Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0294: Der Sputnik-Schock


Die Geschichte geht so: Die Russen waren als erste im Weltall und dann hat der Westen tapfer aufgeholt und ist dann zuerst auf dem Mond gelandet. Wegen einer kleinen Metallkugel, die 1957 einen Ton aus dem Orbit übertrug. Wegen des Sputniks. Das ist aber bloß eine Geschichte, die historische Wahrheit ist eine andere.

Download der Episode hier.
Opener: „HD Stock Footage Soviet Union Launches Sputnik Satellite“ von Buyout Footage Historic HD Film Archive
Closer: „Who are Russians in reality?“ von ReelFarm
Musik: „Take the other way“ von The Willie Wagtails / CC BY-NC 3.0

+Skript zur Sendung
Die Legende geht ungefähr so: Nach dem Zweiten Weltkrieg kam mehr oder weniger sofort der Kalte Krieg. USA gegen Sowjetunion. Kapitalismus gegen Sozialismus. Gut gegen Böse.

Wobei der Westen immer einen Vorsprung hatte. Nicht nur was den Wohlstand betrifft, sondern auch bei der Technologie. Man pflegte sich über die Russen und ihre technischen Errungenschaften lustig zu machen. Alles zurückgeblieben. Alles nur Bauern. Habt keine Angst! Und kommt unter unsere Fittiche.

Und dann kam der 4. Oktober 1957 und die Menschheit schoss den ersten selbstgebastelten Satelliten ins Weltall. Eben Sputnik. Und das war dann der berühmte Sputnik-Schock.
Was, die Bauern sind uns technologisch voraus? Die können einen Satelliten ins All schicken und wir nicht? Eisenhower, Du alte Pflaume, wie hat es nur so weit kommen können?

Was kommt als nächstes? Der Mond, die Venus, der Mars? Es ist das Raumfahrtzeitalter und wir haben es verpennt? Na, jetzt aber ‘mal ran!

Und wegen dieses Schocks landeten dann die Guten, die Amerikaner, auch als erste auf dem Mond. Ha, Aufholjagd geglückt! Den haben wir’s gezeigt.

Ein schöner Mythos aus dem Kalten Krieg. Der aber so einfach nicht stimmt. Natürlich. Sonst wäre die Sendung ja auch schon vorbei.

Zuförderst muss man den sogenannten Sputnik-Schock erst einmal als das ansehen, was er wirklich war. Denn es geht dabei nicht um die friedliche Erforschung des Weltraum. Oder die internationale Föderation der Planeten.

Die beiden Machtblöcke hatten ein geographisches Problem. Sollte sich eine Armee auf den Weg zur anderen machen wollen, dann waren die zu Fuß erst einmal ein paar Wochen unterwegs. Darum wollte man ja auch lieber Atombomben aufeinander werfen.

Aber auch dafür war die Entfernung zu groß. Es war 1957 noch gar nicht lange her, dass Zivilflugzeuge die Distanz Paris-New York ohne Zwischenstopp schafften. Und Moskau ist noch einmal eine Ecke mehr.

Und weil so eine Rakete ein ballistisches Geschoss ist, muss sie einen Bogen fliegen. Die konnte nicht in Bodennähe die 10.000 km aus eigener Kraft fliegen. Und wenn man einen Bogen von Moskau nach New York fliegt, dann landet man im Weltall. Das beginnt nämlich, von unten nach oben betrachtet, schon nach 100 km.

Wenn also die Russen einen Sputnik ins All schicken konnten, dann könnten sie dem das nächste Mal auch atomaren Sprengstoff beigeben. Und die Kurve so ausrechnen, dass der auf dem Times Square landet. Das ist also der eigentliche Schock.

Der er aber nicht war. Selbst die erste Wochenschau, die im Opener lief, berichtet zwar von einem neuen Mond, nennt das aber einen wissenschaftlichen Durchbruch.

Präsident Eisenhower selber war am 4. Oktober Golf spielen. Und die meisten amerikanischen Zeitungen druckten die Nachricht in einer kleinen Box auf Seite 3.

