Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0322: Der betrunkene Komet


Regelmäßig bedrohen Kometen die Erde. Na ja, eigentlich bedrohen eher hysterische Falschmeldungen die Erde – denn der bedrohlichste Einschlag liegt 65 Millionen Jahre zurück. Sagen auf jeden Fall die Dinosaurier. Warum es aber trotzdem wichtig, die Kometen zu erforschen, belegt plausibel der Komet Lovejoy. Der betrunkenste aller Himmelskörper.

Download der Episode hier.
Opener: „Steven Universe – Like a Comet (Song) [HD]“ von The World of Steven Universe
Closer: „Barts Comet Simpsons“ von MillionAcers
Das Paper: Ethyl alcohol and sugar in comet C/2014 Q2 (Lovejoy)
Musik: „Skibidubap“ von Potta la Motta / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung

Wieviele berühmte Astronomen aus unseren Tagen kennt ihr so? Ich wette, mehr als ihr denkt. Oder sagen euch Shoemaker, Levy, Hale, Bopp, Tschurjumov oder Gerassimenko nichts? Das sind alles Astronomen. Und die Kometen, die sie entdeckt haben, führen ihren Namen quasi als Spitznamen mit.

Denn eigentlich heißen Kometen z.B. C/2014-Q2
Das ist ein internationales Kürzel, eine Art Code. „C“ bedeutet da z.B. dass die Umlaufbahn des Kometen um die Sonn größer ist als 200 Jahre. Wäre sie kleiner, würde da ein P stehen. 2014 ist das Jahr der Entdeckung, das ist einfach. Und „Q“ ist der Buchstabe des Halbmonats. Astronomen haben das Jahr in Halbmonate geteilt. „A“ geht vom ersten bis zum 15. Januar, dann kommt „B“ und wo weiter. Und das „2“ am Ende bedeutet, dass dieser Komet schon der zweite im Halbmonat Q war.

Weil sich das aber keiner merken kann, tragen Kometen in der Regel noch den Namen ihres Entdeckers. In diesem Fall den Namen von Terry Lovejoy. Der Komet heißt also Lovejoy. Und das passt in diesem Fall ganz, ganz prima. Denn C/2014-Q2 ist ein ganz besonderer Komet.

Er war überall auf dem Planeten mit bloßem Auge sehbar, am besten so Ende Januar, Anfang Februar. Denn er war der hellste Komet am Nachthimmel seit Hale-Bopp. Und der hat uns 1997 besucht.

Kometen sind hauptsächlich Klumpen aus Dreckeis. Überbleibsel aus der Zeit, als unser Sonnensystem entstand. Sie bilden sich in den kalten Regionen, fern der Laufbahn des Jupiters. Nähert sich ihre Laufbahn der Sonne, dann bildet sich um sie eine nebelige Hülle, Koma genannt. Und wenn die Laufbahn nah genug an der Sonne vorbeigeht, dann bildet sich ein Schweif.

Das teutsche Wort für Komet ist ja nicht umsonst „Schweifstern“. Nah’ genug heisst in diesem Fall 2 Astronomische Einheiten. Ein galaktischer Katzensprung also. Knappe 300 Millionen Kilometer. Und auch so ein Schweif ist nicht gerade winzig, bei den meisten Kometen bis zu 10 Millionen Kilometer lang, manchmal aber sogar 200 oder 300 Millionen Kilometer.

Und Lovejoy verhielt sich genauso. Brav, wie alle anderen Kometen stoß er fleißig Wasser aus. Und zwar so an die 20 Tonnen in der Sekunde. Aber das war nicht alles. Ein internationales Forscherteam – Paper wieder als Link auf der Homepage – beobachtete Lovejoy mit einem 30-Meter-Teleskop aus nämlich noch genauer. Von Pila Veleta in der Sierra Nevada aus.

Sie scannten den Schweif nach Mikrowellen. Wenn die Sonne die Moleküle des Schweif energetisiert, dann leuchten diese in ihren spezifischn Mikrowellen-Frequenzen. Könnte unsere Netzhaut Mikrowellen sehen, dann hätte jedes Molekül im Schweif eine andere Farbe.

So kann man bestimmen, was da noch so von dem Kometen ausgestoßen wird. Und das Team vom „Institut de Radioastronomie Millimetrique“ fand da 21 verschiedene COMs. Das ist die Abkürzung für „Komplexe Organische Moleküle“. Also solche mit mehr als sechs Atomen.

Und so entdeckte man, dass Lovejoy z.B. Zucker ausstößt. Glykolaldehyd oder CH2OHCHO. Das wurde schon ein paar Mal in Kometen nachgewiesen, zum ersten Mal bereits 2008. Aber Lovejoy stößt auch C2H5OH aus. Prost! Das ist Ethanol. Alkohol. Und zwar nicht wenig. Es sind so an die 500 Flaschen Wein in der Sekunde. Also umgerechnet.

Hochgerechnet würde der Komet Lovejoy alleine mit seinem Ausstoß den Weinbedarf des Kontinents Australien abdecken. Die trinken nämlich 5,4 Mio. HL Wein im Jahr. Lovejoy produziert eine Alkoholmenge, die 6,3 Mio. HL Wein entspricht.

Der erste Komet, von dem nachgewiesen ist, dass er Alkohol ausstößt. Schön, gell? Und das ist auch wichtig. Und interessant. Weil wir eben in Wirklichkeit so vieles nicht wissen über das All und über das Leben.

Wir haben zum Beispiel keine Ahnung, wo das ganze Wasser auf unserem Planeten herkommt. Seine Beschaffenheit signalisiert, dass das meiste Wasser nicht hier auf der Erde gebildet wurde. Haben Kometen ihr Wasser importiert?

Das ist das eine Rätsel. Das andere ist aber: Wie entsteht eigentlich Leben? Wie bilden sich Aminosäuren? Oder hochkomplexe Eiweiße. Die gängige Vorstellung ist die, dass es so etwas wie eine Ursuppe gegeben hat. Ein heißes Gemenge aller Elemente, wo sich solche Moleküle spontan bilden. Das hat aber in keinem Experiment bisher so richtig geklappt. Wir konnten die Entstehung von Aminosäuren nicht simulieren.

Und Glykolaldehyd ist zwar keine Aminosäure, aber so eine Art Cousin einer Aminosäure. Und Alkohol ist auch ein hochkomplexes Molekül.

Da fliegen also Dreck-Eis-Brocken durch das All, im Fall von Lovejoy, Feuerzangenbowlen-Dreckeis-Brocken, und führen komplexe organische Moleküle mit sich.

Lovejoy stärkt durch seine Existenz die Theorie, dass quasi die ersten Samenkörner zur Entstehung von Leben auf dieser Erde von Kometen importiert sein könnten.

Und wenn also da im All solche Himmelskörper unterwegs sind, dann erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir nicht der einzige Planet im Universum sind, wo sich Leben ausgebildet hat. Die Baukästen mit den Legosteinen des Lebens fliegen überall frei ‘rum.

Wenn man es sich so vorstellt, dann sind wir alle Kometenkinder.
Na dann: Prost, Lovejoy!


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 November 9, 2015  10m