Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0286: Der Zauberladen


Habt ihr als Kind auch einen Zauberkasten gehabt? Wie jeder halt. Darum kannte auch jeder alle Tricks, die damit so machbar waren und die ganze Sache war im Kern tieflangweilig. Aber in Zauberläden gibt es noch viel mehr solches Spielzeug für Erwachsene. Und selbst ohne Übung kann man dann sofort loszaubern. Darum läuft auch Rainers Zauberladen so gut. Oder?

Download der Episode hier.
Opener: „Easy Coin Trick – Simple Magic For Children“ von Julian’s Magician School
Closer: „Worst Magic Act Ever“ von alex j
Musik: „Anything But Everything“ von Color Out / CC BY-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Rainer wollte immer nur eines: Ein Zauberer sein! Das Publikum verblüffen und an der Realität zweifeln lassen. Im Rampenlicht stehen, eine hübsche Assistentin zersägen und die Menschen halt… …na ja, verzaubern halt.

Seine Eltern begrüßten die Berufswahl nicht sehr. Und so arbeitete Rainer zwanzig Jahre lang brav als Buchhalter in einer großen deutschen Automobilfirma. Als er dann downgesized wurde, bekam er eine schöne Abfindung und eröffnete „Rainers Zauberladen“, mitten in der Altstadt.

Als Zauberer mag er keinen Erfolg haben, eigentlich kann er nur einen Trick, aber als Geschäftsmann… Man kommt über die Runden, pflegt er mit einem Lächeln zu sagen…

Hier steht er hinter seiner Theke, die Regale sind gefüllt mit Zaubertricks und Scherzartikeln. Gerade versucht er ein Geduldsspiel zu lösen, als ein Kunde den Laden betritt.

/Palim Palim
Kunde: Guten Tag!

Rainer pfriemelt noch ein bisschen an dem Geduldsspiel und steckt es dann genervt in eine Westentasche…

Rainer: Tach, der Herr! Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?
K: Ja, also. Meine Tochter hat morgen sechsten Geburtstag. So. Und da wollte ich eine kleine Zaubervorführung machen. So für die Mädchen.
R: Ein schöner Gedanke! Haben Sie ‘mal daran gedacht, einfach einen Zauberer zu engagieren?
K: Ja, schon. Aber das kostet ja gleich ein-, zweihundert Euros. Und ich meine, die sind ja erst sechs… Wenn ich mir einfach ein paar kleine Tricks kaufe, dann merken die doch gar nicht, dass ich nicht zaubern kann…
R: Aha. Na, da sind sie hier auf jeden Fall richtig. Denn meine Tricks sind alle die pure Magie!

K: Was hätten Sie denn so für, sagen wir ‘mal zwanzig Euro?
R: Da hätte ich… Moment… Dieses magische Kartenspiel!
K: Aha. Schaut ja ganz normal aus.
R: Ja, aber damit kann man telepathisch zaubern. Ein Gedankenlesetrick sozusagen!

K: Ah. Wie geht der?
R: O.k. Eine kleine Vorführung. Kostenlos, selbstverständlich. So, hier suchen Sie sich irgendeine Karte aus. Ich schaue weg…
K: O.k. Hab’ ich.
R: Welche war’s?
K: Pik Sieben.

Rainer nimmt die Karten und blättert sie einzeln durch. Dann zieht er ein Karte heraus.
R: Das war diese hier, stimmt’s?
K: Äh. Klar. Die war’s.
R: Et voila!

K: Moment, das ist doch gar kein Trick! Das kann ich mit meinem Kartenspiel für € 1,50 auch!
R: Dann vielleicht das hier! Eine Hypnoseuhr!

Rainer zieht an einer Kette eine goldene Taschenuhr aus seiner Weste und pendelt sie vor den Augen des Kunden hin und her…

R: Schauen Sie nur auf die Uhr. Sie fühlen sich ganz entspannt und zufrieden.
K: Ich fühle mich ganz entspannt und zufrieden…
R: Sie werden jetzt die magischen Karten für € 20,- kaufen, Sie schäbiger Geizkragen…

Der Kunde zückt seinen Geldbeutel, legt 20 Euro auf die Theke. Rainer schnipst und steckt die Uhr weg.

