Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0298: Amerika und Schusswaffen


Die dummen Amerikaner, so denken wir in Europa, verstehen die denn nicht, dass es keine gute Idee ist, wenn jeder zweite mit einer Knarre durch die Gegend läuft. Aber es ist etwas komplexer, denke ich. Der, der als Kind nie gespielt hat, er würde jemanden erschießen, der werfe den ersten Stein!

Download der Episode hier.
Opener: „Oregon Shooting – President Obama Demands Better Gun Control Laws“ von The New Era
Closer: „Jim Jefferies US Gun Control“ von Sac Cal
Musik: „Lonely“ von Art Yenta / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Viele Menschen in Europa mögen ja die USA nicht besonders. Mir geht’s da völlig anders. Ich finde das Land wunderbar, die Städte faszinierend und die Menschen offenherzig, freundlich und hilfsbereit. Ich bin in den USA nie angepöbelt worden, nie bestohlen worden und es hat auch nie irgendwelche Schießereien in meiner Hörweite gegeben.

Doch, dass die USA ein Problem mit Schusswaffen hat, lässt sich natürlich nicht leugnen. Besonders deutlich wird das immer bei den Massentötungen, die in den Medien meist mit dem Ausdruck „Massaker“ tituliert werden.

Man kommt schon gar nicht mehr mit.
Wer, wann, wen und warum in den USA erschiesst, das überschreitet jegliche Vorstellungskraft eines Europäers.

Vielleicht erinnert ihr euch noch an das Sandy Hook Massaker? Wo ein Amokläufer sechs Lehrer, zwanzig Kinder und sich selbst erschoss? Das war 2012. Seitdem ist es zu weiteren 986 Mass Shootings gekommen. Das sind Erschießungen, die mehr als vier Menschen das Leben kosten.

Pro einer Million Menschen sterben in Deutschland im Jahr 1,9 Menschen durch Schusswaffen. In der Schweiz, die aufgrund ihrer Tradition auch reichlich mit Pistolen und vor allem Gewehren ausgestattet sind, sind es schon 7,7. Aber in den USA sind es fast 30.

Von den 644 Millionen Privatpersonen, die auf der ganzen Welt eine Schusswaffe besitzen, leben 44% in den USA.

Je mehr Schusswaffen es in einem Land gibt, desto mehr Menschen werden in diesem Land erschossen. Und die Statistik zeigt einfach ganz klar und unleugbar: Es sind nicht nur die USA. Selbst in der friedlichen Schweiz oder dem wunderschönen Kanada werden mehr Menschen erschossen als z.B. in Deutschland. Oder nehmen wir Japan, wo es noch weniger Pistolen und Gewehre gibt als bei uns. Da werden pro 1 Million Menschen im Jahr genau 0,6 Menschen erschossen. Waffenbesitz ist korreliert mit Waffentoten.

Es ist glasklar und brutal logisch: Die Amerikaner haben zu viele Waffen.

Doch das sehen die Hälfte der US-Bürger eben anders. Das erste Argument ist immer das Second Amendment. Wir haben das Recht auf Schusswaffen in der Verfassung! So geht das.

Wenn man das genauer anschaut, kann man das aber durchaus diskutieren. Denn Amendment heißt ja nicht Gesetz oder Klausel oder Grundrecht oder meinetwegen Paragraph. Man übersetzt das besser mit Ergänzung, Zusatz oder Nachbesserung.

Aber was steht da genau in diesem second amendment?
„A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.“
Zu deutsch:
„Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“

Historisch muss man wissen, dass Milizen zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Schrift das Rückrad des amerikanischen Militärs waren. Es war unabdingbar, dass Privatpersonen Waffen haben, weil es einfach zu wenige echte Soldaten gab. Nur die ehrenamtlichen Schusswaffenbenutzer konnten die Engländer vertreiben.

Aber das Recht Milizen zu gründen, das gibt es in den USA gar nicht mehr. Jeder funktionierende Zivilstaat möchte das ja eher vermeiden. Der Nachfolger dieser Milizen ist die Nationalgarde.

