Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0267: Pro Teilchenphysik


Wenige Dinge können mich mehr begeistern, als coole, neue wissenschaftliche Ergebnisse. Das geht aber heute nicht mehr vielen Menschen so. Und gerade die Teilchenphysik ist Normalbürgern sehr fremd. Dabei gibt’s da zum Teil die coolsten Neuigkeiten. Zum Beispiel eben auch am LHC.

Download der Episode hier.
Opener: „Collider – Les Horribles Cernettes“ von onavlis99
Closer: „Monty Python – What have the romans ever done for us“ von Weidmoo
Beitragsbild: „CERN LHC Tunnel1“ von Julian Herzog (website) – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Musik: „I Just Want Your Body“ von Hot Fiction / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zu Sendung
Also diese Teilchenphysiker mit ihrer überflüssigen Forschung! Da bauen die einen 30 km langen Tunnel, um irgendwelche Teilchen aufeinander zu schießen! Was das alles kostet! Und was kommt dabei raus? Alles wird immer kleiner und kleiner. Also Atome bestehen aus Protonen und Neutronen und Elektronen. Aber die bestehen selber dann aus Quarks und Joghurts, oder was weiß ich! Und wahrscheinlich bestehen die Quarks und Joghurts dann selber wieder aus Majo und Mini-Pommes. Das braucht doch keine Sau! Bis auf die Atombombe ist doch da nie etwas Praktisches raus gekommen! Mit dem Geld hätte man auch endlich ‘mal die Autobahnen reparieren können!

So oder so ähnlich lässt sich das Image der Teilchenphysik überspitzt zusammen fassen. Die Ergebnisse sind Otto Normalversteher und seiner Gattin anscheinend nicht so richtig vermittelt worden. Liegt aber vielleicht auch daran, dass das keine leichte Sache ist.

Klar, die kleinsten Teilchen verhalten sich nach sehr seltsamen Gesetzen. Viele Phänomene, gerade in der Quantenmechanik, widersprechen dem gesunden Menschenverstand. Aber wie hat schon Herr Einstein gesagt: „Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur die Ansammlung an Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr gesammelt hat.“

Denn eigentlich ist die moderne Teilchenphysik nur das momentane Ergebnis der Frage: Aus was iss’n des eigentlich? Und da ist eben vor 103 Jahren rausgekommen, dass da wohl in jedem Atom ein positiv geladener Kern mit etwas negativ geladenem aussenrum ist. So fing dat Janze an.

Und entwickelte sich rasend schnell zu dem, was man heute „das Standardmodell“ nennt. Das ist eine echte Strebertheorie, denn obwohl sie schon so alt ist, stimmen ihre Vorhersagen bisher mit den Ergebnissen der Experimente überein. Da gehört z.B. schon lange dieses ominöse Higgs-Boson, in Bildzeitungsdeutsch „Gottesteilchen“ dazu. Und zwar schon seit 50 Jahren. Vor 50 Jahren vorhergesagt und erst jetzt experimentell belget. Und gäbe es nicht das LHC, den Large Hadron-Collider, dann wäre dessen Existenz heute noch nicht nachgewiesen.

So ein Teilchenbeschleuniger ist übrigens auch keine fremde oder besonders ausgefallene Sache. Noch bis vor kurzem haben wir uns alle stundenlang freiwillig vor mehrere Teilchenbeschleuniger gesetzt um davor zu arbeiten. Und sind dann erschöpft auf’s Sofa gefallen. Um uns von noch mächtigeren Teilchenbeschleunigern anstrahlen zu lassen. Denn in jedem guten alten Farb-Fernseher und Monitor waren gleich drei Stück fest verbaut. Dann kam natürlich LCD.

Dieser riesige, runde unterirdische Schwarz-Weiß-Fernseher ist gleichzeitig auch eine der faszinierendsten Spielfelder der Wissenschaft. Es stimmt, er weist eine Strecke von 26 Kilometern auf. Und es stimmt auch, mit drei Milliarden Euro war er auch teurer als angenommen.

Aber dafür kommt ja nicht der arme, geplagte deutsche Steuerzahler auf, der ja schon Griechenland alleine retten muss und Milliarden von Asylanten durchfüttern. Der LHC ist 10.000 Wissenschaftlern und Ingenieuren aus über 100 Ländern gebaut und finanziert worden. 100 von Lehrstühlen in aller Welt kooperieren beim Betrieb und bei den Experimenten miteinander.

