Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0313: Klima, na und?


Wenn man wirklich eine Liste mit Themen aufstellen würde, die unsere Generation lösen müsste, welches Thema stünde auf Platz 1? Flüchtlinge, Fundamentalismus, soziale Ungerechtigkeit, Welthunger? Ich meine, es müsste die Klimaerwärmung sein. Stattdessen reden wir aber lieber nicht darüber? Warum?

Download der Episode hier.
How scientists feel about global warming: Is this how you feel?
Opener: „Trump Spews Hot Air On Global Warming“ von The Young Turks
Closer: „George Carlin on Global Warming“ von FluorideIsBadForYou
Musik: „I loved another“ von Dazie Mae / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Die Stimme aus dem Opener ist die von Hugh Hewitt. Das ist seine Entgegnung auf einen zweiminütigen Vortrag von Donald Trump, in dem er erklärt, warum er an der Klimaerwärmung zweifelt. Nützlich ist es auch zu wissen, das Hewitt praktisch eine der Leuchtfiguren der rechten Republikaner ist. Er selber bezeichnet sich als Nixon-Fan. Aber selbst diesem populären Radiohost ist so ein Unsinn einfach zu bunt.

Mittlerweile gibt es an der Klimaerwärmung faktisch nichts zu rütteln. Kein angesehener Metereologe weltweit würde da widersprechen. Und wir wissen auch ganz sicher, dass wir das Problem sind. Unser Verbrauch an fossilen Brennstoffen. Und wir ahnen immer konkreter, was die Auswirkungen sind und sein werden.

Das ist alles sehr dramatisch. Ich bin mir absolut sicher, dass es das wichtigste Thema für diese Generation sein sollte. Aber ich werde das hier nicht vertiefen. Vielmehr interessiert mich eine Frage: Warum verdrängen wir alle kollektiv dieses Thema?

Menschen unterhalten sich über alle möglichen Themen. In Gaststätten, auf Parties, im Radio, im Fernsehen und auch in Podcasts. Warum aber ist praktisch nie der Klimawandel das Thema?
Es gibt eine Website, „Is this how you feel“ mit Namen – Link auf der Website – wo Klimaforscher handgeschriebene Briefe veröffentlichen, die beschreiben, wie sie sich mit ihrer Arbeit fühlen.

Und sie fühlen sich scheiße, kurz gesagt. Das sind die Menschen, die von der Gesellschaft beauftragt worden zu erforschen, was der Klimawandel ist, wie er aussehen wird und was wir dagegen tun können. Und kein Mensch hört ihnen zu. Keiner will es wissen.

Bringt man das Thema in einem Gespräch auf’s Tapet, dann gibt es eine ganze Reihe stereotyper Entgegnungen.

Einige dienen dazu, Distanz zu schaffen:
„Das ist ein Problem, das erst in der Zukunft wichtig wird.“
„Ganz sicher ist sich die Wissenschaft ja gar nicht.“
„Der Krieg im Nahen Osten bedroht den Planeten viel mehr.“

Andere wollen auf Teufel, komm raus positiv bleiben:
„Die Wissenschaft wird das lösen. Wenn wir z.B. alle Dächer weiß anmalen würden…“
„Wenn es kritisch wird, wird man Klimaschutz zum Geschäft machen und die Märkte lösen das Problem dann.“
„Ich hätte ja nichts dagegen, wenn’ drei, vier Grad wärmer wäre. Nur her damit!“

Und die schlimmsten Antworten sind die ganz offensichtlichen Verdrängungen:
„Das fehlt noch, dass die mir mein Auto wegnehmen, die Scheiß-Politiker!“
„Das Problem ist nicht mein Auto, sondern das sind die Chinesen!“
„Klimaerwärmung, wenn ich das schon höre! Wir haben echt andere Probleme!“

Warum ist das so, zum Teufel!

Es scheint so, dass wir am ehesten auf Probleme reagieren, die

A- Deutlich sichtbar sind. Oder spürbar. Aber wenn es regnet, dann regnet’s halt. Kann man mit der Klimaerwärmung assoziieren, ändert aber nichts daran, dass man nass wird. Wäre man, früher oder später auch ohne CO2-Ausstoß.

B- Mit denen wir Erfahrung haben. Wenn es so ein Problem schon einmal gab, dann können wir uns leichter Handlungsmuster abkucken. Aber, was wir hier seit 100 Jahren mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe betreiben, hat halt keinerlei historisches Vorbild.

