Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0287: Der Ig Nobelpreis


Nachdem ich kein Wissenschaftler bin, sind die Chancen einen Nobelpreis zu gewinnen, eher bei Null. Aber einen Ig Nobelpreis, der wäre vielleicht drin. Denn die sehen das nicht so eng. Die wollen Forschung über die man erst lachen kann und dann darüber nachdenken.

Download der Episode hier.
Opener: „Lots of important things are funny“ von PBS NewsHour
Closer: „Steins;Gate – I am mad scientist, sunuvabich“ von pluton
Homepage des Ig Nobelpreis: Preisträger 2015
Musik: „Half a Million (Tell me what it’s like)“ von Michael Ellis / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Seit 1901 wird der Nobelpreis verliehen. Die Legende will, dass Alfred Nobel den ins Leben gerufen hat, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Verwendeten die Menschen doch seine Sprengstofftechnologie für kriegerische Zwecke! Wer hätte das je gedacht?

Und weil der Nobelpreis so alt und würdig ist und mittlerweile auch ein ehrenhaftes und umständliches Ritual, darum ist er auch so langweilig. Laienhaft ausgedrückt werden da die wichtigsten Erkenntnisse und Durchbrüche der Wissenschaft ausgezeichnet.

Weswegen es in jeder Sparte auch regelmäßig zu Diskussionen kommt. Auch das Verhalten der Preisträger ist mittlerweile ein Ritus. Es gehört auf jeden Fall dazu, von dem eigenen Erfolg völlig überrascht zu sein. Auch wenn man schon Jahre als Kandidat gehandelt wurde und von der eigenen Wichtigkeit zutiefst überzeugt.

Eine etwas trockene, staubige Angelegenheit. Man könnte auch darüber diskutieren, ob das in dieser Form eine gute Werbung für die Wissenschaft ist. Ich finde, dieser ganze Kult um das Genialische und das Außergewöhnlich schreckt eher ab.

Doch, Gott sei Dank, es gibt ja Alternativen. Und mein liebster wissenschaflticher Preis ist erst wieder letzte Woche verliehen worden. Es ist der Ig Nobelpreis. Und das ist eben nicht der sogenannte „Alternative Nobelpreis“, der im Original „Right Livelihood Award“ heißt.
Der Ig Nobelpreis ist eine ganz andere Geschichte. Das fängt schon damit an, dass der Name selber ein Wortspiel ist. Die Buchstaben „IG“ zusammen mit „Nobel“ ausgesprochen formen das englische Wort „Ignoble“. Was ungefähr schmachvoll bedeutet, wie Wikipedia vorschlägt.

Dieser Preis ist für eine spezielle Art der Forschung. Nämlich für Forschungsprojekte, die einen erst Lachen lassen und dann aber vielleicht auch zum Nachdenken anregen können. Es ist nicht wirklich eine Parodie des Nobelpreises oder eine Satire auf das wissenschaftliche Arbeiten. Sondern eher der Beleg dafür, dass Wissenschaftler Humor haben. Weil sie den auch haben müssen.

Denn der Großteil wissenschaftlicher Arbeit ist eben nicht der genialische Gedanke. Man sitzt nicht im Elfenbeintürmchen und grübelt über die Welt. Und findet dann im Geist die Erklärung. Das dachte nur Aristoteles.

Sondern man arbeitet lange und mühsam, in kleinen Schritten, in unzähligen Wiederholungen an seiner Hypothese. Und immer so, dass andere diesen Prozess nachvollziehen können. Wissenschaftliche Arbeit wirkt für einen Außenstehenden meist eher langweilig. Und frustrierend, vor allem, wenn man sich getäuscht hat. Und das passiert oft genug.

Um das geistig auf Dauer durchstehen zu können, muss ein Wissenschaftler wohl aus Selbstschutz zumindest die Eigenschaft entwickeln, über sich selber lachen zu können. Und diese Eigenschaft, die feiert der Ig Nobelpreis. Jahr für Jahr. Seit 1991.

Vergeben wird der Preis von der Zeitschrift „Annals of Improbable Research.“ Im Vergabe-Gremium sitzen wissenschaftliche Autoren, Sportler, Träger öffentlicher Ämter und – Zitat – anderen bekannteren oder weniger bekannten Personen (other individuals of greater or lesser eminence). Und die Tradition will, dass auch ein zufälliger Passant am letzten Tag dazugeholt wird.