Ob diese Ergänzung also noch ihr Recht hat, das kann man diskutieren. Es ist aber sicher nicht explizit gesagt, dass jeder Bürger eine Waffe tragen darf.

So wird das aber von der NRA verstanden. Das ist die National Rifle Association. Der Dachverband der Sportschützen-Vereine. Ca. 10.000 solche Vereine gehören zu dieser Organisation, das macht 4.200.000 Mitglieder. Und diese Organisation hat es sich zum obersten Ziel ihrer Agenda gemacht, dieses Second Amendment zu verteidigen. Offiziell und schriftlich so fixiert.

Sie ist eben nicht nur ein Dachverband von Sportvereinen sondern eine Lobby-Organisation. Das klingt in deutschen Ohren halbseiden, aber es ist in den USA die Art, wie Interessenverbände auf die Politik Einfluß nehmen. Und damit auch nicht per se undemokratisch.

Und diese NRA wird von der Waffenindustrie gesponsert und mit Finanzmitteln ausgestattet. Und deren Geschäft boomt. Weil nach jedem Massaker noch mehr Amerikaner Feuerwaffen kaufen.
Ca. 6 Millionen Pistolen und Gewehre werden jedes Jahr verkauft, man schätzt die Umsätze auf 15 Milliarden Dollar. Nur an Privatleute.

Das beantwortet immer noch nicht die Frage, die am drängendsten ist: Warum ist das so?

Ich glaube es ist eigentlich einfach. Die Amerikaner schießen gerne. Die können das ja auch. Ich denke, auch hier in Deutschland hätten viele den Wunsch, wenigstens einmal mit so einer Pistole zu schießen. Ich z.B. würde das gerne ‘mal probieren. Und ich bin Pazifist.

Und auch eine Pistole zu besitzen, könnte cool sein. So einen Western-Revolver. Am besten mit einem coolen Halfter. So wie Cary Grant in „High Noon“.

Und da haben wir, glaube ich, den eigentlichen Grund. Schusswaffen gehören zur amerikanischen Kultur. Sind Teil der Legende. Vom Wilden Westen bis jetzt. Man schaue sich nur die Kinoplakate an. Kein moderner Actionfilm ohne eine Knarre auf dem Cover. Tom Cruise, Liam Neeson, Keanu Reeves – alles Actionhelden, die Filme über Pistolen machen. Und über’s Erschiessen. Tatsächlich könnte man diese Actionthriller auch Erschiessungsfilme nennen.

Die Pistole ist das ultimative Symbol der individuellen Freiheit.
Mit der auch der einzelne lone wolf eine Chance hat gegen eine überwältigend wirkende Zahl an Feinden. DAS und nicht der Tellerwäscher, DAS ist der American Dream.

Und gegen einen Traum, gegen so tief sitzende Emotionen kann man schwer andiskutieren.
Denn Argumente reichen da nicht hin.

Und die Mass Shootings verhindern auch, dass man mal ruhig auf die Statistiken schaut. Denn von den 33.000 Toten, die starben, weil eine Kugel sie tötete, haben 22.000 selber den Abzug gedrückt.

Denn mit einer Erfolgsquote von 94% ist das auch eine sichere Methode. Wir Europäer müssen und erhängen, irgendwo runterspringen oder uns vergiften.
Einen Abzug zu drücken ist viel leichter.

Die Massenerschiesser haben sichtlich einen an der Waffel. Aber auch Selbstmörder leiden natürlich an psychischen Problemen. Trotzdem: Je höher die Hürde, desto weniger Selbstmorde.

Das bedeutet eben auch: Je mehr Waffen, desto mehr Selbstmorde.

Diese Menschen, die sich da leise aus Verzweiflung das Leben nehmen, das sind die wahren Opfer des American Dream. Das gilt es in noch höherem Maße zu verhindern, als die Mass Shootings.

Das sind Kriegsopfer. Opfer einer Lobby, die für ihre wirtschaftliche Bedeutung einen zu hohen Einfluß hat. Opfer der NRA, die in Wirklichkeit nicht Grundrechte verteidigt, sondern Argumente liefern soll für Leute, denen Schießen einfach Spaß macht.

