Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0309: Der gute Göring


Das mit den Nazithemen ist immer so eine Sache hier. Auf der einen Seite finde ich sie wichtig und auch interessant, auf der anderen Seite sind sie extrem populär. Ich frage mich, ob ich da nicht das falsche Publikum anziehe. Darum also heute eine Sendung über einen Widerstandskämpfer im Dritten Reich: Hermanns kleiner Bruder, Albert Göring.

Download der Episode hier.
Opener: „Wie Albert Göring Juden und Regimegegner vor den Nazis rettete“ von ARD
Closer: „Don’t Mention the War! – Fawlty Towers – BBC“ von BBC Comedy Greats
Musik: „Red Delicious“ von Funktastic / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Wenn ich einfach ‘mal so „Göring“ sage, dann denkt ihr wahrscheinlich an Hermann Göring. Einem der Großkopferten im tausendjährigen Reich. Zu dem man eigentlich nicht viel sagen muss. Fliegerass im Ersten Weltkrieg, einer der ersten Nazis überhaupt, beim Marsch auf die Feldherrenhalle angeschossen, Chef der Luftwaffe, Gründer der Gestapo, Reichsmarschall, hat die „Endlösung der Judenfrage“ bei Heydrich in Auftrag gegeben, sich ab 1942 aber mehr dem Morphium gewidmet als seinen Ämtern.

Wurde im Volk gerne „Oberhuber“ genannt. Wegen seines markigen Spruchs: „Wenn ein feindliches Flugzeug Deutschland überfliegt, dann will ich Huber heißen.“ Genau der.

Aber dass es auch noch einen anderen Göring gab, dessen Geschichte wichtig ist, dass wissen nur wenige. Ich z.B. vor zwei, drei Monaten auch nicht. Der kleine Bruder von Hermann hieß Albert.

Wie er wuchs er mit seiner Mutter und deren Liebhaber in prächtigen Burgen auf. Wie Hermann musste auch Albert in den ersten Weltkrieg ziehen, wo er mehrere Male angeschossen wurde.

Aber dann trennen sich die Wege. Denn, wenn Albert, seines Zeichens Maschinenbauer, irgend etwas nicht leiden konnte, dann den Nationalsozialismus. Er begriff sich eher als Schöngeist. Den Künsten zugewandt, dem Lebensgenuss und schönen Frauen – wie man das damals so formulierte. Der ganze Nazipomp und die Brutalität speziell der SA waren im ein Dorn im Auge.

Eine überlieferte Anekdote geht z.B. so: Zwei SA-Männer lassen eine ältere Jüdin die Straße mit Salzsäure reinigen. Um den Hals trägt sie ein Pappschild mit der Aufschrift „Ich bin eine Judensau“.
Das erzürnte Albert so, dass er sofort einen Streit mit den zwei Braunhemden anfängt, einen trocken umhaute und dann verhaftet wurde.

Das wissen wir so genau, weil seine Gestapo-Akten 1947 wieder aufgetaucht sind. Drei Verhaftungen und schließlich auch ein Todesbefehl finden sich da. Sofortige Erschießung, falls er jemanden vor die Pistole kam.

Man macht das ja auch nicht, Hitlers neuen Liebling, Heinrich Himmler, öffentlich einen „Lustmörder“ zu nennen. Da hilft dann auch die Verwandschaft irgendwann nicht weiter.

Am Ende des Krieges, als er polizeilich gesucht wurde, meldete er sich freiwillig beim amerikanischen Counter Intelligence Corps und wurde sofort verhaftet.
Ein Göring, dass musste doch ein Nazi sein!

In Haft schrieb Albert dann eine Liste mit 34 Menschen, denen er geholfen hatte. Da sind durchaus Prominente dabei, wie z.B. Franz Lehars jüdische Frau oder Henny Portens jüdischer Mann.

Das glaubte man ihm aber nicht, das hielt man für Notlügen und die Liste verschwand irgednwo. Bis sie ein junger Historiker, William Hastings Burke, in einem amerikanischen Archiv wiederfand. Und begann all die genannten Namen abzuklappern, überall auf der Welt. Und entweder mit den Überlebenden oder deren Verwandten zu sprechen.

