Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0292: Omega-3-Fettsäuren


Ich esse keinen Fisch. Und irgendwie fühlte ich mich da immer schlechter als bei meinem Verzicht auf Fleisch. Wahrscheinlich, weil ich Bedenken hatte, dass mir die wichtigen Omega-3-Fettsäuren in der Ernährung fehlen. Aber gibt es Grund für diese Bedenken?

Download der Episode hier.
Opener: „Omega-3-Fettsäuren“ von Sven Dr. Hauck
Closer: „Airplane! Don’t Eat the Fish!“ von Michael Casey
Das Paper in Science: Greenlandic Inuit show genetic signatures of diet and climate adaption, 18. September 2015
Musik: „Fishing“ by Reaction 7 / CC BY-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Aus irgendeinem Grund haben sich die Menschen ja schon vor geraumer Zeit über die ganze Welt verbreitet. Die unwirtlichsten Gegenden des Planeten wurden besiedelt, wie z.B. die Wüste, das ewige Eis und die Gegend um Wanne-Eickel.

Besonders faszinierend sind da natürlich die Inuit. Menschen, die in eine Gegend gezogen sind, wo sie keine Pflanzen anbauen können und keinen Orangensaft ernten können. Stattdessen bestand ihre Diät tagaus, tagein aus Tieren, die sie aus dem Meerwasser fischen konnten. Wal, Seehund und viel Fisch.

Diese Diät spottet jeder Ernährungspyramide, wie sie Schulkinder bei uns in ihre Sachkundehefte malen müssen. Aufgrund unserer bisherigen Erkenntnisse müssten die Inuit alle in ihren 30ern vom Herzschlag dahingerafft werden. Werden sie aber nicht. Sondern sie haben praktisch keinerlei Gefäßerkrankungen.

Und die sind bei uns im Westen ja der zweithäufigste Grund für ein vorzeitiges Ableben. In den 70ern haben dann dänische Wissenschaftler, Dr. Hans Olaf Bang und Dr. Jorn Dyerbergm die die Inuit untersuchten, die Theorie geboren, dass diese kräftigen Herzen der Inuit von den Omega-3-Fettsäuren herrühren.

Und Studie um Studie schien das zu bestätigen. Mittlerweile werden den Omega-3-Fettsäuren alle möglichen Heileffekte zugeschrieben. Sie sind wichtig beim Aufbau der Zellmembranen, für die Netzhaut, für alle Nervenzellen und eben für die Gefäße.

Sie helfen gegen Parkinson, Alzheimer, Krebs, selbstverständlich auch gegen Depression und, wie sollte es anders sein, auch gegen ADHS. Mittlerweile, so Schätzungen, ergänzen 10% der Menschen in Europa und den USA ihre Ernährung mit Omega-3-Fettsäuren.

Doch, ob das alles so stimmt, ist nicht einmal klar. Zum einen fällt auf, dass die Inuit noch nie eine hohe Lebenserwartung hatten. In Kanada z.B. werden die Inuit-Männer 67 Jahre alt, der Rest der Bevölkerung glatte 10 Jahre mehr. Ja, das liegt daran, dass die sich mittlerweile auch von Junkfood ernähren, so die Fettfäure-Fans.

Doch groß angelegte Metastudien in Europa und in den USA kommen zu einer kritischeren Einschätzung der Wunderfette. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit formuliert mittlerweile vorsichtig: „Omega-3-Fettsäuren tragen zur normalen Funktion des Herzens bei.“

Alle anderen Wirkungen weist sie zurück. Omegas wirken nicht auf den Cholesterinspiegel, haben keine positive Wirkung auf das Immunsystem, regulieren nicht den Blutzucker und schützen auch die Haut nicht vor UV-Schäden, so die Behörde.

Für den Zeitraum von 2006 bis 2012 lassen sich 24 große klinische Studien finden, in denen der positive Effekt untersucht wurde. 22 dieser Studien konnten keinerlei Effekt von Fischölen nachweisen.

Und das sind keine kleinen Untersuchungen. Eine Studie, veröffentlicht 2013 im The New England Journal of Medicine, untersuchte 12.000 Personen, die über Jahre Fischölkapseln supplementierten. Es kam zu keinerlei postiven Wirkungen, die den Effekt überschreiten, den auch Placebos produziert hätten.

Der Leiter der Studie, Dr. Gianni Tognoni vom Institut für Pharmacologische Forschung in Mailand meint lapidar: „Ich denke, die Ära des Fischöls als Medikament kann man jetzt für abgeschlossen halten.“

Schön und gut. Aber wie kommt’s nun, dass die Inuit keine Herzinfarkte haben? Wäre ja schon interessant zu wissen. Am 18. September diesen Jahre erschien in der Science eine Studie, die vielleicht ein ganz neues Licht auf diese ganze Fischöl-Geschichte wirft.

Dr. Nielsen, ein Genetiker von der University of California in Berkeley und sein Team haben bei den Inuit nämliche eine genetische Veränderung gefunden, die praktisch bei 99% aller Inuit vorliegt, immerhin bei 25% der chinesischen Bevölkerung, aber nur bei 2% der Bewohner Europas.

Und dieses Gen verändert die Art und Weise, wie der Körper Fettsäuren verarbeitet, komplett.
Trotz des hohen Fettgehalts bleiben die Blutwerte der Inuit normal, weil sie eben durch diese evolutionäre Anpassung bestens für ihre Seafood-Diät ausgerüstet sind.

Das ist keine seltsame oder überraschende Anpassung. Wir kennen das ja von vielen anderen Beispielen. Kulturen, die Kühe halten, wie wir in Europa oder wie in Ostafrika, passen sich an den Verzehr von Milch an und können diese verarbeiten. Man nennt das die Lactasepersistenz-Mutation. Die in anderen Kulturen nicht stattfindet.

Inuit z.B. vertragen keine Kuhmilch. Wollten sie jetzt unsere hohe Lebenserwartung erreichen, würde es ihnen in keinster Weise helfen, Milchpulverkapseln zu schlucken.

So wie es uns Europäern wohl wahrscheinlich auch nicht hilft, unsere Ernährung mit Fischölkapseln zu ergänzen.

Vielleicht sollte man das abschließende Urteil noch nicht fällen, eine sehr interessante Studie zu diesem Thema steht noch bis nächstes Jahr aus. Die sogenannte „Vital Study“, die seit fünf Jahren 26.000 Menschen untersucht, die Fischöle und/oder Vitamin D supplementieren.

Aber ich würde darauf wetten, dass die Zeiten der Fischöle vorbei sind.

Ein Gedanke noch: Wie kommt es, dass fast alle Studien in den Achtzigern positive Resultate aufzeigen und fast alle Studien in den Zehnern negative? Wo ist da die wissenschaftliche Objektivität? Kann mir das mal bitte jemand erklären?


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 September 28, 2015  11m