Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0285: Prüdes Hollywood


Hier in Europa ist Massenmord und spritzende Hirnmasse ein Problem, aber blanker Busen nicht. Und in den USA ist es umgekehrt. Bei Computerspielen und im Film. Was bedeuten aber diese amerikanischen Altersfreigaben genau? Und wer urteilt da über einen Film?

Download der Episode hier.
Opener: „Is ‘Deadpool’ Going to Be PG-13?“ von extratv
Closer: „The Big Lebowski – Every Single Dude“ von Tanner Stauss
Musik: „Stick Around“ von Steady Hussle / CC BY-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Er und sie, die zwei, die passen nicht wirklich zusammen. Die Umstände sind einfach zu widrig. Nach ca. 75 Minuten ist uns Zusehern klar: Aus dieser Liebesbeziehung kann nichts werden. Aber dann geschieht ein kleines Wunder: Das Paar findet doch zusammen!

Das ist ungefähr die Zusammenfassung aller Liebesfilme aus Hollywood. Und wir alle wissen genau, wie es weitergeht. Und kennen all’ die Tricks und Moves auswendig.

Da wäre der sogenannte Cloth-Drop. Aus irgendeinem Grund sind attraktive Frauen in Amerika so gekleidet, dass es ihnen möglich ist, sich mit einer einzigen Geste der kompletten Garderobe zu entledigen. Wir sehen dann zwei hübsche Beine und einen dämlich kuckenden Helden.

Oder der Sideboob. Entgegen weit verbreiteter Vorurteile ist es o.k. den weiblichen Oberkörper zu zeigen. Solange man nur nicht den Nippel sieht! Der ist schließlich die ultimative erotische Waffe der Frau!

Das gleiche Körperteil am Oberkörper eines Mannes ist dagegen völlig unverdächtig. Darum kann eine Darstellerin nackt sein und man kann auch den Busen sehen, aber nicht den Nippel. Und deswegen gibt es so viele Einstellungen von der Seite.

Das ist auch der Grund für die Magnetic Bedsheets. Das Liebespaar darf sich sogar miteinander im Bett wälzen, solange gewährleistet ist, dass man keine Nippel sieht. Ich behaupte, dass dies bei einigen Szenen nur durch doppelseitiges Klebeband zu erklären ist.

Dann gibt’s natürlich den Peinlich-Pan. Das Paar hat zusammengefunden, endlich: Ein leidenschaftlicher Kuss! Matthew McConahew zieht Kate Hudson in die Dusche…
Bevor’s aber interessant wird, schwenkt die Kamera weg. In diesem Fall auf die Badezimmertür. Und wir dürfen unseren Phantasien freien Lauf lassen, während wir auf ein banales gelbes Badehandtuch starren.

Überhaupt: Die Erfüllung aller Sehnsüchte, der Höhepunkt jeder Liebesbeziehung ist natürlich der erste Sex. Liebe = Sex, lehrt uns Hollywood da immer wieder. Denn nach dem Peinlich-Pan folgt natürlich eine Einstellung, wo das glücklich vereinte Paar sich nach dem ersten Sex verliebt im Bett unterhält. Denn, wie jeder Mensch ja weiß, der erste Sex ist immer der beste.
Was? Nein, das war ironisch!

Und diese ganzen Umstände machen sich die Filmemacher nur wegen des Ratings. Es gibt da seit 1922 die Motion Picture Association of Amerika, kurz MPAA. Eigentlich der Name der Filmlobby, aber eben auch mit der Vergabe von Altersempfehlungen betraut. Und, obwohl alle an diesem System freiwillig mitmachen, ist ein zu hohes Rating eventuell der Tod für einen Film. Die meisten Kinos haben sich verpflichtet nur Filme zu zeigen, die von der MPAA geratet wurden. Und auch, entsprechende Ausweiskontrollen durchzuführen.

Also: Einmal zu oft in einem Film „Fuck“ gesagt, schon gibt’s eine Altersfreigabe über 18. Und die ganzen Teeniemädchen können dann keine Karten kaufen, um Mathew McConahew halbnackt zu sehen. Das heißt weniger Kohle.

Dabei führt die MPAA die Kontrollen nicht selber durch, sondern eine unabhängige Organisation mit dem in Hollywood gefürchteten Namen „CARA“. D.h. „Classification and Rating Administration“.

Da wandern also alle Filme durch. Auch europäische Filme, die in den USA in die Kinos sollen. Weswegen auch wir hier uns mittlerweile auch an die prüden und unsinnigen Richtlinien dieser Organisation halten.