Das ist alles. Die schiere Lust an Waffen kostet Amerika jährlich 30.000 Menschenleben.
Der Mythos, die Emotion, das Gefühl verhindert eine Diskussion. Verhindert Vernunft.

In den USA herrscht eigentlich Krieg.
Und die 20.000 Selbstmörder im Jahr, das sind die Toten, von denen keiner spricht.Viele Menschen in Europa mögen ja die USA nicht besonders. Mir geht’s da völlig anders. Ich finde das Land wunderbar, die Städte faszinierend und die Menschen offenherzig, freundlich und hilfsbereit. Ich bin in den USA nie angepöbelt worden, nie bestohlen worden und es hat auch nie irgendwelche Schießereien in meiner Hörweite gegeben.

Doch, dass die USA ein Problem mit Schusswaffen hat, lässt sich natürlich nicht leugnen. Besonders deutlich wird das immer bei den Massentötungen, die in den Medien meist mit dem Ausdruck „Massaker“ tituliert werden.

Man kommt schon gar nicht mehr mit.
Wer, wann, wen und warum in den USA erschiesst, das überschreitet jegliche Vorstellungskraft eines Europäers.

Vielleicht erinnert ihr euch noch an das Sandy Hook Massaker? Wo ein Amokläufer sechs Lehrer, zwanzig Kinder und sich selbst erschoss? Das war 2012. Seitdem ist es zu weiteren 986 Mass Shootings gekommen. Das sind Erschießungen, die mehr als vier Menschen das Leben kosten.

Pro einer Million Menschen sterben in Deutschland im Jahr 1,9 Menschen durch Schusswaffen. In der Schweiz, die aufgrund ihrer Tradition auch reichlich mit Pistolen und vor allem Gewehren ausgestattet sind, sind es schon 7,7. Aber in den USA sind es fast 30.

Von den 644 Millionen Privatpersonen, die auf der ganzen Welt eine Schusswaffe besitzen, leben 44% in den USA.

Je mehr Schusswaffen es in einem Land gibt, desto mehr Menschen werden in diesem Land erschossen. Und die Statistik zeigt einfach ganz klar und unleugbar: Es sind nicht nur die USA. Selbst in der friedlichen Schweiz oder dem wunderschönen Kanada werden mehr Menschen erschossen als z.B. in Deutschland. Oder nehmen wir Japan, wo es noch weniger Pistolen und Gewehre gibt als bei uns. Da werden pro 1 Million Menschen im Jahr genau 0,6 Menschen erschossen. Waffenbesitz ist korreliert mit Waffentoten.

Es ist glasklar und brutal logisch: Die Amerikaner haben zu viele Waffen.

Doch das sehen die Hälfte der US-Bürger eben anders. Das erste Argument ist immer das Second Amendment. Wir haben das Recht auf Schusswaffen in der Verfassung! So geht das.

Wenn man das genauer anschaut, kann man das aber durchaus diskutieren. Denn Amendment heißt ja nicht Gesetz oder Klausel oder Grundrecht oder meinetwegen Paragraph. Man übersetzt das besser mit Ergänzung, Zusatz oder Nachbesserung.

Aber was steht da genau in diesem second amendment?
„A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.“
Zu deutsch:
„Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“

Historisch muss man wissen, dass Milizen zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Schrift das Rückrad des amerikanischen Militärs waren. Es war unabdingbar, dass Privatpersonen Waffen haben, weil es einfach zu wenige echte Soldaten gab. Nur die ehrenamtlichen Schusswaffenbenutzer konnten die Engländer vertreiben.

Aber das Recht Milizen zu gründen, das gibt es in den USA gar nicht mehr. Jeder funktionierende Zivilstaat möchte das ja eher vermeiden. Der Nachfolger dieser Milizen ist die Nationalgarde.

Ob diese Ergänzung also noch ihr Recht hat, das kann man diskutieren. Es ist aber sicher nicht explizit gesagt, dass jeder Bürger eine Waffe tragen darf.

So wird das aber von der NRA verstanden. Das ist die National Rifle Association. Der Dachverband der Sportschützen-Vereine. Ca. 10.000 solche Vereine gehören zu dieser Organisation, das macht 4.200.000 Mitglieder. Und diese Organisation hat es sich zum obersten Ziel ihrer Agenda gemacht, dieses Second Amendment zu verteidigen. Offiziell und schriftlich so fixiert.

