange, lange vor unserem Führer gab es den Duce. Was genau das Gleiche bedeutet. Der Faschismus ist eine italienische Erfindung und unsere Nationalsozialisten nur dumme Nachahmer.
Selbst der von den Nazis heilig gesprochene 2Marsch auf die Feldherrenhalle“ ist nachgeäfft. Im Oktober 1922 gab es nämlich den „Marsch nach Rom“.

Aber im Gegensatz zu dem jämmerlichen Ende der nationalsozialistischen Kopie 1923 endete der simulierte Aufstand der Faschisten mit einem Regierungswechsel. Seit Oktober 1922 war Benito Mussolini also der Führer. Italiens. Und das imponierte nicht nur dem kleinen Adolf Hitler aus München. Nein, weltweit hatte Mussolini höchst überraschende Fans gewonnen.

Unter anderem anscheinend Cole Porter! Schreibt Dr. Beachcombing auf strangehistory.net. Ein Blog, das für alle, die sich für Geschichte interessieren ein Kaleidoskop an interessanten Fakten ist. Denn in einem Cole-Porter-Song kommen folgende Zeilen vor:
„You’re the top!
You’re a Coolidge dollar.
You’re the nimble tread
Of the feet of Fred Astaire,
You’re Mussolini,
You’re Mrs. Sweeney.“

Du bist spitze, heißt das. Wie ein Coolidge-Dollar. Das war die letzte Münze mit stabilem Wert, bevor die Börse in den USA crashte. Wie ein flinker Tanzschritt von Fred Astaire. Und eben so spitze wie Mussolini. (Die Referenz auf Mrs. Sweeney verstehe ich nicht, darum kann ich sie nicht besserwisserisch erklären.)

So was. Cole Porter fand Mussolini also cool! Cole Porter ist übrigens einer der großen Drei. George Gershwin, Irving Berlin und eben Cole Porter. Sicherlich unverdächtig, heimlich Pegida-Gedankengut zu befördern. Stattdessen bekannt für seine Musicals, „Kiss Me Kate“ z.B. oder für seine Filmmusik „High Society“ z.B.

Auf Beachcomb stellte sich dann auch heraus, dass diese Liedzeile eine Veränderung von P.G. Wodehouse war und nur in der Londoner Aufführung von „Anything Goes“ stattfand. Schön, dass auf diesem Blog so viele Fachleute mitlesen.

Aber die Geschichte von Mussolini und Cole Porter macht auf ein anderes Phänomen aufmerksam. Denn Benito Mussolini kam im Vergleich zu Adolf Hitler international richtig gut an. Er hatte richtig Fans. Eben auch überraschende.

Da wäre zum einen Winston Churchill zu nennen. Der Mussolini bei einem Besuch Mitte der Zwanziger gestand. „Wäre ich Italiener, ich wäre von Anfang an auf Ihrer Seite gewesen.“
Na gut, Churchill hat viel geredet und darum auch viel Blödsinn.

Wie wäre es aber mit George Bernard Shaw? Den man ganz gut mit „britischer Sozialist“ beschreiben kann. Und der immer noch die einzige Person auf der Welt ist, die einen Nobelpreis und einen Oscar gewonnen hat.

Der schrieb: „Sozialisten sollten erfreut sein, endlich über einen Sozialisten zu verfügen, der denkt wie ein verantwortlicher, politischer Führer.“ Und meint damit Mussolini.

Immer noch nicht verblüfft? Ja, stimmt schon. Auch George Bernard Shaw hat echt viel zum Besten gegeben. Und das waren auch nicht alles Treffer.

Wie wäre es mit Mahatma Ghandi? Aha, jetzt doch ein bisschen überrascht? Ja, Ghandi war ein Mussolini-Fan. Mussolini sei, so meint der Asket, einer der größten Staatsmänner unserer Zeit. Gemeint sind die Zwanziger. Und „Mir gefallen die meisten seiner Reformen. Er hat so viel für die Bauern getan. Zugegeben, mit eiserner Faust. Aber nachdem die europäische Geschichte eine Geschichte der Gewalt ist, muss man ihn ernst nehmen.“

Warum aber waren diese Menschen, alle nicht gerade doof, Fans von Mussolini?

Ein Grund war sicher der erste Weltkrieg. Der hatte die europäische Ordnung nachhaltig verändert. Die Machtverhältnisse durcheinander geworfen. Den Adel europaweit endlich komplett entmachtet. Und schließlich den Durchbruch für den Sozialismus, oder sagen wir Leninismus in Russland bedeutet.

Und es herrschte in den meisten Ländern eine hohe innere Unsicherheit. Eine lang anhaltende Rezession, Not, Hunger, Arbeitslosigkeit und dauernde Regierungswechsel machten die Menschen anfällig für die extremen Ideologien. Für einfache Ideen. Für starke Anführer.

Sozialismus, Faschismus, das waren für die Beobachter damals erst einmal nicht anderes als politische Philosophien. Und Mussolini beendete das politische Gerangel in Italien durchaus. Und weder der Sozialismus noch der Faschismus hatten ihr eigentlich hässliches Gesicht gezeigt.

Die Gulags, die Kulturrevolutionen, die Kriege und die Shoah hatten noch nicht stattgefunden. Oder waren unbekannt. Das begann sich erst langsam zu ändern.

Als Mussolini, der ein neues römisches Imperium aufbauen wollte, sich mit kriegerischen Mitteln eine Scheibe von Äthiopien abschnitt, war sein Charme verflogen. Die drei Fans von oben schworen ihm Mitte der Dreißiger ab.

Im Vergleich zu den großen drei Mördern Hitler, Stalin und Mao wirkt er auch heute noch relativ harmlos, der Mussolini. Und der Satz „Das wäre unter Dingsbums nicht passiert“ ist in der italienischen Version deshalb auch häufiger zu hören als in der deutschen.

Es wäre also eigentlich schon sehr wichtig, den Extremisten ganz früh Einhalt zu gebieten und ganz deutlich gegen AfD und Pegida zu arbeiten. Denn die nächste Wirtschaftskrise kommt bestimmt, das ist dem kapitalistischen System nämlich eingebaut.

Und dann werden wieder viele Menschen einfache Antworten suchen.
Die halt in Staaten und zwischen Staaten nie die richtigen Antworten sind.
Und da fällt mir auch nichts Lustiges dazu ein…


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 November 11, 2015  12m