In diesem sagenumwobenen LHC können Protonen auf 99,99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden und zerlegen sich bei der Kollision in die Grundbausteine, aus denen sie bestehen. Dabei können wir die sogenannten Elemenarteilchen beobachten und messen. Und das sind nicht Quarks, Joghurts und Puddings, sondern sechs Arten Quarks, sechs Arten Leptonen,
zwölf Arten Austauschteilchen für die Kraftfelder, und eben das lange vorhergesagte Higgs-Boson. Das bis vor kurzem noch gefehlt hat.

Und das diese Teilchen klein sind, ist eigentlich noch eine Untertreibung. Denn, wie heißt es so schön, wissenschaftlich korrekt: „Die genannten Teilchen sind klein in dem Sinne, dass man aus Experimenten noch keinerlei Anhaltspunkte für einen von Null verschiedenen Durchmesser gewinnen konnte.“ Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt. Man könnte auch sagen: Die Grundbausteine des Universums nehmen für sich genommen keinerlei räumliche Ausdehnung ein.

Und mit dem Higgs-Boson und dessen Beleg sind die Teilchen des Standardmodells endlich alle im Baukasten. Was dieses Gottesteilchen nun genau ist, das wäre eine eigene Folge wert.

Und Gottesteilchen ist auch ein extrem irreführender Name. Der basiert auf einem Buch des Nobelpreisträgers Leon Ledermann. Das sollte heissen „Das gottverdammte Teilchen“. Fand der Verleger aber aus, wahrscheinlich wirtschaftlichen Gründen, nicht so toll. Und überredete Ledermann, dass „Damn“ zu streichen. Amis und Flüche, halt. Higgs selber lehnt den Ausdruck übrigens völlig ab.

Allgemein gilt: Die Unterscheidung der verschiedenen wissenschaftlichen Geschmacksarten, das ist ja nur etwas, was wir Menschen machen. Der Natur ist das wurst. Die Teilchenphysik selber ist keine isolierte Sekte in einem Elfenbeintürmchen. Die esoterisch vor sich hin salbadert. Vielmehr liegt sie im Prinzip quer zu allen anderen Forschungsfeldern und interagiert mit diesen. Und darum kommen ständig auch praktische Ergebnisse dabei heraus.

Schon ‘mal ein CT gemacht? Oder ein PET-Scan, ein NMR oder in letzter Zeit ein modernes Röntgenbild? Alles konkrete Ergebnisse der Teilchenphysik. Ohne die man den Patienten zur Untersuchung sonst hätte aufschrauben müssen. Das hat also schon vielen Menschen konkret das Leben gerettet.

Oder wir nehmen die moderne Elektronik: Ohne Teilchenphysik keine Computerchips. Also kein PC, kein Mac, keine Konsole und schon gar kein Smartphone.

Und wenn wir schon dabei sind. Ohne Teilchenphysik gäbe es kein World Wide Web. Nein, nicht Hypertext-Systeme und nein, auch nicht das Internet. Aber ohne das CERN, das auch den LHC betreibt wäre das nicht kombiniert worden. Das ist die Leistung von Tim Berners-Lee aus dem Jahre 1989. Damit die beteiligten Teilchenphysiker besser kommunizieren können.

Also, das Standardmodell wäre komplett. Aber den LHC sollten wir trotzdem nicht abbauen. Denn jetzt wird es eigentlich erst spannend. Wie gesagt, bisher ist das Standardmodell das Strebermodell schlechthin. Aber es gibt auch vieles, dass es noch nicht erklären kann.

Was ist dunkle Materie? Oder, warum blieb nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie übrig? Was ist die dunkle Energie, die dafür sorgt, dass das Universum sich immer schneller ausdehnt? Das bleibt zu erforschen.

PS: Und nein, es werden da keine Antimateriebomben wie im Film „Illuminati“ gebaut. Und nein, es werden auch keine Schwarzen Löcher produziert. Und nein, die entstehende Strahlung ist geringer, als die kosmische Strahlung, der die Erde eh’ ausgesetzt ist. Amen!


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 August 24, 2015  12m