Jeder Film wird von einem Board, also einem Gremium, von 8 bis 13 Eltern bewertet. Diese sind angestellt bei der CARA und müssen mindestens ein Kind zwischen vier und 18 Jahren haben. Das soll im Prinzip den Durchschnitt der Happy American Family darstellen.

Jeder der Rater sieht sich den Film alleine an und macht sich Notizen. Dann findet man sich zusammen und diskutiert solange, bis eine mehrheitsfähige Entscheidung dabei rauskommt.

Und dann kriegt der Film das Altersfreigabe-Siegel der MPAA. Es gibt verschiedene Abstufungen.

Das fängt an mit:
G (General Audiences – All Ages Admitted) also ohne Alterseinschränkung. Also keine Drogen, keine Zigaretten, kein Alkohol, kein Sex, keine Nacktheit, keine unanständigen Wörter, kein Fluchen. Können die Kinder also unbedenklich ohne Mama und Papa sehen.

Dann gibt es:
PG (Parental Guidance Suggested – Some Material May Not Be Suitable For Children) Da kann es jetzt zu Andeutungen von Nacktheit oder Gewalt kommen, dewegen empfiehlt die MPAA sozusagen, dass Eltern den Film erst begutachten sollten. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder ohne Eltern den Film nicht besuchen dürften. Die werden bei PG durchaus reingelassen. Ist ja das Problem der Eltern.

Es folgt:
PG-13 (Parents Strongly Cautioned – Some Material May Be Inappropriate For Children Under 13)
Hier kann es schon zu Gewalt, Nacktheit, Sex und Drogenkonsum kommen, liebe Eltern. Und vielleicht sagt auch jemand ein Mal in diesem Film „Fuck“! Also, seid auf der Hut! Ob man jetzt als Siebenjähriger in so einen Film kommt wie z.B. Star Wars, der dieses Siegel trägt, das hängt aber nun vom jeweiligen Kinobetreiber ab.

Jetzt wird’s dann ernst, jetzt kommt:
R (Restricted – Children Under 17 Require Accompanying Parent or Adult Guardian)
Das ist nun faktisch ein Verbot. In solche Filme voller Gewalt und Sex dürfen keine Kinder. Und Kinobetreiber in den USA lassen auch niemanden unter 18 in solche Filme. Es sei denn Mama, Papa, Tante, Onkel kommen mit. Na ja, einer davon reicht auch.
Denn da könnte zum Beispiel zweimal das Wort „Fuck“ drin vorkommen. Ja, kein Scherz, es gibt die One-Fuck-Rule. Einmal „Fuck“ = PG-13, zweimal „Fuck“ = R.
Klar, the Big Lebowski ist ein R-Rated-Movie.

Es gibt schließlich noch NC-17 (No One 17 and Under Admitted) – da hilft dann auch keine Verwandschaft, da kommt man unter 18 gar nicht rein. Dieses Siegel bedeutet deswegen auch, dass die meisten Kinos den Film nicht einmal buchen. Ist ja entweder Kunst, Europäisch oder Porno.

Das System ist lächerlich und prüde bis in Mark, aber unumgänglich.

Nehmen wir z.B. den Film: „The Best of Me – Mein Weg zu Dir“ vom letzten Jahr. Ein tränenreicher Liebesfilm von einem Liebespaar, das erst nach Jahrzehnten zusammenfindet.
Dieser Film hat das Siegel PG-13. Was die fleißigen Eltern vom Board dazu zu sagen haben, kann man für jeden Film auf der IMDB nachschauen. Da werden die Shits, Bullshits, Goddamns und Hells gezählt. Oder ob jemand „Jesus“ sagt. Da wird jede Szene aufgezählt, in der eine Brustwarze zu sehen ist oder jemand Alkohol trinkt.

Und in diesem speziellen Film ist sogar eine Sexszene! Aber es wir der „Concealing Arm“ eingesetzt. Sprich, die Kameraeinstellung ist so gewählt, dass der Arm des Mannes die Brustwarzen aus dem Bild nimmt.

Sonst wäre der Film ab 18. Das wäre Kindern ja nicht zu zutrauen.

In genau diesem Film gibt es eine Szene, wo jemandem großkalibrig in den Kopf geschossen wird. Blut und Hirnmasse fliegen herum und ein Loch in der Stirn ist deutlich sehbar.
Aber das, daaas stellt natürlich kein Problem dar.


fyyd: Podcast Search Engine
share








 September 17, 2015  12m