Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0319: Der Elefant des Papstes


Die beeindruckendsten Szenen im „Herrn der Ringe“ waren doch diejenigen, als diese Riesenelefanten – die Mumakil – in die Schlacht eingriffen. Dieses Gefühl hatten wahrscheinlich die Einwohner Roms, als sie auf Hanno trafen. Der Elefant, der seit 500 Jahren im Vatikan begraben ist.

Download der Episode hier.
Opener: „The Elephant Song – Cool Tunes for Kids by Eric Herman“ von EricHermanMusic
Closer: „The Jungle Book – Colonel Hathi’s March HD“ von Nicole Rey
Musik: „Stone Cold – Demi Lovato” von Ana Carvalho / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Wenn Rom irgendwann eklig ist, dann im Februar. Das wissen besonders Bauarbeiter. Auch diejenigen, die im Jahre 1962 eine Baugrube direkt bei den Vatikanischen Museen aushoben. Doch ein Arbeitstag wurde weniger nervig als die anderen. Denn da stießen die Bauarbeiter auf einmal auf riesige Knochen. Ein Unterkiefer, mehr als doppelt so groß wie das eines Pferdes!

„Ein Dinosaurier“, so dachte man zuerst. Aber die Verwaltung der Vatikanischen Museen ließ das prüfen, schließlich waren die Knochen nicht versteinert. Und siehe da! Mitten im Vatikan lag und liegt immer noch ein Elefant begraben. Tolle Geschichte, mag man denken. Aber zwanzig Jahre war die eigentlich allen wurst. Bis sich Silvio Bedini damit befasste, der mit der „Elefant des Papstes“ 1999 die Geschichte des Elefanten erzählt, der im ‘Cortile de Belvedere’ lebte und da immer noch begraben liegt.

Heute also Lach- und Sachgeschichten über Imperialismus und Reformation. Mit dem kleinen Elefanten, der nicht blau ist.

Die Geschichte beginnt 1512. Damals war der Papst sozusagen der König der Könige und der Vatikan brauchte deswegen echt viel Geld. Darum zogen Ablass-Eintreiber durch Europa, besonders erfolgreich in Deutschland. Und darum war der Papst-Titel käuflich. Und eben darum wurde Giovanni di Lorenzo – nee, nicht der von der Zeit, sondern der von den Medici – Papst.
Leo, der Zehnte eben.

Um sich die Gunst des jeweiligen Papstes zu erschleichen, überschlugen sich die Herrscher Europas mit wertvollen Geschenken. Das war eine wichtige politische Investition. Bestechung ist vielleicht auch ein Begriff, der hier Anwendung finden könnte.

Besonders wichtig war der Schutz des Papstes für Manuel I, König von Portugal. Denn die Portugiesen hatten einen Weg nach Indien gefunden. Nicht über Amerika, wie Columbus, sondern rund um Afrika. Und dieser Weg war trotzdem schneller und billiger als der Landweg.

Der Handel mit Stoffen, Farben und vor allem Gewürzen – allen voran Pfeffer – lag bislang in ägyptischen Händen. Ein Monopol. Immer eine lohnende Sache. Denn als Monopolist kann man die Preise bestimmen. Und, um ihren Standpunkt klarzumachen, hatten die Ägypter die Jerusalem-Karte. Denn Jerusalem fiel in ihr Herrschaftsgebiet. Und es wäre ja wirklich eine Schande, wenn ausgerechnet die Grabeskirche der neuesten Hyperraum-Umgehungsstraße geopfert werden müsste, oder? Hüstel…

Darum musste sich Manuel I etwas extrem Cooles ausdenken, um Papst Leo X. Davon zu überzeugen, auf die portugiesische Karte zu setzen. Und deswegen ließ er ein Tier importieren, dass man in Europa seit den Tagen des römischen Reichs nie mehr gesehen hatte. Einen Elefanten aus Indien. Hanno eben. Kein großer Elefant, ein kleiner. Der sich dann von Lissabon auf den Weg nach Rom machen musste. Und für viel Zerstörung sorgte.

