Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0262: Uhren für Photonen


Hyperraum, Warpantrieb, Unwahrscheinlichkeitsdrive. Kein Science Fiction funktioniert ohne das Übertreten der Lichtgeschwindigkeit. Denn die Entfernungen im Universum sind frustrierend groß. Warum diese verhexte spezielle Relativitätstheorie den Bau der Enterprise unmöglich macht. Das hängt damit zusammen, dass Photonen keine Uhr brauchen.

Download der Episode hier.
Opener: Song About Slow, Song About Fast von Educational Activities
Closer: Shut up, Wesley! Von mujobrod
Musik: A Common Tale von Radio Star / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
„Kriegen wir bald Besuch von der zweiten Erde?“ stand bei der Bild am 25.7. auf der ersten Seite. In großen Lettern. Wieder ein schönes Beispiel dafür, was die Bildzeitung für ein Käseblatt ist.

Die zweite Erde, das ist der Planet Kepler 452b. Aber zweite Erde oder Zwillingsplanet, das ist eine irreführende Bezeichnung. Die NASA hat selber in der Pressemitteilung auch den Ausdruck „Cousin“ verwendet. Alles, was wir wissen, ist folgendes:
A: Kepler 452b umkreist seine Sonne in der sogenannten „habitablen“ Zone. Wo flüssiges Wasser denkbar ist.
B: Er ist irgendetwas wie drei- bis sieben Mal so schwer wie die Erde.
C: Er ist verdammte 1400 Lichtjahre weit weg.

Und diese Entfernung ist gleichzeitig die Antwort auf die Frage, ob wir Besuch von diesem Planeten bekommen werden. Und auch wahrscheinlich die Antwort auf das Fermi-Paradox. Egal, wie man es dreht und wendet, die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwo im Universum noch einmal intelligentes Leben gibt, ist größer als 0. Und das Fermi-Paradox fragt, schludrig zusammen gefasst: „Wo sind die dann alle bitte?“

Wahrscheinlich sind einfach die Entfernungen zu groß. Denn ein Lichtjahr ist eine verdammt lange Strecke. Die Strecke, die ein Photon in einem Jahr zurücklegen kann. Und das sind 9,5 Billionen km. Denn Licht ist verdammt schnell, nämlich ungefähr eine Milliarde Stundenkilometer schnell.

Und die spezielle Relativitätstheorie von Herrn Einstein besagt, dass nichts, dass nicht masselos ist, schneller sein kann. Und leider bestätigen viele Experimente die Gedanken dieser Theorie. Fangen wir z.B. mal mit der dummen Zeitdilatation an.

Die besagt, als kurzer Merksatz: Bewegte Uhren gehen langsamer. Wenn wir also drei Atomuhren hätten, eine hier im Studio, eine bei Dir, geneigte Hörerin und eine an meinem Handgelenk, dann würden die genau gleich gehen. Wenn ich mich aber jetzt hier auf mein Radl schwing und zu Dir radle, wird die Uhr an meinem Handgelenk bei der Ankunft etwas nachgehen.
O.k., wahrscheinlich weniger als wir messen können.

Das ist also diese Theorie aus dem Jahre 1907. Und das konnten wir experimentell 1970 zum ersten Mal beweisen. Jetzt müssen die ganzen Satelliten, die nötig sind, damit das GPS eurer Smartphones funktioniert, diese Zeitdilatation ausgleichen.

Denn weil der Satellit geostationär ist, aber eine viel längere Strecke für eine Erdumdrehung zurücklegen muss, als wir hier am Boden, ist er viel schneller. Und seine Atomuhr geht gegenüber unseren drei Atomuhren immer ein bisschen nach.

Das ist auch kein Fehler, der nur durch die Beobachtung entsteht. Sondern Zeit ist einfach keine Konstante. Zeit ist relativ. Das können und wollen wir uns nicht vorstellen. Diese Zeitbeugung aber ist für die bemannte Raumfahrt natürlich ein Riesenproblem.

