Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0314: Der schwarze Senator


Was wir außergewöhnlichen Menschen, die brutal unterdrückt werden, oft nicht zugestehen, ist die Vorstellung, dass sie einfach außergewöhnlich schlau sind. So wie es Robert Smalls war, der aus der Sklaverei floh und im Parlament landete.

Download der Episode hier.
Opener: „Robert Smalls“ von SouthCarolinaETV
Closer: „George Carlin explains why you should say nigger“ von KuKlutsKat’s channel
Background: Ma rainey: Slave To the Blues, New Boll Weevil Blues, und Stack O’ Lee Blues / Public Domain Mark 1.0
Musik: „Fortunately Jesus is not a Nigger“ von David TMX / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Die South-Carolina Hall of Fame hat 95 Jahre nach seinem Tod Robert Smalls aufgenommen. Das war das aus dem Opener. Und das zu Recht. Wenn heute jemand ein Drehbuch schreiben würde mit dem Inhalt von Roberts Leben, würde das wahrscheinlich als unrealistisch abgelehnt.

Eigentlich wollte ich ja diese Folge „Ein Nigger im Kongress“ nennen, aber hab’ ich mich dann doch nicht getraut. Obwohl das historisch der richtige Begriff wäre. Denn Robert Smalls machte seine außergewöhnliche Karriere, obwohl er Afro-Amerikaner war. Und das, obwohl die Geschichte 1839 beginnt.

Wisst ihr was, heute machen wir’s uns wieder gemütlich. So mit Zeitreise-Jingle, Hintergrundmusik und einer chronologisch erzählten Geschichte, hmm? Holt euch eine Tasse Schokolade, hier kommt der Jingle!

Beaufort, SC. Am 5. April 1839 kommt Robert Smalls zur Welt. In einer kleinen Hütte hinter dem prächtigen Haus der McKnees. Die hatten seine Mutter als Mädchen auf ihrer Plantage von der Familie getrennt und seitdem musste sie die Hausarbeit schmeißen.

Das machte seine Kindheit ganz angenehm, die McKnees waren nicht die rassischtisten aller denkbarer Sklavenbesitzer und Robert kam viel zum Spielen, mit weißen und schwarzen Kindern.

Das beunruhigte Lydia, seine Mutter, etwas. Wie sollte ihr Sohn bei einem so sorgenfreien Leben denn überhaupt mitbekommen, dass er nur ein Nigger war. Ein Mensch zweiter Klasse? Und wie andere Nigger auf den Plantagen leiden mussten?

Also arrangierte sie es, dass Robert ‘mal das Plantagenleben bei ihrer Familie kennenlernen konnte. Kein Bett mehr in einer Hütte, sondern auf dem Boden schlafen. Kein Spielen mehr sondern schwere körperliche Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Vor der Rückreise nach Beaufort zeigte Lydia ihm auch noch den Whipping Pole. Da wo ungehorsame Nigger ausgepeitscht wurden.

Das machte Robert aber nicht demütig und unterwürfig, sondern eher aufmüpfig. Regelmäßig landete er im Knast in Beaufort und Harry McKnee – seine Besitzer – musste Kaution für ihn zahlen.

Das beunruhigte Lydia, seine Mutter, wieder etwas. Das konnte nicht gut enden. Und so brachte sie die McKnees dazu, dass Robert nach Charleston vermietet wurde. Wo er verschiedenen Jobs annahm. Kellner, Nachtwächter, Hafenarbeiter und zu guter Letzt als Matrose auf der CSS Planter, einem Transportschiff.

Bis auf einen Dollar pro Woche musste Robert alles Geld den McKnees geben, aber heimlich sparte er durch weitere kleine Nebentätigkeiten etwas Geld zusammen.

Auf der Planter erlernte er alle Tricks und Kniffe der Flussschiffahrt und die afro-amerikanische Crew und er konnten die Fahrten bald ohne Aufsicht erledigen. Und auf diesen Fahrten fuhr Robert das Schiff.

Mit 19 Jahren heiratete er Hannah Jones, zwei Babies waren schnell geboren. Robert war bewusst, dass weisse Ehepaare zusammenwohnen durften. Das wollte er auch. Er überredete also die McKnees und die Besitzer von Hannah und seinen Kindern, die Kingsmans und das Ehepaar bezog ein winziges Apartment in Charleston.