Denn überall, wo er lang marschierte, folgten ihm Hunderte von Leuten. Und trampelten Felder zu Matsch und rissen Ställe ab, nur um dieses seltsame Tier, dieses Weltwunder zu sehen. Hanno kam mit einem Riesengefolgschaft in Rom an.

Und auch sein Auftritt beim Papst war ein voller Erfolg. Mit einer prächtigen purpurfarbenen Satteldecke und einem kleinen Verteidigungs-Turm aus Silber auf dem Rücken näherte er sich dem Papst. Und fiel vor ihm auf die Knie. Um sich dann wieder aufzurappeln und drei Trompetenstösse aus seinem Rüssel zum Besten zu geben. Dann gab’s für alle Anwesenden eine großzügige Dusche aus dem gleichen Organ – auch für den Papst.

Ein gigantischer Erfolg! Der Papst war sofort verliebt in diesen Elefanten. Uns liegt immer noch ein begeistertes Dankesschreiben an Manuel vor. Er ließ extra ein eigenes Gebäude für seinen Elefanten errichten, ziemlich genau an der Stelle, wo Hannos Gebeine heute noch liegen. Die Bewohner Roms durften Hanno kostenlos besuchen. Und ab und zu durften ausgewählte Gäste auf ihm ausreiten.

Klingt etwas hysterisch, aber wenn die erste Mars-Mission einen grünen, marsianischen Buddlermausling mitbringen würde und die könnte man hier um’s Eck besuchen, ich würde mir das Ticket auch etwas kosten lassen…

Also durften die Portugiesen den Handel mit Indien weiterführen. So ein bisserl. Irgendwie musste ja mit diesem Handel auch Geld für Rom verdienen zu sein, oder? Und die Ägypter rissen die Grabeskirche in Jerusalem nicht ab. Waren ja keine Barbaren, sondern Muslime.

Um seine Karten dauerhaft zu verbesseren, schickte Manuel noch einmal ein Weltwunder hinterher. Nämlich ein Nashorn. Aber das überlebte leider nicht den Untergang seines Transportschiffs und verstarb auf der Route Lissabon – Rom. Klar, Manuel ließ es ausstopfen und schickte es trotzdem nach Rom. Aber Leo stellte das dann lieber privat in Florenz im Familiensitz aus. Hanno war schließlich lebendig.

Aber, wenn man so ein Inder ist wie Hanno, dann ist selbst das Klima in Rom relativ unfreundlich. Kaum zwei Jahre in seinem Gefängnis in Rom angekommen, entwickelte Hanno wohl eine Erköltung. Auf jeden Fall hatte er Probleme beim Atmen. Die Mediziner des Papstes diskutierten heftig. Die Diagnose lautete: Der arme Elefant hat Verstopfung. Und man konstruierte einen Elefanten-Abführ-Drink. Mit viel Gold. Gold war damals gerade die Wundermedizin, die gegen alles half. So wie heute „Du musst ganz viel Wasser trinken.“

Das tötete Hanno natürlich umgehend. Papst Leo X. War untröstlich. Er verfasste persönlich ein Loblied auf seinen Elefanten und vertonte das auch persönlich. Ach, die Renaissance. Auf den ersten Hit von Franziskus dürfen wir wahrscheinlich noch lange warten.

Und er beauftragte Raffael himself mit der Erstellung eines Wandbilds zum Gedenken an Hanno. Die Skizze dazu ist das heutige Beitragsbild.

Das bot natürlich Satirikern und Romkritikern breiten Spielraum zum Austoben. So z.B. dieser aufsässige Mönch aus Wittenberg, dieser Martin Luther, der sich über den Papst und den Elefanten lustig machte. Etwas intelligenter war noch die Satire von Pietro Aretino, der einen satirischen letzten Willen für Hanno verfasste. Wo der indische Elefant bestimmte, welche Teile seines Leichnams bei welchem Herrscher Europas als Reliquien angebetet werden sollten.

Ruhe weiterhin in Frieden, Hanno. Du, der arme Elefant, der auf seine eigene, kleine Art mitbestimmte, wie aus dem Mittelalter die Moderne wurde. Ohne Dich wäre unsere Welt eine andere geworden.


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 November 4, 2015  13m