Darüber schrieb er 2009 ein Buch. Zusammen mit den Erzählungen und der Gestapo-Akte zeichnete sich ein Bild von Albert Göring, dass man durchaus das eines Widerstandskämpfers nennen konnte.

Denn diese 34 geretten Menschen auf der Liste sind bei weitem nicht alles. Und auch nicht die drei Zusammenstöße mit der SA.

Als er Exportchef bei den tschechischen Skoda-Werken wurde, sorgte er dafür, dass ihm keiner seiner Arbeiter in ein KZ gesteckt wurde. Noch mehr: Mehrere Male forderte er Zwangsarbeiter aus den KZs und ließ dann die abgeholten Insassen irgendwo, in abgelegenen Gegenden, einfach laufen.

Natürlich war der Hitler-Gruß in seiner Gegenwart verboten.

Er unterstützte aus den Skodawerken heraus direkt den tschechischen Widerstand, nahm an einer Reihe von Sabotage-Aktionen teil und fälschte fleißig die Unterschrift seines großen Bruders.

Mehrmals musste sich also dieser für den kleinen Bruder einsetzen. Aber Hermanns Einfluß nahm im Dritten Reich ständig ab. Auch und gerade wegen wegen dieser Oberhuber-Sache. Es wurde gefährlicher und Albert begab sich in amerikanische Haft, alleine schon, um am Leben zu bleiben.

Er wurde dann bei den Nürnbergern Prozessen verhört, wie gesagt, kann ja nicht sein, dass ein Göring im Widerstand war. Er weigerte sich, gegen seinen Bruder Hermann auszusagen. Klar, dieser nannte ihn immer das schwarze Schaf der Familie. Aber er habe eigentlich ein warmes Herz und sei sicher nicht an den großen Grausamkeiten beteiligt gewesen – das glaubte er wohl wirklich. Und von den geheimen Konten in den USA oder der zusammengeraubten Kunstsammlung von Hermann wusste er auch nichts.

Das entlastete ihn natürlich in keiner Weise. Aber nachdem so viele Menschen, denen er geholfen hatte, für ihn ausgesagt hatten, wurde er nicht verurteilt, sondern an die Tschechoslowakei ausgeliefert, die ihm dann noch einen Kriegsverbrecherprozess anhängte.

Hier wiederholte sich das Ganze noch einmal und er wurde erst im März 1947 freigesprochen. Da war dann auch die Gestapo-Akte aufgetaucht.

Nach dem Krieg aber bekam Albert kein Fuß mehr auf die Beine. Seine Frau, eine ehemalige tschechische Schönheitskönigin ließ sich nach einem Seitensprung seinerseits 1948 von ihm scheiden.

Und er fand einfach keinen Job mehr. Er verfiel in Depressionen und lebte seine letzten Jahre in Armut und alleine. Bis er am 20. Dezember 1966 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb.

Das, was im Dritten Reich sein großes Schild gewesen war, war in der neuen Bundesrepublik einfach ein Problem. Sein Name. Einen Göring, den wollte keiner einstellen.

Immer noch sind Albert und sein Handeln eher unbekannt. Statt ihn als einen der Widerständler zu ehren, die wirklich etwas gegen die Nazis bewegt haben, bleibt sein Gedenken aus.

Keine Albert-Göring-Schule irgendwo, kein Denkmal, keine Erwähnung in irgendwelchen Schulbüchern.

Denn, sollte man Albert ehren, dann müsste man ja die Geschichte mit erzählen, dass Hermann sich immer für ihn eingesetzt hat und ihn immer wieder aus den größten Schlamasseln gezogen hat.

Und dann hätte das Bild vom grobschlächtigen, aber trickreichen Monster mit dem IQ von 138 eine Schlagseite. Denn es ist wichtig, das Hitler, Göring, Goebbels, Himmler, Heydrich, Eichmann und all’ die anderen Nazibonzen unmenschliche Monster sind.

Das tröstet uns normale Menschen etwas. Denn wir normale Menschen, wir könnten nie solche Untaten begehen, neee… Und so wird Albert Göring auf immer ein unentdeckter Held bleiben – na ja, in Yad Vaschem überlegt man, ihn als einen der „Gerechten unter den Völkern“ aufzunehmen.
Ein Anfang.


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 October 21, 2015  12m