Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0312: Die zahmen Füchse


Kleine Kinder gehen davon aus, dass Tiere irgendwie komische Menschen sind. So wie unsere Haustiere davon ausgehen, dass wir halt komische Hunde, Katzen oder meinetwegen Papageien sind. Aber wie passiert das eigentlich? Das wilde Tiere Haustiere werden. Dmitri Konstantinowitsch Beljajew hat das erforscht. Aber sein fantastisches Experiment steht vor dem Aus. Über zahme Füchse…

Download der Episode hier.
Artikel über das Experiment in American Scientist.
Website des Instituts hier. (In Englisch)
Opener: „Little Red Fox – a song for kids“ TheCaplan1
Closer: „What sound does the fox make?“ von CNN
Musik: „Falling For You (Piano Version)“ von Sean Fournier / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Welches ist wohl das am meisten an uns angepasste Tier? Von all den Tieren, die wir Haustiere nennen? Es ist wahrscheinlich der Hund. Den wir schon seit Jahrtausenden züchten, wie es und Spaß macht.

Wenn man alleine nur Fotos anschaut, wie populäre Hunderassen noch vor hundert Jahren aussahen, dann sieht man wie Zucht funktioniert. Und weil wir immer so weiterzüchten, werden die Möpse immer mopsige, die Chihuahuas immer kleiner, die Bernhardiner immer größer.

Das ist nicht besonders toll für die Tiere. Ein Schäferhund ohne Hüftdysplasie ist mittlerweile selten. Weil wir Menschen das toll finden, wenn die Hinterläufe so viel niedriger stehen als die Vorderläufe. Keine Ahnung, warum das so ist.

Und natürlich liegt es auf der Hand, dass Hunde so zahm sind, wie sie sind, weil wir über Jahrtausende immer die Exemplare aus der Fortpflanzung ausgeschlossen haben, die plötzlich ihre Herrchen zerfleischten.

Mittlerweile hängen Hunde an unseren Augen und unseren Gesten und sind wie kleine Kinder abhängig von uns Menschen.

Aber so richtig bewiesen hat dieses Zuchttheorie ja niemand wirklich. Wölfe haben keine Schlappohren oder Ringelschwänze oder bunt geschecktes Fell. Warum entwickeln sich aus der Zucht für die Zahmheit solche Merkmale.

Um das wirklich zu erforschen, müsste man eine ganz andere Spezies nehmen und die so zu züchten beginnen, wie das wahrscheinlich unsere Ahnen mit den Wölfen gemacht haben.

Liegt auf der Hand, eigentlich. Aber wie lange würde so ein Forschungsprojekt wohl dauern? 10, 100 oder 1000 Jahre? Das kann man eigentlich vorher nicht wissen. Darum war es umso wichtiger, dass irgendjemand einfach ‘mal anfing.

Dachte sich zumindest Dmitri Konstantinowitsch Beljajew in den frühen Fünfzigern. Aber Genetik war eine Sache, die in der Sowjetrepublik unter Stalin nicht so gerne gesehen war. Sein Bruder, Nilolai, war unter Stalin wegen seiner Forschung verhaftet worden und verstarb dort auch. Und der hatte ihn nach dem Krieg, wo Dmitri zweimal ernsthaft verletzt wurde, großzügig aufgenommen.

Die Forschung von Nikolai musste also weitergehen. Aber man musste das irgendwie trickreich anfangen.

Die Hypothese war einfach: Menschen haben den Hund geschaffen. Indem sie immer die zahmsten Exemplare ausgewählt haben. Bewusst oder unbewusst. Diesen Prozess könnte man beschleunigen, wenn man die Auswahl streng wissenschaftlichen Kriterien unterwarf. Statt tausenden von Jahren könnte man vielleicht schon in hundert Jahren Resultate haben.

Also gab Dmitri vor, die Zuchtergebnisse bei Silberfüchsen wissenschaftlich verbessern zu wollen. Und kaufte sich am Anfang erst einmal 100 männliche Füchse und 30 Fähen aus der gängigen Fellzucht zusammen. Das ist ja schon eine gewisse Auswahl. Die wildesten der Wildfüchse ließen sich nicht fangen oder überlebten die Bedingungen in Gefangenschaft einfach nicht.