Aber natürlich könnten die Kingsmans ihm jederzeit das Eheglück kaputt machen. Und seine Frau und seine Kinder ans andere Ende von South Carolina verkaufen. Das Arrangement war sicher nur ein temporäres, irgendwann würde die Familie zerrissen werden. Die Kingsmans aber liessen sich sogar überreden, Hannah und die Kinder an Robert zu verkaufen. Aber die angesparten $ 100,- reichten nicht, diese Sklaven waren leicht das Achtfache wert! Dummer Neger!

Es fehlten ihm also $ 700,- Woher sollte er die denn nehmen? Da musste er ja noch zwanzig Jahre sparen. Ein anderer Plan musste her. Er wollte nicht für immer und ewig der Willkür seiner weißen Besitzer ausgeliefert sein.

Und am 13. Mai 1862 sollte sich die einmalige Gelegenheit bieten, seinen Plan auch umzusetzen. Der Bürgerkrieg tobte in den USA und die CSS Planter war jetzt ein offizielles Südstaatenschiff. Robert war der Captain und drei andere Afro-Amerikaner arbeiteten auch an Bord.

Eines Abends trieb sich die weiße Besatzung – also Rebellensoldaten – alle in der Stadt auf, um den Sold zu versaufen. Robert wies seine Crew an, alle sollten ihre Familien schnell an Bord bringen. Und Hannah und die Kinder holen. Dann legte er still und leise ab. Ohne ein Licht. Und schlich sich langsam und vorsichtig an den Schiffen der Südstaaten vorbei. Und an vier Artelleriestellungen auch noch.

Nicht weit entfernt hatten die Yankees ihre Stellungen, die den Hafen systematisch blockierten. Dort angekommen, wären sie alle frei. Und Robert gelang das Bravourstück. Die CSS Planter erreichte die Stellungen der Nordstaatentruppen. Das war gut und gerne das Mutigste, was die Soldaten da je erlebt hatten.

Nicht nur waren seine Familie und die Familien seiner Kollegen jetzt frei. Robert war ein Held. Sein Ruf erreichte Washington und eine Audienz bei Abraham Lincoln folgte. Für den er dann unterwegs war, um andere Afro-Amerikaner zur Einschreibung zu überreden. 5000 Mann akquirierte er, bevor seine Dienste als Kapitän wieder gebraucht wurden.

Als Kapitän des gepanzerten Kanonenboots USS Keokuk half er entscheidend dabei, die Minen zu entschärfen, die er als Sklave ja erst noch für die Südstaaten zu Wasser gelassen hatte. Er wusste auch genau, wo welche Befestigungen der Rebellen waren und welche Brücken zu sprengen waren, um Charleston von jeder Versorgung abzuschneiden.

Den Krieg beendete der ehemalige Sklave als Generalmajor. Nach dem Krieg nutzte er seinen Ruf und engagierte sich in der Politik. Er war praktisch einer der Mitgründer der republikanischen Abteilung in Charleston. Ja, Republikaner. Das war damals anders als jetzt. Von 1869 bis 1889 war er Abgeordneter in beiden Häusern des Parlaments in South-Carolina und wurde vier Mal in den US-amerikanischen Senat gewählt.

Doch die „Redeemer“ schlugen zurück. Das war die Fraktion in der demokratischen Partei, die den Einfluss der Schwarzen wieder zurückdrehen wollte. In zwanzig Jahren gelang es ihnen die Anzahl der wahlberechtigten Afroamerikaner auf ein Achtel des Stands von 1969 zurückzuschrauben.

Und auch Robert versuchten sie mit erfundenen Geschichten von Bestechlichkeit zu verdrängen, aber er hielt tapfer Stellung bis er sich 1889 aus der direkten Politik zurückzog. Bis zu seinem Tode arbeitete er noch als Chef der Zollbehörde des Hafens von Beaufort und starb als wohlhabender, angesehener Mann.

Das Symbolbild für eine kurze Zeit in der amerikanischen Geschichte, in der die Afroamerikaner eine Chance in der Zivilgesellschaft hatten.

Auf seine Aufnahme in die Hall of Fame von South Carolina musste er 25 Jahre lang warten – aber das hat wahrscheinlich rein gar nichts mit seiner Hautfarbe zu tun, oder?


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 October 28, 2015  12m