Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0264: Die McNally-Zwillinge


Manchmal sind die Recherchen an einer Episode der richtige Spaß an der Arbeit. Wenn sich immer mehr und mehr Details auftun. Und eine Geschichte immer bizarrer und bizarrer machen. So wie bei dem Rechtsstreit zwischen Hazel und Frank McNally. Wegen ihrer ungewöhnlichen Zwillinge…

Download der Episode hier.
Angestossen von fabelhaften Blog „Strange Company“: Mommie Weirdest
Opener: Surprise, it’s TWINS! Sister Freaks OUT! Von MissJill
Closer: Twins Official Trailer #1 von Movieclips Trailer Vault
Musik: Vibe von The Taxman / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Hammond in Indiana war 1921 ein kleiner Ort mit ca. 20.000 Einwohnern. Bekannt geworden nur durch ein Zugunglück, dass sich in der Nähe drei Jahre vorher zugetragen hatte. Aber heute, an einem schönen Frühlingstag im März, geht es um viel erfreulichere Dinge.

Frank McNally ein angesehener Bürger der Stadt heiratet. In kleinerem Kreise, denn es ist ja schon seine zweite Hochzeit. Und war heiratet er seine Haushälterin. Mit dem Namen Hazel, ab heute mit dem Nachnamen McNally.

Eine Liebesheirat, sicher. Denn Hazel ist eine äußerst attraktive Frau und gerade eben 26 Jahre alt. Wohingegen Frank mit seinen 51 Jahren schon etwas älter ist. Aber, wo die Liebe halt hinfällt. Sagt man so. Aber Frank denkt nicht nur an die Liebe. Wie gesagt, eine Ehe hat er ja schon hinter sich gebracht. Und das Verhältnis zu seiner Frau und den beiden Kindern ist nicht das beste.

Darum hätte Frank wirklich gerne noch einmal Kinder. Das ist sozusagen – für ihn – ein Teil der ehelichen Übereinkunft. Und tatsächlich, genau neun Monate später bekommt die brave Hazel Zwillinge. Einen Jungen und ein Mädchen. Mission accomplished, sozusagen.

Und Frank ist auch außer sich vor Freude! Noch dazu entwickelt sich Mrs. McNally zur fürsorglichsten Mutter, die man sich nur vorstellen kann. Keine Minute lang lässt sie ihre Babies aus den Augen. Natürlich ist Hazel eine vorbildliche Mutter. Keine Frau, die ihre Kinder zu Krankenschwestern oder Nannies abschieben würde. Denn Krankenschwester, das hat sie ja schließlich selber gelernt!

Und leider ist medizinische Pflege auch notwendig. Denn die beiden Kleinen sind sehr schwach und hatten vor allem auch sehr, sehr empfindliche Augen. So dass sie das Kinderzimmer nie verlassen konnten. Frank durfte manchmal seinen Nachwuchs von der Tür aus betrachten, aber meistens hatten sie ein Gazetuch über dem Kopf, um sie vor dem Licht zu schützen. Die Armen, so schwach, dass sie die allermeiste Zeit nur schliefen. Und nie auch nur weinten. Dazu waren sie wohl auch zu schwach.

„Vielleicht ist meine arme Hazel auch ein wenig zu beschützend,“ mag er sich das eine oder andere Mal gedacht haben. Denn nicht einmal die besten Freunde oder nahe Verwandte wurden in das Kinderzimmer gelassen. „Aber, was soll’s?“ wird er sich weiter gedacht haben, „schließlich ist meine Hazel ja Krankenschwester. Wenn die sagt, alles ist in Ordnung und dass man das so machen muss, dann wird das schon stimmen! Ich bin ja nur ein Mann, was weiß ich schon über Babies!“

Alles in allem glückliche Zeiten für die McNallys. Doch natürlich war Hazel nicht die einzige Frau in Hammond. Und die Nachbarinnen und Freundinnen, die alle selber schon Kinder hatten, wären sicher gerne ihre guten Ratschläge los geworden. Oder hätten die Zwillinge wenigstens gerne gesehen. Nur einmal!

„Frank, das ist nicht normal! Ich habe selber Kinder! Keine Mutter handelt so, das hätte ich ja noch nie gehört. Das tut den Kindern auch nicht gut! Und das geht jetzt schon seit Monaten so! Was ist, wenn Deine Kinder schwer krank sind? Und die gute Hazel das einfach nicht wahrhaben will? Du bist der Vater, Du musst Deine Verantwortung übernehmen!“

Sagt zumindest Agnes Sphirmer, eine gute Bekannte. Und schlägt auch gleich einen Plan vor. Damit Hazel sich keine Sorgen macht, sollte Frank sie einfach anrufen, wenn sie ‘mal wieder aus dem Haus war und Agnes würde herüberhuschen und sich die Zwillinge ‘mal anschauen.

