Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl00293: Die Sorben


Ich habe vor 1989, also vor dem Fall der Mauer, wohl den Begriff „Sorben“ gehört, aber ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. „Wahrscheinlich ein Nachbarvolk der Serben“, dachte ich ignorant. Aber die Sache ist viel spannender! Heute also geht’s um eine besondere Art von Deutschen.

Download der Episode hier.
Opener: „Hetzjagd auf Sorben | exakt | MDR“ von MDR Mitteldeutscher Rundfunk
Closer: „Bayrischer Biergarten Witz“ von Michael Reiners
Beitragsbild: By Julian Nitzsche (Own work (own photograph)) [GFDL or CC BY 3.0], via Wikimedia Commons
Musik: Sorbisches Männerquintett Bautzen – Sebski muski kwintet

+Skript zur Sendung
(Ohren spitzen!)
/intro_sorbisch

Das war sorbisch!

Und willkommen bei den Lach- und Sachgeschichten mit dem Explikator.

Im superkurzen Opener von heute habt ihr’s schon gehört: Neonazis machen Jagd auf junge Sorben!

Die Sachlage ist aber bei weitem nicht so schlimm, wie dieser reißerische Beitrag des MDR es uns glauben machen will. Es gab tatsächlich solche Übergriffe, aber es zeichnet sich nicht ein Bild von einer geplanten anti-sorbischen Kampagne. Meint auch David Statnik von der Domowina.

Wäre auch ein Treppenwitz der Geschichte, denn die Sorben gibt’s definitiv. Die Germanen, auf die sich die Dunkeldeutschen berufen, aber eben nicht. Wie bereits im Explikator berichtet.

Sorben werden nicht generell verfolgt und unterdrückt, der Ministerpräsident Sachsens, Stanislaw Tillich z.B. ist Sorbe. Hänseleien oder Schlägereien und spitze anti-sorbische Bemerkungen aber ganz sicher. Und eben diese beiden gemeldeten Vorfälle.

Wie bitte? Das geht euch alles zu schnell? O.k. Kann ich verstehen. Wenn ihr aus den veralteten Bundesländern stammt, dann kann es gut und gerne sein, dass ihr noch nie etwas von den Sorben gehört oder gesehen habt. Das ging mir nämlich früher auch so.

Die Sorben sind eine spezielle Geschmacksrichtung deutscher Bundesbürger, die vor allem rund um die Lausitz lebten und leben. Sie sind die Nachfahren mehrerer slawischer Stämme, die nach der Völkerwanderung hier eingewandert sind.

Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass dies keinerlei slawische Invasion war, wie im Dritten Reich gerne behauptet. Speziell diese Gebiete im Osten des heutigen Deutschlands waren praktisch menschenleer. Die Völkerwanderung hatte dafür gesorgt. Die Vormieter an der Lausitz, die Ostgoten, hatten sich einfach in sonnigere Gefilde aufgemacht.

Gut, da wohnten die also friedich ab dem 6ten Jahrhundert, waren Bauer und trieben Handel. Und kein Slawe hatte damals die Idee: „Lasst uns ‘mal einen Staat gründen! Nationalismus, das klingt nach einem Begriff mit großer Zukunft!“ Sonst wäre dieser Staat von der Ostsee bis ans Erzgebirge gegangen.

In einer anderen Ecke Europas hatten aber die Franken genau diese ausgeflippte Idee und erklärten die Landstriche, in denen diese slawischen Stämme lebten, prompt auch zu ihrem Staatsgebiet. Ohne viel Blutvergießen. Das kommt erst später.

Um alles einfacher zu machen, nannte man diese Slawen bald alle Sorben. Oder aber Sorben und Wenden, wie es heute noch manchmal üblich ist. Wobei die Sorben in Sachsen leben und die Wenden in Brandenburg. Wer denkt, dass sei ein Zeichen mangelnden Respekts, der hat völlig recht. Denn ab jetzt wird’s unschön.

Natürlich gab es nun Kriege , natürlich wurden die Sorben zwangsintegriert, ihre Sprache immer wieder verboten und vor allem die Landgebiete minimiert.

