Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0288: Das Ikea-Syndrom


Anscheinend haben viele Paare das Problem, regelmäßig an Ikea zu scheitern. Zwar gibt es für dieses Syndrom keinen Namen, aber es kommt so häufig vor, dass sich schon Psychologen und Therapeuten damit beschäftigen. Heute geht’s also darum, warum das so ist.

Download der Episode hier.
Opener: „The IKEA Group – The Story of How We Work“ von IKEA USA
Closer: „I Fear IKEA by The Lancashire Hotpots“ von LordSnedOfBury
Colline Purtill @ Quartz: The psychology behind why couples always fight when assembling Ikea furniture
Musik: Ikea von Jonathan Coulton / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Im Schwedischen gibt es eine Redensart, die übersetzt so viel heißt wie: „Wenn Du wissen willst, ob Dich jemand wirklich liebt, dann bau’ mit ihm einen Ikea-Schubladentisch.“

Na, ok. Zugegeben, das habe ich mir ausgedacht. Aber es sollte diese Redensart geben. Denn nichts führt anscheinend in einer Beziehung sicherer zu Streit, als gemeinsam Ikea-Möbel aufzubauen.

Colline Purtill vom Magazin „Quartz“ sprach mit einer ganzen Reihe von Psychologen und Psychotherapeuten. Und alle wussten sofort, was gemeint war. Der Artikel ist auf der Website verlinkt.

Warum also gibt es dieses Ikea-Phänomen in Beziehungen? Warum gerade bei Ikea?

(Besonders viel darüber Gedanken gemacht hat sich Dr. Ramani Durvasula aus New York. Denn nachdem gerade Streits um Ikea herum in den Therapiegesprächen ihrer Patienten so oft eine Rolle spielten, hat sie sich die Gründe dafür näher angeschaut.)

Alles beginnt schon beim Einkauf im Ikea. Ich habe dazu ja schon einmal eine Sendung gemacht, die Nummer 181, den Ikea-Survival-Kit.

Faktor 1 ist wohl die Art, wie die Beispielräume da aufgebaut sind. Das schaut alles perfekt und lebensnahe aus. Es sind schöne Zimmer, auf jedes Detail ist geachtet, alles ist stimmig arrangiert. Wenn man daheim die Pappkisten aufmacht und nach Stunden das fertige Möbel in den Trümmern ringsum steht, dann kann das nur ein frustrierendes Erlebnis sein. Denn keine Wohnung ist von vorne bis hinten geplant. Unser Alltag ist immer eine krude Mischung aus Dingen, die wir unser bisheriges Leben lang angesammelt haben.

Faktor 2 ist die Ikea-Philosophie. Beim Blättern durch den Katalog und beim Gehen durch die Gänge gewinnen wir den Eindruck, die Entscheidung über den Nachttisch sei eine grundsätzliche Lifestyle-Entscheidung. Die Frage, ob es ein billiger Nesna-Ablagetisch für 8,99 tut, oder aber eine Hemnes-Kommode für 79 Euro besser zum Lebensstil passt, wird auf einmal zu wichtig.

„Was für ein Geizkragen ist DIE denn?“ oder „Dieses verwöhnte Luxuskind!“ sind aber nur der Anfang. In Wirklichkeit steckt dahinter auch die Frage, wie man denn ein gemeinsames Leben gestaltet. Und das liegt an dem dritten Punkt…

Faktor 3 sind die versteckten Themen. Ikea ist schön nach Themen geordnet. Zum Beispiel Schlafen, Kochen und Kinderzimmer. Das macht ja auch Sinn, sonst wäre man in diesen Riesentempeln ja völlig aufgeschmissen.
Aber natürlich hängen damit ganze Themenkomplexe zusammen. Bewusst merkt man das vielleicht nicht. Aber natürlich geht es für ein Paar beim Einkauf eines gemeinsamen Bettes auch um Sex. Ist ja klar. Aber man merkt das vielleicht gar nicht.
„Wieso sollten wir das große Bett kaufen, dann ist ja das ganze Schlafzimmer voll!“

Und bei der Küche geht es natürlich auch um die Verteilung der Haushaltspflichten. „Doch, wenn Du öfter kochen würdest, dann wüsstest Du, wie praktisch der Mülleimer in der Arbeitsfläche ist.“

Und bei Kinderzeug wird’s noch viel schwieriger. Denn da ringt man vielleicht, ohne es zu merken, mit verschiedenen Konzepten der Erziehung. Oder, um’s tiefenpsychologisch noch problematischer zu machen: Mit eigenen Erinnerungen aus der Kindheit.

