Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0270: The Intruder (1961)


Jeder hat schon Roger-Corman-Filme gesehen. „Das Pendel des Todes“, eine Edgar-Allen-Poe-Verfilmung hat mich sehr beeindruckt. Und William Shatner kennt man auch. Und zusammen haben die beiden 1961 einen mutigen, politischen Film gemacht, den kaum einer kennt.

Download der Episode hier.
Opener: „The Intruder (1962) trailer“ von kindofbluetrain
Closer: „Kevin Pollack Star Trek“ von Philip Lowe
Musik: „The One and Only (2012)“ von MUSIC BY RADIO / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Roger Corman ist einer der bedeutendsten Indie-Regisseure aller Zeiten, keine Frage. Er hat bei 56 Filmen die Regie geführt und über 400 Filme produziert. Seine Spezialität sind Filme die kostengünstig und schnell gedreht werden. Heutzutage meistens Filme, die direkt per DVD vermarktet werden.

Hier die Titel seiner Produktionen der letzten fünf Jahre, dann versteht ihr genau, was er so macht: Sharktopus vs. Whalewolf, CobraGator, Fist of the Dragon, Operation Rogue, Sharktopus vs. Pteracuda, Water Wars, Piranhaconda, Attack of the 50 Foot Cheerleader, Camel Spiders, Dinocroc vs. Supergator & Dinoshark.

Man könnte sagen: Roger Corman ist der Spezialist für „effektives“ Filmemachen. Und das seit über 50 Jahren. Ein Haufen von Hollywood-Größen haben ihre ersten Schritte unter Corman gemacht, wie z.B. Jack Nicholson, Dennis Hopper, Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Jonathan Demme, James Cameron, Peter Bogdanovich, Joe Dante, George Lucas, Ron Howard, Robert Zemeckis oder Sylvester Stallone.

Und Anfang der Sechziger war dieser Handwerker des Films auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Seit fünf, sechs Jahren waren alle seine Filme finanzielle Erfolge. Sechs Stück alleine im Jahre 1957: Rock All Night, Teenage Doll, Carnival Rock, Aufruhr im Mädchenwohnheim (Sorority Girl), The Viking Woman and the Sea Serpent, Planet der toten Seelen (War of the Satellites)

Einige Filme aus dieser Zeit sind sogar Klassiker, wie z.B. Revolver-Kelly / auch: Das Raubtier (Machine Gun Kelly), Das Vermächtnis des Professor Bondi (A Bucket of Blood), Kleiner Laden voller Schrecken (The Little Shop of Horrors), Der Untergang des Hauses Usher (The Fall of the House of Usher) oder Das Pendel des Todes (Pit and the Pendulum).

Er konnte jetzt im Prinzip machen, was er wollte. Finanzen und Vertrieb standen ihm offen, er war eine Mensch gewordene Gelddruckmaschine. Also suchte er sich einen Stoff aus, der im persönlich gefiel. „The Intruder“, deutscher Titel „Weißer Terror“.

Die Handlung ist einfach. Ein Unbekannter, Adam Cramer, taucht in einer Stadt im Süden Amerikas auf. Und beginnt Unfrieden zu schüren, Demonstrationen zu organisieren und die Bewohner des verschlafenen, kleinen Ortes mit rassistischen Reden aufzuwiegeln.

Seit 1960 mussten Schulen, auch im Süden, nämlich auch Afro-Amerikaner integrieren. So dass auch in diesem fiktiven Ort, Craxton, zehn junge Schwarze – im Film noch Negroes genannt – an der örtlichen Schule unterrichtet wurden.

Die Dinge eskalieren und am Ende ist ein Lynchmob und der Ku Klux Klan unterwegs, um einen unschuldigen Schwarzen zu lynchen. Doch im Film erkennen die Bewohner, dass die ganzen Probleme im Kern eigentlich von diesem Cramer ausgehen und werfen ihn aus Craxton raus.

Corman wollte das auch unbedingt im Süden drehen. Aber schon im Vorfeld fand er keinen, der in dieses Projekt finanzieren wollte. Ein Film, der für die Gleichstellung von Afroamerikanern ist? Damit lässt sich kein Geld verdienen.

Also nahm Corman seine eigene Kohle in die Hand, schnappte sich seinen Kameramann und eine Handvoll professioneller Schauspieler und zog los. Immer wieder wurde das junge, engagierte Team bei den Dreharbeiten erwischt und immer wieder des Ortes verwiesen. Todesdrohungen und eine Demonstration des echten Ku Klux Klan gegen die Produktion waren auch Teil der Verfolgungsjagd durch den Süden Amerikas.

Hauptdarsteller dieses sehr mutigen Streifens war niemand anders als William Shatner, ein unbekannter Shakespeare-Darsteller aus Kanada. Der in diesem Film nicht nur fantastisch spielt, sondern für diese Sache auch seine Karriere auf’s Spiel setzte. Die dann, vier Jahre später als Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise ihren Höhepunkt hatte.

Shatner spielt diesen ekelhaften, schleimigen Cramer mit so einer Inbrunst und Überzeugung, dass man ihn von Anfang an hasst. Der Film kulminiert in einer Rede von gut sieben Minuten. Davon möchte ich euch die entscheidenden vorspielen. Ja, ist in Englisch, aber gut verständlich.

Man muss auch noch wissen, dass die Menschenmenge einfach aus dem Stadtpark rekrutiert wurde. Das sind keine Schauspieler sondern normale Einwohner. Und die halten Shatner für den Helden des Films. Sie bedurften keinerlei Regieanweisung, der Jubel, den ihr hört, ist echt. Was aus diesem besten Film in der Karriere von Corman und Shatner – dem ersten, der sich für die Gleichstellung der Rassen engagiert – eigentlich einen Horrorfilm macht.


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 August 27, 2015  n/a