Slawen waren für die Nazis Untermenschen, so viel ist klar. Den Sorben kam nur zugute, dass damals die Phrenologie so beliebt war. Nach viel Schädelvermessen kam man zu dem Schluss, dass Sorben und Wenden ein deutsches Volk geworden sind. Sie sollten einfach integriert werden. Sorbisch wurde an den Schulen verboten. Alle Institutionen und Vereine, die sich in der Weimarer Republik gegründet hatten wurden geschlossen. Alle Ortsnamen wurden zwangsarisiert – was in mehr als der Häfte der Fälle nie zurück genommen wurde.

In der DDR dann sollten die Sorben zur Vorzeigeminderheit ausgebaut und speziell geschützt werden. Schließlich bestand ja auch das sowjetische Brudervolk aus Menschen mit slawischen Vorfahren. Aber ernsthafte Konsequenzen hatte das nicht. Die sorbischen Höfe wurden auch in LPGs integriert und allesamt Opfer der industriellen Flurbereinigung.

Und der Braunkohlebergbau fraß das sorbische Land natürlich auch systematisch weg. Pustekuchen mit dem Sonderstatus, wenn ihr mich fragt.

Jetzt gibt es in Deutschland noch 60.000 Sorben. Liest man immer wieder, eine ursprüngliche Quelle habe ich nicht gefunden, das schreibt wohl einer vom anderen ab. Denn woher will man das wissen? Im Reisepass oder im Personalausweis steht das ja nicht. Wenn man ein bisschen bohrt, dann sind es wohl 60.000 Deutsche, die sich als Sorben empfinden. Das ist recht und billig.

Ca. 20.000 Menschen sprechen noch sorbisch. Wie z.B. der Maik, der mir dankbarer Weise das Intro eingesprochen hat. Die wohnen auch noch überwiegend in den typisch sorbischen Gebieten, die man gut und gerne an den zweisprachigen Ortsschildern erkennen kann.

Denn sonst ist da auch nichts zu erkennen. Sorben sind nicht größer oder kürzer, breiter oder schmäler, sie haben keine lila Haut oder getupftes Fell. Sorbe zu sein ist heutzutage die Entscheidung für ein gewisses Kulturgut. Wie z.B. die Sprache oder die Riten.

Das Osterreiten und die Vogelhochzeit sind beliebte touristische Ausflugsziele, wo man die schönen sorbischen Trachten begaffen kann. Viele mögen auch die irre schönen Ostereier kennen oder den Wassermann. Oder die Mittagsfrau. Oder aber die Geschichte um Krabat, vor allem in der Version von Ottfried Preussler bekannt.

Aber mittlerweile gibt es wieder viel mehr sorbische Kultur. Die Domowina, der Verein von vorhin, ist eine Interessenvertretung der Sorben, eine Art Dachverband sorbischer Vereine mit ca. 7000 Mitgliedern. Es gibt sorbische Rundfunksendungen, sorbische Tages-, Wochen- und Monatsschriften, ein Volkstheater und jeden Monat eine Sendung für die Ober- und die Niedersorben. Dauert eine halbe Stunde.

Aber das Problem liegt für die Sorben heute ganz woanders. Nämlich da, wo auch das Problem mit den Neonazis herkommt. Denn die Lausitz ist ein Gebiet Deutschlands, das langsam ausblutet. Auch wenn man mit allen möglichen Tricks und Angeboten Touristen anlocken will, stellt sich kein Erfolg dar. Und anderweitig ist da keine Industrie und keine wirtschaftliche Entwicklung, die einen optimistisch stimmen könnte.

Viele junge Sorben haben vor Ort wohl nicht viel Chancen, sich eine stabile Zukunft aufzubauen. Und wandern deswegen ab. In Gegenden, wo es völlig unwichtig ist, ob Du Sorbe bist oder Westfale. In die Städte, wo es Arbeit gibt.

Wollte man also wirklich die sorbische Minderheit schützen, müsste man intensiv in einen richtigen Aufbau Ost investieren. Die Ansiedlung von Betrieben fördern. Bildungsangebote vor Ort schaffen. Das würde auch dem Neonaziproblem helfen, könnte ich mir vorstellen.
Denn die Lausitz ist eben schon seit über 1000 Jahren eine Ecke Deutschlands , in der zwei verschiedene Sprachen gesprochen werden. Von deutschen Bürgern.


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 September 29, 2015  11m