Und von dieser Vorauswahl pickte Dmitri die zahmsten und menschenfreundlichsten aus, um sein Experiment durchzuführen.

All’ das fand weit weg von den Augen Moskaus statt. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis seine Arbeit als wichtig und interessant betrachtet wurde. Unter Stalin blieb das erst einmal Guerilla-Forschung.

Und so wurde jedes Exemplar genauen wissenschaftlichen Tests unterworfen, bis man für jedes Tier den Faktor an Zahmheit errechnet hatte. Tiere die sich fürchten, beißen oder den Menschen fürchten, scheiden aus der Fortpflanzung aus. Tiere die zugänglich sind, sich streicheln oder füttern lassen, dürfen sich vermehren.

Sozusagen Evolution im Turbo. Obwohl die zahmen Füchse ja nicht nach ihrem Aussehen ausgewählt wurden, änderten sie sich langsam auch äußerlich. Nach zwanzig Generationen waren Beljajews Füchse änderte sich ihre Fellzeichnung, sie wurden gefleckt, schwarz und weiß. Die Haut war pigmentiert, die Tiere bekamen Schlappohren und geringelte Schwänze. Allgemein veränderte sich das Bild in Richtung Kindchenschema.

Das war eine unerwartete Entwicklung und – rein evolutionär gesehen – ein richtiger Sprung. Die zahmsten Füchse waren auch immer die mit dem niedrigsten Adrenalinpegel. Und das wirkte sich auch auf den Melaninhaushalt aus. Eine Reihe von genetischen Veränderungen fand gleichtzeitig statt, die vorher vom Adrenalin verhindert wurden. Stress wurde also zu einem Faktor der Evolution, verknappt und laienhaft ausgedrückt.

Nach Beljajews Tod im Jahre 1985 führte seine Schülerin Ludmilla Trut die Zucht und das Experiment weiter fort. Mitten in Sibirien läuft also ein genetisches Experiment seit über 50 Jahren. 51 Generationen lang. Mittlerweile sind es 3000 handzahme Füchse, die sich wie Hunde verhalten.

Sich danach sehnen, gestreichelt zu werden. Die Aufmerksamkeit des Menschen suchen, Augenkontakt herstellen und sich begeistert füttern lassen oder spielen wollen.

Doch das Experiment, sow wollte es Dmitri Bejajew, könne erst als beendet angesehen werden, wenn die Tiere auch die gängigen Anweisunge befolgen, die eben auch jeder Hund lernen kann. So wie eben „Platz“, „Sitz“, „Komm“ oder die Eigenschaft, bei Fuß zu laufen.

Aber dem Projekt geht das Geld aus, die russische Wirtschaft kommt seit 2008 nicht mehr auf die Beine. Es fehlt vorne und hinten an Personal, dass eben auch diese Erziehungsversuche durchführen kann, die ja auch bei Hunden nicht ohne Zeitaufwand möglich sind.
Frau Trut versucht eine Finanzierung, indem sie einzelne Füchse verkauft. Nach der möglichen Prägungsphase in ihrer Jugend sind die Tiere für den weiteren Verlauf der Forschung ja nicht mehr relevant. Aber sie hat nur fünf Tiere in die USA verkauft und weitere fünf innerhalb Russlands. Dann wurde der Handel in den USA für illegal erklärt, zwei der Füchse sind jetzt im Zoo zu bewundern.

Nun droht dieses einmalige Experiment, dass nun 58 Jahre läuft, am Geld zu scheitern. Ohne an sein Ende gebracht worden zu sein und ohne eine unfassende genetische Auswertung der aufgetretenen Veränderungen.

Es bräuchte eine internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, um dieses Großprojekt der Genetik angemessen weiterzuführen. Das uns viel Neues über die Evolution zeigen könnte. Einen aufschlussreichen Artikel aus American Scientist und die Website des Instituts sind auf der Website verlinkt.


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 October 26, 2015  11m