Sie ist eben nicht nur ein Dachverband von Sportvereinen sondern eine Lobby-Organisation. Das klingt in deutschen Ohren halbseiden, aber es ist in den USA die Art, wie Interessenverbände auf die Politik Einfluß nehmen. Und damit auch nicht per se undemokratisch.

Und diese NRA wird von der Waffenindustrie gesponsert und mit Finanzmitteln ausgestattet. Und deren Geschäft boomt. Weil nach jedem Massaker noch mehr Amerikaner Feuerwaffen kaufen.
Ca. 6 Millionen Pistolen und Gewehre werden jedes Jahr verkauft, man schätzt die Umsätze auf 15 Milliarden Dollar. Nur an Privatleute.

Das beantwortet immer noch nicht die Frage, die am drängendsten ist: Warum ist das so?

Ich glaube es ist eigentlich einfach. Die Amerikaner schießen gerne. Die können das ja auch. Ich denke, auch hier in Deutschland hätten viele den Wunsch, wenigstens einmal mit so einer Pistole zu schießen. Ich z.B. würde das gerne ‘mal probieren. Und ich bin Pazifist.

Und auch eine Pistole zu besitzen, könnte cool sein. So einen Western-Revolver. Am besten mit einem coolen Halfter. So wie Cary Grant in „High Noon“.

Und da haben wir, glaube ich, den eigentlichen Grund. Schusswaffen gehören zur amerikanischen Kultur. Sind Teil der Legende. Vom Wilden Westen bis jetzt. Man schaue sich nur die Kinoplakate an. Kein moderner Actionfilm ohne eine Knarre auf dem Cover. Tom Cruise, Liam Neeson, Keanu Reeves – alles Actionhelden, die Filme über Pistolen machen. Und über’s Erschiessen. Tatsächlich könnte man diese Actionthriller auch Erschiessungsfilme nennen.

Die Pistole ist das ultimative Symbol der individuellen Freiheit.
Mit der auch der einzelne lone wolf eine Chance hat gegen eine überwältigend wirkende Zahl an Feinden. DAS und nicht der Tellerwäscher, DAS ist der American Dream.

Und gegen einen Traum, gegen so tief sitzende Emotionen kann man schwer andiskutieren.
Denn Argumente reichen da nicht hin.

Und die Mass Shootings verhindern auch, dass man mal ruhig auf die Statistiken schaut. Denn von den 33.000 Toten, die starben, weil eine Kugel sie tötete, haben 22.000 selber den Abzug gedrückt.

Denn mit einer Erfolgsquote von 94% ist das auch eine sichere Methode. Wir Europäer müssen und erhängen, irgendwo runterspringen oder uns vergiften.
Einen Abzug zu drücken ist viel leichter.

Die Massenerschiesser haben sichtlich einen an der Waffel. Aber auch Selbstmörder leiden natürlich an psychischen Problemen. Trotzdem: Je höher die Hürde, desto weniger Selbstmorde.

Das bedeutet eben auch: Je mehr Waffen, desto mehr Selbstmorde.

Diese Menschen, die sich da leise aus Verzweiflung das Leben nehmen, das sind die wahren Opfer des American Dream. Das gilt es in noch höherem Maße zu verhindern, als die Mass Shootings.

Das sind Kriegsopfer. Opfer einer Lobby, die für ihre wirtschaftliche Bedeutung einen zu hohen Einfluß hat. Opfer der NRA, die in Wirklichkeit nicht Grundrechte verteidigt, sondern Argumente liefern soll für Leute, denen Schießen einfach Spaß macht.

Das ist alles. Die schiere Lust an Waffen kostet Amerika jährlich 30.000 Menschenleben.
Der Mythos, die Emotion, das Gefühl verhindert eine Diskussion. Verhindert Vernunft.

In den USA herrscht eigentlich Krieg.
Und die 20.000 Selbstmörder im Jahr, das sind die Toten, von denen keiner spricht.


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 October 6, 2015  14m