Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0296: Captain Germany


Als Kind wollte ich auch Superheld sein. So wie Robin z.B. Ich habe mir sogar einen eigenen Superhelden-Dress genäht. Heimlich. Ich wäre dann der erste deutsche Superheld gewesen! Das wird nun wohl Captain Germany. Wir horchen bei der Präsentation zu!

Download der Episode hier.
Opener: „Jeff Dunham und Melvin der Superheld“ von Robin Marby
Closer: „Tom Cruise Verarsche Uncut – Superhero (german)“ von canpolat104
Musik: „Dreams“ von Thomas COMAS / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Nach den Vorfällen von New York, wo eine Gruppe Superhelden die Invasion ausserirdischer Mächte abwehren konnte, beschloss der deutsche Bundestag am 2.10. 2012, einen Ausschuss mit der Entwicklung eines deutschen Superhelden zu beauftragen. Mehrere Modelle wurden angedacht.

Die Firma EADS wurde mit der Entwicklung eines Iron-Man-Anzugs beauftragt und versprach die Fertigstellung eines ersten Prototypen für das Jahr 2035. Man müsse erst den Jäger 90 zu Ende entwickeln, so die Auskunft des Konzerns.

Erste Experimente in verschiedenen Atommeilern, um eine Art deutschen Hulk zu entwickeln, scheiterten aber schon nach kurzer Anlaufzeit an dem Protest von Greenpeace und der Bevölkerung.

Man konzentrierte sich also bald auf das Modell „Captain America“, dass am leichtesten umsetzbar schien. Denn jemand, der nur gut Bogen schießen kann, wollte man dem deutschen Wähler genauso wenig vorstellen, wie eine Frau, die toll mit Pistolen umgehen kann und beim Bodenturnen halt sexy aussieht.

Eine Agentur bekam den Auftrag, für diesen „Captain Germany“ getauften Superhelden einen passenden Dress zu entwickeln. Wir hören gerade die Präsentation.

W: „Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Wir haben nach vielen Studien einen Dress gestaltet, der dem von Captain America in nichts nachsteht und der es unserem Superhelden möglich macht, für die Power und die Interessen Deutschlands zu stehen. Sehen Sie hier: Captain Germany!“

Der Werber drückt einen Knopf. Es erscheint eine Raytracing-Darstellung von einem muskelbepackten Mann mit Helm, Kampfanzug und Schild. Er schaut konzentriert und gefährlich. Die Schulterrüstung ist in schwarz gestaltet, der Kevlar-Brustpanzer in tiefem Rot und die Hosen und Stiefel in Gold. Wie die Nationalflagge. Auf dem kreisrunden Schild prangt auf goldenem Grund ein schwarzer Adler aus Metall. Der Applaus ebbt aber ganz schnell ab.

Es wird sehr still. Nichts fällt zu Boden. Und selbst das kann man hören.

Der Vorsitzende des Ausschusses, Christan Ströbele, ergreift das Wort.

CS: „Ja, vielen Dank, Herr Dings, Herr…, na ja, vielen Dank ihnen für ihre Arbeit. Die sicher intensiv war und ganz hervorragend! Aber das ist nicht wirklich das, was wir hier in Deutschland suchen. Das ist nicht der Superheld, den Deutschland verdient. Das ist nur eine Schwarz-Rot-Gold angestrichene Version von Captain America. Wir hätten da durchaus einige wichtige Änderungen…“

W: „Ja. Natürlich. Das ist ja auch nur ein erster Entwurf. Eine Skizze sozusagen. Was wir halt… Wie wir halt… Weil wir dachten, das hier sei so ihr Wunsch. Ungefähr. Aber das mit den Änderungen ist überhaupt kein Problem Ich habe unser gesamtes 3D-Grafikteam mitgebracht. Sie sagen uns einfach ihre Vorstellungen, dann können die Grafiker das sofort umsetzen! On the fly, sozusagen, wie wir Werber das nennen. Und das Ergebnis sehen wir dann sofort hier auf der Leinwand…“

CS: „O.k. Hmmm. Na gut, sie sollen diese Chance haben. Also. Das ganze Problem fängt schon einmal mit dem deutschen Wappen auf dem Schild an. Das geht so gar nicht. Sie müssen verstehen, dass unsere europäischen Nachbarn da sicher Bedenken haben. Dass das sozusagen negative Erinnerungen hervorruft. Als dieses Wappen in ihren Städten wehte. Sie verstehen?“

W: „O.k. Klar! Kein Problem! (ins Mikro: Habt ihr das?) Warten Sie kurz…“

CS: „Nein, nein, nein. Machen Sie sich keine Mühe. Das Schild ist an und für sich keine gute Idee! Wir wollen ja den Bürger nicht abwehren. Wir wollen gar nicht erst den Eindruck erwecken, wir bräuchten ein Schild. Das ist ja eher mittelalterliche Technologie. Unser Superheld sollte so autonom und selbstsicher sein, dass er sich nicht hinter einem Stück Metall verstecken muss.“

W: „O.k. (ins Mikro: Macht den Scheiss-Schild ganz weg! Das war auch eine Scheiss-Idee. Wer hat das ausgeheckt? Ich? Nie im Leben!“

Auf der Leinwand erscheint Captain Germany sofort ohne Schild.