Das belegt vielleicht das Zwillingsparadoxon am besten. Angenommen, wir haben einen neuen tollen Antrieb für Raumschiffe erfunden, der für heutige verhältnisse unvorstellbare Energien produzieren kann. Dann stellen wir diesen Antrieb auf eine ständige Beschleunigung von genau ein G ein. Also die Fallbeschleunigung auf der Erde. Das ist ca. 9,8 m/s2. Das ist bewuem für die Besatzung. Unser Raumschiff wird also jede Sekunde 9,8 m/s schneller. Oder 35 km/h. Das ist keine schlechte Beschleunigung oder?

Das Reiseziel ist 28 Lichtjahre entfernt. Ungefähr die Distanz, wo wir schon vor drei Jahren einen Exoplaneten entdeckt haben. “UCF-1.01“ heißt der. Auf der Hälfte der Strecke muß das Raumschiff den Schub umkehren, um bequem bei UFC parken zu können. Dann holen wir uns von diesem heißen, kleinen Planeten sechs Monate alles an Messungen und Steinproben, was wir nur verstauen können und fliegen wieder heim.

Wenn das Raumschiff jetzt wieder ankommt, dann ist der Kommander, der beim Start 30 Jahre alt war 13 Jahre, 9 Monate und 16 Tage älter. Also 43 Jahre alt. Und sein eineiiger Zwilling, der auf der Erde geblieben war ist 90 Jahre alt. Weil der Mensch eben auch eine Uhr ist. Und bewegte Uhren langsamer sind.

In diesem Beispiel haben wir aber noch ein Problem verborgen: Wegen Herrn Einstein bräuchten wir beim Beschleunigen immer mehr und mehr Energie. Und die Masse der Rakete und auch vom Kommander würde immer mehr werden. Die Relativitätstheorie sagt: Wir können nichts, dass Masse hat, auf die Lichtgeschwindigkeit beschleunigen.

Denn die Masse der Rakete wäre dann unendlich groß und die zur Beschleunigung benötigte Energie auch. Nicht unendlich wie in „verdammt viel Energie“.
Sondern so wie in echt, mathematisch unendlich.

Ich weiß, ich weiß, das Raumschiff Enterprise kann aber fast Warp 10! Das liegt einfach daran, dass die sich nicht um die spezielle Relativitätstheorie scheren! Es ist nämlich nicht so, dass die bei 10facher Lichtgeschwindigkeit dann in nur 140 Jahren bei Kepler452b, der zweiten Erde der Bildzeitung, ankommen würden.

Schon bei einfacher Lichtgeschwindigkeit wären sie im Moment des Abflugs sofort da. Die Uhren würden auf der Enterprise einfach stehen bleiben.

Ein Photon hat aber natürlich Lichtgeschwindigkeit. Denn das ist das mind-boggling Faktoid für die Party: Für ein Photon existiert Zeit überhaupt nicht. Es kann Hunderttausende Jahre brauchen, bis es aus der Sonne geschossen wird und dann Billionen Jahre durch’s All rasen. Zeit vergeht nur für uns als Beobachter.

Für das Photon selber gibt es keine Zeit. Und keine Distanz. Das Photon ist, wie der Igel aus der Fabel, immer schon da. Das ist die phantastische Welt der speziellen Relativitätstheorie. Phantastisch, oder? Die Uhren für die Photonen aus dem Titel wären also – Achtung, Wortwitz übelster Güte – reine Zeitverschwendung. Denn einmal angebracht, würden sie nicht mehr gehen. Stehen bleiben. Für das Photon vergeht keine Zeit – ich muss es nochma’ sagen, weil es so cool ist…

Und wie schon erwähnt: Die Relativitätstheorie ist kein philosophischer Welterklärungsversuch, sondern experimentell belegt. Das scheint irgendwie nah dran am Regelwerk des Universums zu sein. Und darum war eben noch keiner da, Herr Fermi. Denn die Relativitätstheorie gilt halt auch für Klingonen und Vulkanier.


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 August 17, 2015  12m