Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0308: Die Exorzisten


Hier in der Frauenkirche in München ist ja einer der Plätze, wo der Teufel seinen gehörnten Fuß zornig in einer Kirche hinterlassen hat. Und weil es somit also nachweislich den Teufel gibt, muss es auch Fachleute geben, die ihn austreiben. Und in Polen haben die sogar ein eigenes Lifestyle-Magazin. Die Exorzisten eben…

Download der Episode hier.
Opener: „The Power of Christ Compels You – The Exorcist“ von Movieclips
Closer: „Scary Movie 2 Exorcist Scene“ von Alex Smiler
Musik: „Devil in Me“ von Panic Station / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Ich hab’s ja nicht mit Horror. Und das liegt vielleicht an einem speziellen Horrorfilm, den ich vielleicht zu früh gesehen habe. Das ist natürlich „Der Exorzist“ von 1973. Mann, habe ich mich da gefürchtet! Ich habe den Film auch nie wieder angeschaut – sicher ist sicher! Für mich der gruseligste Film aller Zeiten.

Ist ja auch wirklich eine furchtbare Vorstellung, dass es da Dämonen gibt, die einfach so die Regie in einem Menschen übernehmen können. Böse Mächte oder eben gar der Teufel selber.

Ein Vorstellung, die aus einer anderen Zeit stammt. Und heute nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn man in einer Welt lebt, in der höhere Mächte ganz selbstverständlich einen Einfluss auf das tägliche Leben haben – oder man das eben glaubt – was sollte es auch für eine andere Erklärung geben, um z.B. epileptsiche Anfälle zu erklären?

Und so sah das eben wohl auch Jesus und deswegen ist das Neue Testament voller Teufelsaustreibungen. Das war eben eine der Arten, bestimmte Krankheiten zu heilen. Ist ja verzeihbar, wenn man noch keine Aufklärung und keine Wikipedia hatte. Aber heute ist das nicht mehr so richtig zeitgemäß, oder?

Wie sagte Rudolf Bultmann: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“.

Das ist aus seinem Buch „Neues Testament und Mythologie (1941)“. 35 Jahre später starb Annelise Michel an Unterernährung. Sie litt an einem Hirnschaden im linken Schläfenbereich. Das führte zu epileptischen Anfällen und Absencen. Es gibt auch die Diagnose „Neurotische Depression mit Entwicklungscharakter.“

Doch weil nicht nur Anneliese, sondern auch ihre Familie sehr, sehr katholisch waren, erfolgte die Behandlung durch Pfarrer. Nicht irgendwelche Pfarrer, sondern eben Exorzisten. 67 Mal wurde an ihr der sogenannte „Große Exorzismus“ ausgeübt. Bis sie an Unterernährung starb.

Nicht direkt an den Folgen des Exorzismus, das muss man schon erwähnen. Aber eben, weil zu keiner anderen Form der Behandlung gegriffen wurde.

Dieser Fall war 1976 eine große Geschichte, genau wie der Prozess darum. Im Prinzip hat Annelise Michel geholfen, die Praxis des Exorzismus in Deutschland gründlich zu ändern.

Exorzisten müssen jetzt gemeinsam mit Psychiatern und Ärzten arbeiten, bevor sie eine rituelle Dämonenaustreibung druchführen. Das hat dazu geführt, dass es in Deutschland praktisch keine Exorzismen mehr gibt. Denn Psychiater sehen das eher kritisch mit den Teufeln und den Dämonen.

Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater, hält Exorzismen für gefährliche Suggestionen. Erst durch den Exorzisten wird die Vorstellung besessen zu sein geschaffen. Und das ist kein hilfreicher Gedanke, sondern ein gefährlicher. hält exorzistische Rituale für reine Suggestion, da durch sie die Vorstellung von Besessenheit erst geschaffen und das Leid der Betroffenen unter Umständen noch verstärkt werde. Sie sagt: „Manifeste seelische Erkrankungen können nicht durch Exorzismus gelöst oder geheilt werden. Es kann aber zu Verschlimmerungen kommen, wenn medizinische Hilfe“ unterbleibe.“

Also in Deutschland ist der Exorzismus kein großes Thema mehr. Seit Annelise Michel gab es keinen aktenkundigen offiziellen Exorzismus mehr. Wir waren da ja eh’ ein wenig geschützt, denn wir sind ja halb evangelisch und die Lutheraner z.B. üben schon lange keine Teufelsaustreibungen mehr aus.