Der Preis wird nicht an den Besten, an den Wichtigsten oder an den den Durchbrecheristischen verliehen. Sondern für die lustigsten Leistungen, die nicht wiederholt werden können oder sollten, wie es offiziell heißt. Am 17. September war nun wieder Preisverleihung. Einige der Forschungsarbeiten sollte vorgestellt werden.

Da wäre diese Arbeit zu Mulai Ismael ben Sherif. Das war der zweite Sultan Marokkos aus dem Alawidengeschlecht. Das heute noch regiert. Der trug den Beinamen „Der Blutdurstige“ aber am bekanntesten ist das Gerücht, das er mit seinen 500 Frauen 888 Kinder gezeugt hat. In nicht einmal 30 Jahren. Gut, dass Elisabeth Oberzaucher und Karl Grammer eine Computersimulation berechnet haben, um zu ermitteln, wieviel Geschlechtsverkehr für den Alawiden da so am Tag auf dem Programm stand…

Patricia Yang, David Hu,Jonathan Pham und Jerome Choo haben untersucht wie lange die verschiedensten Säugetiere so pinkeln. Und siehe da: Egal wie groß das Säugetier – Pinkeln dauert immer 21 Sekunden. (Plusminus 13 Sekunden) Ist das nicht fantastisches Wissen?

Dann gab es noch einen Preis für ein Forscherteam, dass die Entdeckung machte, dass Hühner, wenn man an ihrem Hinterteil einen Stab mit Gewichten befestigt, genau so laufen, wie das wohl die Dinosaurier gemacht haben.

Oder die Arbeit von Michael Smith, der sich an 25 verschiedenen Körperteilen – ja, auch dem Penis – von Bienen hat stechen lassen, um zu ermitteln, an welcher Körperstelle das denn am wehsten tut. Kleiner Tipp: Schützt bei einem Bienenangriff eure Nasenflügel!

Weiters wissen wir jetzt auch, dass man den Schweregrad einer Blinddarmentzündung daran messen kann, wie weh es dem Erkrankten tut, über Schlaglöcher zu fahren.

Und viele andere schöne Erkenntnisse mehr. Alles eben Forschung, die nicht wiederholt werden kann oder – in den meisten Fällen – nicht sollte.

Aber auch wenn das alles sehr lustig ist, vor allem die Preisverleihung in Cambridge, die Preisträger werden z.B. zur Ehrbezeugung vom Publikum mit Papierfliegern beworfen sollte man besser einfach mitlachen. Und nicht darüber lachen.

Denn auch, wenn das alles sehr satirisch wirkt, das sind alles wirkliche wissenschaftliche Arbeiten. Und viele neue Erkenntnis wirkt überraschend oder lächerlich. Oder völlig unwichtig. JJ Thompson, der 1898 die Existenz des Elektrons nachgewiesen hat, war sich völlig sicher, dass diese Arbeit völlig unbedeutend war. Auch die Hintergrundstrahlung des Alls – einer der wichtigsten Fingerzeige der Urknalltheorie – wurde einfach für Störungen zweier Teleskope gehalten.

Andre Geim zum Beispiel hat erst den Ig Nobelpreis gewonnen, als er im Jahre 2000 Magnete benutzt hat, um Frösche zum Fliegen zu bringen, und später den echten Nobelpreis. Für die Entdeckung des Graphen. Und das ist ja nun wirklich gerade der heiße Scheiß in der Physik.

Die Erkenntnis einer weiteren Arbeit, nämlich dem Nachweis, dass Malariamücken vom Geruch von Limburgerkäse angezogen werden, hat tatsächlich einen Nutzen ergeben. Dr. Bart Knols entwickelt gerade in Tansania eine Mückenfalle, die tatsächlich Limburger als Köder verwendet. Die Ergebnisse sind vielversprechend.

Klar, die Erkenntnisse von Michael Smith – der mit den Bienenstichen – mögen jetzt nicht unmittelbar zu wirklich wichtigen Resultaten führen. Aber sein wissenschaftlicher Mut ist anzuerkennen, oder? Jede neue Tatsache, die wir von der Welt um uns herum erfahren, ist es wert, bekannt zu werden. Viele wichtige Dinge sind lustig.

Und ist’s nicht vielleicht sogar so: Um Wissenschaftler zu sein, muss man halt auch ein bisschen verrückt sein, oder?


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 September 21, 2015  12m