W: „Sonst noch was?“

CS: „Auch die Nationalfarben auf dem Dress brauchen wir eigentlich nicht. Aus ähnlichen Gründen wie oben. Wir sind zwar irgendwie alle Deutsche, aber auch Captain Germany weiß, dass es einfach Glück war, hier in einem Labor geklont zu werden…“

W: „Kein Problem, einen Moment…“

CS: „Halt, warten Sie! Der ganze militärische Kampfanzug ist keine gute Idee. Wir wollen ja gar keinen Supersoldaten! Wissen Sie, wir wollen nicht, dass die Bundesbürger vor ihrem Superhelden Angst haben. Der wurde ja mit ihren Steuergeldern bezahlt! Sie sollen sich ihm selbstverständlich nähern können. Und das ganze Kevlar ist ja auch unnötig! Das ist ja hier nicht Amerika, wo jeder eine Schusswaffe im Schrank hat. Wissen Sie wieviele Patronen deutsche Polizisten 2013 verschossen haben? Nicht. Es waren acht Stück! Verstehen Sie? Wir brauchen etwas Zivileres!“

W: „Zivileres? Was Ziviles? Jeans?“

CS: „Vielleicht etwas eleganter, oder?“

W: „Ich hab’s! Einen Anzug! (Ins Mikro: Gebt Captain Germany einen Anzug, einen ganz stinknormalen Anzug. So, wie ich das von Anfang an gesagt habe! Doch! Doch, hab ich schon!) Diese Anfänger… (lacht verlegen) Gleich kommt der neue Entwurf!“

CS: „Schön. Kann der vielleicht auch normal dastehen. Diese gekauerte Angriffsstellung passt ja gar nicht zu einem beigen Anzug, oder?“

W: „Klar, kein Problem. (Ins Mikro: Stellt ihn normal hin! Schnell! Wie einen normalen Menschen halt! Nein, nicht wie Du und ich! Wie ein Abgeordneter halt!)“

CS: „Ah. Ich sehe! Sehr schön! Wissen Sie, was ich mir gerade gedacht habe? Diese Superhelden-Anatomie, diese ganzen Muskeln, die braucht es doch gar nicht. Also die heutigen Probleme Flüchtlinge, Neonazis, Klimaerwärmung und Angela Merkels Frisur, die brauchen ja nicht wirklich Muskelkraft, oder? Man kann ja einen Herbststurm nicht k.o. Schlagen, wenn sie verstehen, was ich meine!“

W: „Wie? Sie wollen einen dicken Captain Germany?“

CS: „Nein, einfach durchschnittlicher. Wie unsere Bürger eben. Ein Superheld, klar, aber einer mit Würde. Mit grauen Schläfen. Mit Erfahrung. Könnte Captain Germany nicht einfach, sagen wir ‘mal etwas über 60 sein? Hm.“

W: „Ein alter Superheld? Mit Würde? Im Ernst?“

CS: „Ja! Und statt Muskeln geben Sie ihm vielleicht einen kleinen Bauch, hmm? Damit der Bundesbürger sich in ihm erkennen kann, verstehen Sie?“

W: „Ok! Einen Moment! (Ins Mikro: „Habt ihr das? Macht ihn groß, aber alt. Kleiner Bauch, graue Haare. Nee, keine Glatze, spinnst Du? Du kannst nachher Deine Sachen packen, Du Penner! Volles Haar natürlich!“) Kommt gleich!“

CS: „Bin schon gespannt! Übrigens: Captain finde ich auch nicht so gut. Das ist so militärisch. Wie wär’s mit Mister?“

W: „Mister Germany?“

CS: „Genau!“

CS: „Oder noch besser, immer diese Amerikanismen. Wie wär’s mit Herr Deutschland?“

W: „Im Ernst?“

CS: „Das ist doch gut! Das machen wir!“

Der Entwurf erscheint endlich auf dem Bildschirm. Beifälliges Gemurmel erfüllt den Ausschuss. Leichter Applaus setzt ein. Der dann kräftiger wird. Der Werber grinst stolz.

CS: „Vielleicht können wir das gleich an jemandem testen, der nicht an dem Projekt beteiligt war. Sieglinde, können Sie ‘mal die Reinigungskraft von nebenan holen, die da die ganze Zeit am Putzen ist?“

Die Reinigungskraft wird hereingeholt…

CS: „Hallo, Herr… Herr Dings. Sehr angenehm. Ströbele. Also, wir haben hier einen Entwurf für Herr Deutschland. Der erste deutsche Superheld. Was fällt Ihnen dazu ein?“

R: „Aber den kenn’ ich doch. Des, des is doch der Seehofer! Des isch der Horscht Seehofer!“

CS: „Stimmt. Das ist der Seehofer!“

W: „Ach, Du Scheisse!“


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 October 2, 2015  13m