K: Äh ja, schöne Uhr. Aber ich habe an etwas anderes gedacht.
R: Na ja, für zwanzig Euro hätte ich auch diese transsylvanische Zaubermünze.
K: Aber das ist ja nur ein Eurostück.
R: Ja, aber aus Rumänien. Und verzaubert! Die kann sich in Luft auflösen!

K: Das möchte ich sehen!
R: Gut. Also sie sehen, eine ganz gewöhnliche Münze. Ich schließe jetzt meine Hand darum. Und konzentriere mich ganz fest… Und plötzlich…

/SE Coindrop

R: …hat sie sich in Luft aufgelöst!
K: Aber das ist doch auch kein Trick! Das kann ich auch! Sie haben die Münze einfach fallen gelassen! Das geht mit jeder Münze!

Rainer zieht die Uhr aus der Tasche und pendelt sie zwei bis drei Mal vor der Nase des Kunden.
Der zückt einen weiteren 20-Euroschein und legt ihn auf den Tresen. Rainer schnipst.

K: Nee, das gefällt mir auch nicht. Haben Sie nicht irgendetwas Klassisches. Dann halt meinetwegen für 30 oder 40 Euro.
R: Klassisch? Da hätte ich natürlich den Klassiker der Zaubertricks schlechthin. Den magischen Zylinder.
K: Genau, so etwas in der Art!

Rainer dreht sich um und holt einen Zylinder aus dem Regal hinter sich.

R: Also, Sie sehen hier einen normalen Zylinder. Und wie Sie sehen, ist er leer…
K: Stimmt doch gar nicht! Da sitzt ein Kaninchen drin!
R: Ja, aber das kostet extra. Der Zylinder kostet € 40.
K: Sie wollen mich reinlegen, oder?

Rainer klopft nur auf seine Westentasche, da fällt der Kunde wieder in Trance und schiebt € 40,- über die Theke. Schnips.

K: Das ist doch alles Humbug. Können Sie überhaupt zaubern. Und das war auch alles nicht im geringsten spannend oder interessant!
R: Spannend? Spannend habe ich auch. Hier, die Nadel des Todes. Auch € 40,-

Rainer holt ein quadratisches Brett unter der Theke hervor, aus dessen Mitte eine Nadel ragt. So etwa wie die Geräte, die man in in der Gastronomie verwendet um Bestellungen aufzupieksen.

K: Nadel des Todes. Na ja, bis jetzt bin ich nicht überzeugt.
R: Dann passen Sie auf. Ich werde jetzt meine geballte magische Kraft sammeln und auf meine rechte Hand konzentrieren. Schauen Sie genau auf meine recht Hand. Manche feinfühligen Menschen können eine blaue Aura erkennen.

Rainer hebt die Hand hoch in die Luft, verkneift sein Gesicht vor gespielter Anstrengung. Dann ruft er „Shazam“ und knallt die Hand wuchtig auf die Nadel des Todes. Es wird sehr still in Rainers Zauberladen. Eine Schweissperle fällt zu Boden. Man kann das hören…
Die Nadel ragt nun aus seinem Handrücken.

K: Die Nadel ragt nun aus Ihrem Handrücken.
R: Was? Autsch! Oh scheisse! Scheisse, Scheisse! Oh, verdammt, nie klappt dieser beschissene Trick….
K: Ich glaube, diesen Trick will ich nicht käuflich erwerben.

Rainer hat seinen Veitstanz beendet, schaut dem Kunden tief in die Augen und sagt nur:
R: Tick Tock.
Der Kunde ist in Trance und blättert 40 Euro auf die Theke.
R: Sie werden jetzt diesen Kram mitnehmen und den Laden hochzufrieden verlassen! Und mich weiter empfehlen, ist das klar? Schnips.

K: Dann, äh, vielen Dank für die Tricks. Das wird sicher ein Supergeburtstag! Und sehen Sie, die hundert Euro für den Zauberer hab’ ich mir gespart.

Lächelnd geht der Kunde. Und hält einem anderen Kunden die Ladentür auf. Rainer inspiziert seine rechte Hand. Mit der linken streichelt er geistesabwesend das Kaninchen, das gerade entspannt auf die Theke köttelt. Der zweite Kunde stürmt zornigen Schrittes auf Rainer zu…

K2: Also wegen dieser Schirmmütze der Unsichtbarkeit, die Sie mir letzte Woche verkauft haben!
R: Tick tock!


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 September 18, 2015  13m