Das schaut aber bei unseren europäischen Nachbarn noch ganz anders aus. Faustregel: Je katholisch, desto mehr Dämonen gibt es auszutreiben. Weswegen hauptsächlich Franzosen und Italiener und Polen bei der ersten internationalen Exorzistenkonferenz 2004 zugegen waren.

Natürlich fand auch Papst Benedikt XVI. die Arbeit der Exorzisten einen wichtigen Dienst an der Kirche. Und auch der vielgeliebte Franziskus erkannte die in etwa 30 Ländern vertretene internationale Vereinigung der Exorzisten (AIE) 2014 offiziell als private rechtsfähige Gesellschaft an.

Aber den Vogel schießen trotzdem die Polen ab, finde ich. Denn da gibt es sogar ein Lifestyle-Magazin zum Thema. Das mit 40.000 verkauften Exemplaren auch ganz gut funzt. Es heißt natürlich „Der Exorzist“. Gibt’s schon seit drei Jahren. Und da kann man sich prima Rat holen, was denn nun genau des Teufels ist und was nicht.

Ist z.B. Yoga des Teufels? Na? (Jeopardy-Theme) Klar, ist es! Eine Einstiegstür für den Beelzebub, euer Pilates, liebe Buam und Mädels!

Und „Hello Kitty“? (Jeopardy-Theme) Nein, „Hello Kitty“ ist theologisch sauber.

Ach ja, die polnischen Nachbarn. Mit 130 hauptberuflichen Exorzisten beschäftigen sie für jede Diözese immerhin drei Teufelsaustreiber. Und die haben ordentlich zu tun. Denn viele Polen verorten aufgrund ihrer Religiosität ihre Symptome lieber beim Teufel als in der eigenen Psyche. Ist ja auch praktisch, denn dann ist man ja nicht krank, sondern eben besessen.

Ich stelle mir vor, dass die studierten Menschen, die diesen Beruf in Polen ausüben, dass verantwortlich und intelligent ausüben. Und im Zweifel Besessene an Psychiater und Neurologen weiter verweisen. Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht.

Die Diözese von Warschau z.B. hatte lange einen Online-Fragebogen im Internet stehen, der sich der spannenden Frage widmete: „Bin ich besessen?“

Sechzig Fragen galt es zu beantworten. Und wenn man eine oder mehrere falschen Antworten hatte, dann sollte man vielleicht ‘mal mit so einem Exorzisten Kontakt aufnehmen…

Die Fragen waren z.B.:
Haben Sie jemals Yoga oder Kampfkunst ausgeübt?
Mögen Sie die Filme „Star Wars“ oder „Indiana Jones“?
Haben Sie je den Namen anderer Götter ausgesprochen?
Feiern Sie Halloween?
Mögen Sie die Musik von John Lennon, Michael Jackson oder Bob Marley?
Tja, ihr ahnt es, die „falsche“ Antwort ist in den obigen Beispielen immer „Ja“.
All’ diese Dinge machen einen verletzlich für die finsteren Absichten Satans.

Das kann man alles für lächerlich halten, das hat das Internet mit diesem Fragebogen ja auch getan. Weswegen er leider nicht mehr online ist. Aber im Kern steckt da eine sehr gefährliche Vorstellung dahinter.

Das es nämlich finstere Mächte gibt, die im Verborgenen nur darauf warten, uns zu verderben. Und zu besitzen und uns zum Bösen zu treiben. Paulus nennt die Dämonen ganz selbstverständlich im Epheserbrief „die Beherrscher dieser finsteren Welt“. Das gilt es als Vorstellung zu überwinden.

Wem der Teufel ins Ohr flüstert, der muss zum Psychiater. Wer von Zuckungen heimgesucht wird, der muss zum Neurologen. Und wer an Dämonen glaubt, der tut mir leid. Denn er lebt in einer Welt, die ihn unfrei macht. Und nur zu einem Spielball höherer Mächte.

In der letzten Ausgabe vom „Exorzisten“ übrigens gibt der Chef-Exorzist von Danzig ein interessantes Interview. Er sagt nicht nur, dass der „Rosenkranz eine Kanone im Kampf gegen Satan“ ist, oder dass ganze politische Parteien in Polen vom Teufel besessen sind.

Nein, besonders sorgt er sich um Deutschland, wo der Satan nur so wütet.
Leuchtet mir auch ein. Bei all’ den Joga-Schulen hier…


fyyd: Podcast Search Engine
share








 October 20, 2015  14m