Die Russen hatten Satelliten-Starts schon seit 1951 angekündigt. Mindestens schon zwanzig Mal. Hat aber nie geklappt. Erst Sputnik schaffte das. Und das war eine Metallkugel, ein bisschen größer als eine Metallkugel, die nichts anderes konnte, als einen einzigen Ton zu funken.

Mehr noch: Der Osten hatte das dem Westen sogar genau vorangekündigt. Abschussort, Uhrzeit und Flugbahn waren bekannt. Weshalb auch hunderte Hobby-Astronomen in dieser Nacht das Signal anpeilen konnten.

In Wirklichkeit war dieser kleine Ball dem amerikanischen Militär einfach wurst, sie verfolgten den Flugkörper erst nach der dritten Umrundung, nachdem eine Pressemeldung von der AP veröffentlicht wurde.

Denn in Wirklichkeit hatten die Amerikaner schon lange zwei verschiedene Satelittenprogramme am Laufen. Eines von der Navy, dem diese Regierung den Vorzug gab und eines von der Army, wo ein deutscher Ingenieur, Wernherr von Braun, arbeitete. Und seine Nazitechnologie, die V2, schon längst so weit hatte, dass man Satelitten hätte starten können.

Aber man wollte das gar nicht. Man wollte absichtlich nicht der erste sein. Das war politische Strategie. Denn die internationale Rechtslage war da noch gar nicht gegeben. Eisenhowers Absicht war es eine Regelung zu finden, dass es den Amerikanern erlaubte, im All Satelitten zu haben, die jedes Land überfliegen durften.

Weil man genau um den militärischen und strategischen Nutzen wusste. Diese Doktrin hieß „Open Skies“. Wären die Amerikaner zuerst gestartet, hätte sich die Sowjetunion so einer Regelung vielleicht dauerhaft entgegen gestellt. So aber waren sie natürlich zur Zustimmung verpflichtet.
Und diese Regelung macht eure Smartphones auch heute noch überhaupt operabel.

Tatsächlich hatte die Army, also Wernher von Braun, schon im Jahr zuvor eine seiner Raketen gestartet, die sogenannten „City Wreckers“ – Stadtabreisser – was schön die militärische Absicht bebildert. Aber aus strategischen Gründen war die letzte Stufe, die vierte Stufe mit Sand gefüllt statt mit Treibstoff. Damit sie nicht aus Versehen den Orbit erreichte.

Doch schon eine Woche nach dem Start des Sputniks begann sich die amerikanische Presse mit Horrorszenarien gegenseitig in die Höhe zu pushen. Und erst da war der Sputnik-Schock geboren. Und weil das so gut fruchtete, begann eben auch die Bevölkerung Angst zu haben, dass es schon in kurzer Frist sowjetische Raketen auf jeden beliebigen Punkt der USA hageln könnte.

Also musste die Politik reagieren. Und tatsächlich begann dann ein Wettrennen ins All. Und die NASA wurde gegründet und Millionen und Abermillionen in aufwendige Pressearbeit und Marketing gesteckt, um die Schlappe wettzumachen.

Und weil dann, 1969, alle getröstet waren, der Imageschaden behoben, ließ man das ganze schöne Programm auch auslaufen und einschlafen.

Hätte es keinen künstlich gebastelten Sputnik-Schock gegeben und das Weltraumprogramm wäre langsamer angegangen worden, mit weniger Aufhebens, mit billigeren Raketen, mit Raumflugzeugen und einer sich selbsterhaltenden Mondbasis – alles Pläne von vor dem Sputnik-Schock – dann hätten wir das heute, 2015, längst schon.

So aber dann sich dann das teure, kurzfristige Projekt der Army gegen das wissenschaftlichere und besser geplante der Navy durchgesetzt. Und wir freuen uns heute schon, wenn eine Marssonde nicht gleich kaputt geht.

Das ist der wahre Sputnik-Schock. Am 4. Januar 1958 verglühte der Sputnik in der Atmosphäre. Hat aber schon keinen mehr interessiert.


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 September 30, 2015  14m