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Expl0305: Beckett und Keaton


Von den frühen Stummfilmstars war Buster Keaton mein Held. Die Filmszenen bei den „Vätern der Klamotte“ wirkten auch fünfzig Jahre später noch atemerregend. Und „Warten auf Godot“ ist mein Lieblings-Theaterstück. Wenn also Samuel Beckett und Buster Keaton einen Film machen, dann muss der doch toll sein, oder? Na ja…

Download der Episode hier.
Opener: „Stewart & McKellen on Broadway, Bowler Hats & Beckett“ von Wall Street Journal
Closer: „Waiting for Godot (ending)“ von timothygleason
Der Film „Film“ ist online hier zu sehen.
Musik: „Kisses“ by Weightless / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
Das ist ein Zitat des großen Samuel Beckett. Der mein Lieblings-Theaterstück geschrieben hat, nämlich „Warten auf Godot“. Ich kann mir nicht helfen, aber es beschreibt meine Lebenserfahrung irgendwie besser als, meinetwegen der „Sommernachtstraum“ von Shakespeare.

So ist doch das Leben, oder? Manchmal traurig, manchmal komisch, aber irgendwie absurd. Oder?
Und mir kann das Stück gar nicht lustig genug inszeniert werden, ich bin absolut davon überzeugt, dass es eine Komödie ist.

Wir wissen, dass Beckett das Vaudeville geliebt hat und dass er Charlie Chaplin und Buster Keaton verehrt hat. Vladimir und Estragon sind ja eben auch Tramps, so wie die Kunstfigur von Charlie Chaplin auch.

Und diese Verehrung bringt uns zum eigentlichen Thema. Es geht am Donnerstag ja um Film und Samuel Beckett hat tatsächlich auch einen Film gedreht. Einen einzigen. Bei seinem einzigen Aufenthalt in den USA. Mitten in New York. Im heißen Sommer von 1964. Fünf Jahre bevor er den Nobelpreis für Literatur bekommen hat.

Und die Hauptrolle in diesem Film spielt niemand anders als Buster Keaton.

Genau dieser legendäre Buster Keaton, einer der drei größten Stummfilmstars der frühen Filmkomödie. Ein ungewöhnlich eigenständiger, hochkreativer Filmemacher, der seine eigenen Drehbücher schrieb, oft die Regie führte, sich mit der Kamera und dem Licht auskannte, der Special Effects erfand, die zum Teil heute noch Verwendung finden und der wahrscheinlich auch der wagemutigste Stuntman aller Zeiten war.

Doch das war natürlich schon vierzig Jahre her. Und die Welt hatte den Slapstick-Film von damals komplett vergessen. Buster Keaton war 68 Jahre alt, als er das Angebot bekam, im Becketts Film die Hauptrolle zu spielen.

Eine neugegründete Produktionsfirma aus New York hatte die Idee gehabt, berühmte Schriftsteller um Drehbücher zu bitten, um so einen Kunstfilm zusammen zu basteln, der auf der Höhe seiner Zeit war. Die meisten Angefragten hatten gar nicht reagiert, insgesamt gab es nur drei Drehbücher. Aber nur Samuel Becketts Drehbuch wurde verfilmt. Es liegt da also irgendwo ein unverfilmtes Drehbuch von Eugen Ionescu ‘rum.

Natürlich handelt es sich bei diesem Kurzfilm mit dem Namen „Film“ um ein Stückchen Avantgarde-Kino. Arthaus reicht da zur Beschreibung gar nicht mehr aus. Im Drehbuch gibt es eine Hauptrolle, die Beckett mit dem Buchstaben „O“ bezeichnet. Für Objekt. Gespielt von Buster Keaton. Und dann gibt es noch „E“. Das steht für Eye, also für Auge.

Im Prinzip folgt die Kamera einem Mann erst durch New York und dann in seine Wohnung. Dieser Mann will aber partout nicht angesehen werden. Will nicht wahrgenommen werden. Er wirft die Katze und den Hund aus der Wohnung, denn die könnten ihn ansehen. Er zerreisst ein Bild von einer Götzenstatue, deckt den Spiegel ab. Im Schaukelstuhl betrachtet er Fotos aus seiner Vergangenheit und zerreist auch die.