Nur damit alle beruhigt sind. Wird schon nichts sein…

Gesagt, getan. Hazel geht einkaufen, Frank ruft an und Agnes schleicht sich ins Kinderzimmer. Und vorsichtig zieht sie das Gazetuch vom Kopf des eines Kindes…

…und schreit in schierer Panik auf. Denn ihr entgegen blicken zwei leblose, starre Augen.
Wie auch bei dem anderen Kind. Moment, Dramatik-Jingle…

Aber die Kinder sind nicht tot, keine Angst. Die Kinder sind bloß keine Kinder. Sondern zwei Puppen. Lebensgroß, mit Stroh gefüllt und mit hübsch bemalten Köpfchen aus Porzellan. Die Babyjammern von sich geben, wenn man sie auf den Kopf dreht.

Hazel – mit den Puppen konforntiert – reagiert aber unerwarteter Weise gar nicht zerknirscht oder kleinlaut. Ein heftiger Streit entbrennt im Hause McNally. Warum konnte Frank ihr auch nicht vertrauen? Bringt einfach diese unmögliche Frau und lässt sie im Kinderzimmer rumschnüffeln? Im Zuge der Auseinandersetzung wirft Hazel die Uhr vom Kaminsims nach Frank und schlägt ihn gar mit einem Schirm. Dann packt sie ihre Sachen und verläßt die gemeinsame Heimstätte. Wo vor ein paar Stunden noch eine glückliche Kleinfamilie gewohnt hat.

Frank geht kurz in sich und ruft dann die Polizei. „Es muss damals gewesen sein, Officer, als sie mit den Kindern nach Chicago gefahren ist, ins Krankenhaus. Da hat sie die Zwillinge ermordet und gegen diese Puppen ausgetauscht! Meine Frau ist eine Kindsmörderin!“

Das ist ja ein Ding! Eine Kindsmörderin in Hammond! Der Fall schlägt in der Presse große Wellen und bald kommt es zum Verfahren McNally gegen McNally. Vor dicht bepackten Rängen.

Doch die Beweislage ist nicht so toll. Es gibt eine einzige Zeugin, die gesehen haben möchte, wie Hazel einem der Babies Blut von der Nase gewischt hat. Und ein 17jähriges Mädchen, dass eines der Babies im Arm gehalten haben will. Ob das ein echtes Kind war oder eine Puppe? Das weiß sie leider nicht mehr.

Unter Tränen sagt die junge, hübsche Hazel dann vor Gericht aus. Und schildert, was für eine Qual es für sie war, dass ihr Mann immer, immer auf Kinder drängte. Wie er kein anderes Thema mehr hatte. Kinder, Kinder, Kinder. Aber sie konnte doch keine Kinder mehr gebären, sie hatte doch gar keine Gebärmutter mehr. Aber weil Frank Kinder so wichtig waren, hatte sie die Puppen gekauft. Alleine um ihren Mann glücklich zu machen. Obwohl es eine so furchtbare Qual war, das vor den Nachbarn und Angehörigen geheim zu halten.

Die Herzen der Zuschauer schlagen nach dieser Aussage eindeutig für die mutmaßliche Kindsmörderin. Die ja auch so attraktiv war, habe ich das schon erwähnt.

Der gute, alte Frank hat’s im Zeugenstand schon ein bisschen schwerer. Viele der Anwesenden können den Zwang laut aufzulachen nicht unterdrücken bei seiner Aussage.

„Nein, ich habe die Gesichter seiner Kinder nicht gesehen. Ja, ich habe sie schon einmal getragen. Und auch im Kinderwagen geschoben. Aber Hazel hat immer gesagt, ich dürfe die Gaze nicht entfernen…“

Armer, armer Puppenvater…

Die Rechtsanwälte beider Seiten beharken sich.
„Wir wollen als Zeugen den Arzt, der die Schwangerschaft diagnostiziert hat!“
„Und wir bringen den Arzt, der die Hysterektomie durchgeführt hat!“
„Hysterektomie! Dass ich nicht lache! Die Frau hat einen siebenjährigen Sohn aus erster Ehe, Raymond!“
„Der ist adoptiert, wir können das belegen!“

Da wird es dem Richter, Henry Cleveland, aber zu bunt! Er sorgt im Gerichtssaal für Ruhe und beendet mit seinem Verdikt den Fall schlagartig. So geht das nicht weiter!

„Keine Leichen, kein Geständnis, das heißt hier liegt auch kein Kriminalfall vor! Basta! Die Angeklagte ist freigesprochen! Basta!“

Das war’s. Auf dem Weg aus dem Gericht erklärt die glückliche Hazel noch, sie werde sich jetzt zwei neue Puppen kaufen, sich von Frank scheiden lassen und Jura studieren!

Doch die Puppen musste sie dann gar nicht mehr kaufen. Effanbee, die Firma, die ihre Kinder, sorry ihre ersten beiden Puppen hergestellt hatte, stellte sie ihr zur Verfügung. Und machte aus dem Foto auch gleich eine Werbekampagne.

„Effanbee-Puppen. So lebensnahe, dass sie sogar Väter und Nachbarn täuschen. Das ist doch ‘was!“


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 August 19, 2015  14m