C- Die zeitlich drängend sind. Klar sind die Auswirkungen schon deutlich erkennbar, aber die ganzen Horrorszenarien ereignen sich ja erst in mittelfristiger Entfernung.

D- Die einfach zu verstehen sind. Das kann man nicht wirklich von diesen Problemen sagen. Es gibt mehrere Antreiber für die meteorologischen Prozesse, die gerade jetzt da sind. Und Wetter ist wirklich ein sehr, sehr komplexes System. Darum errechnen die Simulationen immer verschiedene Ergebnisse.

E- Wenn andere daran schuld sind. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wenn man mit dem Finger auf einen Schuldigen zeigen kann, dann ist Widerstand leicht zu organisieren. Aber an diesem Prozess sind wir alle schuld, die Industrieländer am meisten. Und eine Lösung kann nur in einer Änderung UNSERES Verhaltens bestehen.

Es könnte also leicht sein, dass unsere Psyche gar nicht in der Lage ist, einem so komplexen Problem ins Gesicht zu schauen. „Das müssen andere in die Hand nehmen“, denken wir. Und: „Das kann nur auf internationaler Ebene gelöst werden.“

Im Prinzip denken wir alle heimlich: Das müssen die Politiker machen.
Das ist ja im Prinzip auch richtig. Das Problem muss international gelöst werden. Und das müssen die Politiker machen.

Tatsache aber ist: Das machen die nicht. Die Politik versagt regelmäßig bei Problemen, die die Legislaturperiode überschreiten. Das hebt jede Regierung für die nächste auf. Und zwar weltweit. Die Politik hat bisher in Sachen Weltklima völlig versagt.

Aber natürlich bedeutet das nicht, dass wir jetzt alle die Flinte ins Korn werfen sollten. Oder weiter den Kopf in den Sand stecken. Denn Politik reagiert immer auf Druck der Öffentlichkeit. Ein guter Demokrat ist auch ein guter Opportunist, das ist Teil des Systems.

Klar ist es wichtig, dass jeder sein Verhalten ändert. Die Tipps dazu hat jeder ja schon tausend Mal gehört. Das macht allen immer ein schlechtes Gewissen. Und dann fliegt man doch schnell mal statt den Zug zu nehmen. Ist menschlich.

Und es schadet auch nicht, seinem Abgeordneten ein Email zu schicken. Auf Bundestag.de findet man diesen, wenn man die Postleitzahl eingibt. Und dessen Email-Adresse auch.

Und auch der BUND oder Greenpeace führen regelmäßig Petitionen durch, die man mit nur einem Klick unterstützen kann. Und auf Twitter und Facebook teilen.

Aber psychologisch gesehen, müssen wir einfach erkennen:

A- Information und Sachlichkeit bewegen das Thema voran. Wir müssen damit emotionaler umgehen, wenn wir darüber reden. Und ich meine nicht wirklich die Eisbärbabies auf der Scholle. Sondern, dass wir dazu stehen, dass uns das Thema irgendwie zu viel ist.

B- Wir verdrängen das alle. Wir schieben das alle weg. Das müssen wir erkennen, akzeptieren und ändern.

Zusammengefasst: Du, geneigte Hörerin, bist nicht die Einzige, die ahnt, dass da etwas sehr, sehr falsch ist aber nichts macht. Und lieber nicht darüber redet. Wir machen das alle. Weil wir alle eine Scheiß-Angst haben!

Was wir also ändern müssen: Wir müssen darüber reden. Jeder mit seinen Freunden, das reicht. Wenn wir dabei aufhören, alles zu verdrängen und zu verharmlosen und anerkennen, dass die Klimaerwärmung jetzt das wichtigste Problem ist, dann wird das etwas ändern.

Das Samenkorn jedes gesellschaftlichen Diskurses sind Menschen, die miteinander reden.
Bewegen können wir nur etwas, wenn wir aufhören, darüber sachlich zu diskutieren, sondern zu unserer Angst stehen. Emotionen sind jetzt gefragt, wo die Tatsachen unverrückbar vor uns stehen.

Und, liebe Wissenschaftler: Ihr habt recht! Aber verzweifelt nicht, werdet wütend!
Wir kommen mit!


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 October 27, 2015  11m