Und wir folgen der Figur die ganze Zeit von hinten. Die Kamera, das Auge beobachtet unbarmherzig O, das Objekt. Buster Keaton, den wir wegen seinem Hut trotzdem sofort erkennen.

Erst am Ende schwenkt die Kamera um den Schaukelstuhl herum und wir sehen Keatons Gesicht. Der sich plötzlich gewahr wird, dass das Auge, dass ihn verfolgt, er selber ist.

Na ja. Oder so ähnlich. Es ist ein Film von Samuel Beckett. Symbolistisch, absurd und vielleicht auch existentialistisch. Auf jeden Fall für jede Interpretation offen. Es ist sicher nicht falsch anzunehmen, dass der Film auf Ideen des irischen Philosophen George Berkeley fusst. Der schrieb: Esse est percipi. (dt.: Zu sein, bedeutet wahrgenommen zu werden) Aber das war jetzt tief genug geschürft für eine Sendung.

Was passiert also, wenn der König des absurden Theaters und der König des Slapstick zusammen einen Avantgarde-Film machen?

Eine ausgewachsene Katastrophe wahrscheinlich. Die Produktionsbedingungen waren alles andere als glücklich. Beckett war die ganze Zeit selber am Set. Und sein Drehbuch und die Sets schützte er wie ein Adler. Alle musste seinen Vorstellungen entsprechen.

Der Regisseur des Films war Alan Schneider. Ein erfolgreicher Regisseur. Aber für’s Theater. Er hatte in New York eine gefeierte Umsetzung von „Warten auf Godot“ inszeniert und Mitgründer der neuen Produktionsfirma „Evergreen Theatre“. Aber er hatte noch nie im Leben einen Millimeter Fim gedreht.

Genauso wenig wie Beckett. Das konnte man vom Kameramann Boris Kaufmann nicht behaupten. Und natürlich noch weniger von Buster Keaton.

Und so prallten beim Film mit dem Namen „Film“ zwei Welten aufeinander. Zwei Vorstellungen und zwei ganze Ideenwelten.

Es war für Buster Keaton zum Beispiel völlig unverständlich, warum sein markantestes Kennzeichen, nämlich sein immer stoisches Gesicht, nie zu sehen ist. Bis auf eine Einstellung.

Und das andere, was er gut konnte, war eben unter gegebenen Vorraussetzungen zu improvisieren. Aber das durfte er bei den Avantgardisten auch nicht. Das einzige, was von Keatonscher Improvisation übrig ist, ist in der Szene, wo er erst die Katze aus der Wohnung trägt und dann den Hund. Bloß, um zu bemerken, dass die Katze wieder da ist. Und der Hund wieder reinkommt, als er die Katze ein zweites Mal rausträgt.

Aber das haben die Neueinsteiger dann auch so zusammen geschnitten, dass die Szene ihr Timing und damit ihr komisches Potential verliert.

Beckett selber empfand sein einstiges Idol als künstlerisch veraltet und überholt. Er nennt die Konversation „einsilbig“. Keaton witzelte am Set herum: „Was haben sich die Herren Künstler jetzt wieder ausgedacht?“

Beide betonten im Nachhinein, dass die Zusammenarbeit sehr professionell war.

Der Film wurde erwartungsgemäß, trotz einiger Kunstpreise, beim Publikum ein Reinfall.
Bei der Uraufführung war er zweischen einen neuen Buster-Keaton-Film und einen seiner Klassiker geklebt. Wo er natürlich nicht hingehörte.

Das Publikum war natürlich entsprechend enttäuscht. Denn viel zu lachen gibt es im Film „Film“ nicht.

Die beiden kamen nie wieder in Kontakt. Beckett sollte nie wieder einen Kinofilm machen. Und nie wieder nach Amerika reisen.

Der Film war lange vergessen. Erst eine auf IndieGoGo finanzierte Doku von Ross Lipman hat ihn 2013 wieder in Erinnerung gerufen. Die Doku heißt „NotFilm“ und ist sehr interessant.

Den Film „Film“ kann man online anschauen, dauert 17 Minuten. Eine seltene Perle. Und eine sehr, sehr Seltsame. Link auf der Website.


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 October 15, 2015  11m