Faktor 4 wäre das blöde, dämliche Ikea-Männchen. Ja, diese komische Figur in der Anleitung. Die einem immer vermittelt, dass das alles ein Kinderspiel ist. Jeder Idiot kann einen 3 mal 2 Meter großen Spiegelschrank so aufbauen, dass die Hängetüren lautlos und ohne Kraftaufwand aufgleiten. Und das die Schubladen sich so sexy die letzten Zentimeter selber schließen. Es stellt sich halt heraus, dass das eben nicht so ist. Im echten Leben wäre es eine Bachelorarbeit wert, den Aufbauprozess so aufzdröseln, dass er nachzuvollziehen ist. Wir aber stecken Holzdübel und schrauben Imbusschrauben, ohne irgendwie zu wissen, was wir da tun. Stirb, Ikea-Männchen!

Über die Möglichkeit, das ein wichtiges Bauteil fehlt, wollen wir nicht reden hier, die Sendung ist schließlich für alle Altersgruppen konzipiert.

Faktor 5 ist die Kompetenzverteilung beim Aufbau. Stellen wir uns doch einmal das modernste, aufgeklärteste Pärchen der Welt vor. Die alle Aufgaben gerecht verteilen. Voll emanzipiert. Trotzdem wird sich einer der beiden eher in die Lage versetzt sehen, die Anleitung zu verstehen und den Imbus-Schlüssel zu drehen. Der andere muss dann assistieren. Geht wohl kaum anders.
Und dann baut man also mühevoll das Möbel auf. Was an sich nervt. Und das überhaupt nicht so aussieht, wie in der Musterwohnung bei Ikea. Adrenalinpegel deutlich erhöht.

Und dann wendet der Assistent ein: „Ich denke, das Scharnier gehört andersrum festgeschraubt.“
Und, wenn’s ganz schlimm kommt, hat er auch noch recht. Ich möchte ‘mal sehen, wie Gandhi in dieser Situation reagiert hätte. Hätte Buddha da weise gelächelt? Oder Jesus, hätte der nicht einfach geschummelt und ein Wunder gewirkt?

Ihr seht also, mindesten 5 Faktoren arbeiten bei Ikea gegen den Frieden in einer Beziehung. Selbst die Götter scheitern am Aufbau eines PAX mit Schiebetüren. Was aber kann man tun?

Der Artikel von Colinne Purtill gibt da drei Tipps.

Erstens: Beim Aufbau einigt man sich vorher, wer der Boss ist. Und der andere hält die Klappe. Selbst, wenn am Ende eine Schublade weniger im Expedit ist als geplant.

Das ist eine nette Idee, aber wie oben schon klar belegt, leider menschlich nicht machbar.

Zweitens: Pause machen. Wenn die Spannung zu hoch wird, bei diesem letzten Abenteuer der Menschheit, einfach Pause machen. Eine Tasse Tee trinken oder einen Spaziergang machen. Über sich selber lachen.
Auch eine nette Vorstellung. Wenn ihr das könnt, dann sagt mir Bescheid. In den Kommentaren oder per eMail. Ich würde euch dann gerne kennenlernen. Und vielleicht den einen oder anderen Meditationskurs bei euch machen…

Tipp Nummer Drei ist der realistischste: Macht es einfach nicht. Stattdessen schlägt Frau Purtill vor, ein paar Euro draufzulegen und den Montageservice von Ikea in Anspruch zu nehmen. Das ist wahrscheinlich eine gute Idee.

Hier steht auch ein Haufen Ikea ‘rum, ich geb’s offen zu. Aber ich habe eigentlich schon den dringenden Wunsch, da nicht mehr einzukaufen. Und zu warten, bis das Geld reicht, um einen echten Möbelschreiner zu beauftragen. Und dann ein Möbel zu haben, das den Rest des Lebens reicht. Mein Nachttisch braucht nicht meinen Lifestyle bebildern. Er sollte nur neben mein Bett passen. Und die Schubladen sollten einfach auf und zu gehen. Schreiner können das.


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 September 22, 2015  12m