Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0260: Die größte Tortenschlacht


Keine Kindheit in meiner Generation ohne „Dick und Doof.“ Meist komplett umgeschnitten um in das 25-Minuten-Format zu passen und von Hans-Dieter Hüsch begleitet. Dabei waren das Comedy-Genies. Diesen Sommer ist eine Filmrolle aufgetaucht. Und um deren Inhalt geht es in dieser Sendung…

Download der Episode hier.
Stan Laurel & Oliver Hardy: „The Music Box“
Musik: „Lazy Moon“ aus „Pardon Us“, gesungen von Oliver Hardy / Public Domain Mark 1.0

+Skript zur Sendung
Bei uns hießen sie nur „Dick und Doof.“ Und sorgten im Vorabendprogramm für billige Unterhaltung. Doch in Wirklichkeit waren die beiden, Stan Laurel und Oliver Hardy, das genialste Komikerduo ihrer Zeit. Viele Stilmittel der Komödie wurden von ihnen erst entwickelt, wie z.B. die Running Gags oder das Tit-for-Tat, ohne dass z.B. die Drei Stooges gar nicht denkbar wären.

Sie haben zum ersten Mal 1921 zusammen gearbeitet, aber ihre große Zeit begann erst 1926. Und ein Film machte sie damals besonders berühmt, nämlich „The Battle of the Century.“ Hoch gerühmt und damals ein Riesenerfolg, aber seitdem verschollen.

Von dem 19 Minuten langen Film haben nur 11 Minuten die Zeit überstanden. Die erste der beiden Filmrollen galt als verschollen. Bis sie diesen Sommer wieder aufgetaucht ist.

Laurel und Hardy hatten einen festen Vertrag mit den Hal Roach-Studios und durften dort ihr Format frei entwickeln. Tatsächlich hatten sie vor „Battle of the Century“ schon zwei Filme gedreht. Die waren aber noch nicht veröffentlicht.

Während Oliver Hardy im Duo nur als Schauspieler fungierte, war Stan Laurel das Gehirn hinter dem Duo. Der übrigens, Anekdote zum Angeben bei einer Party, mit dem gleichen Schiff aus England gekommen ist wie Charlie Chaplin.

Dieser Stan Laurel schrieb nicht nur die meisten Gags, sondern führte de facto auch Regie und hatte auch die Kontrolle über den Schnitt. Und gerade das Pacing, der Rhythmus, der gleichmäßige Herzschlag des Wahnsinns, das macht die Filme des Duos so gut.

Ihr müsst unbedingt zumindest „The Music Box“ einmal im Leben gesehen haben, YouTube-Link auf der Homepage. Besser kann Slapstick gar nicht werden. Ein Comedy-Genre, dass praktisch ausgestorben ist. Man siehe nur die zwei Pink-Panther-Filme mit Steve Martin oder das unsägliche „Dumm und Dümmer“, Teil 2.

Aber zurück zum Thema. Der Film mit der Tortenschlacht. Das ist im Jahre 1927 ein Gag gewesen, der sehr, sehr verbraucht war. Der Filmhistoriker Anthony Balducci hat diese Idee bis ins Jahre 1905 zurück verfolgt. Aus irgendeinem Grund fliegt einer Person also eine Torte ins Gesicht. Und das fanden alle irgendwie lustig.

Weswegen dieser Scherz vor allem in den Keystone-Filmen in den 10er-Jahren des 20ten Jahrhunderts so ausgiebig gefilmt wurde, dass man damit keinen mehr zum Schmunzeln bringen konnte. Buster Keaton hat sich z.B. vertraglich zusichern lassen, dass er nie, niemals Tortenschlacht-Szenen filmen musste.

Aber Stan Laurel hatte eine Idee, um diesen Gag wieder verjüngt aufleben zu lassen. Damit das wieder richtig witzig wird, so dachte er, blasen wir das ganze anarchisch auf. Wir werfen nicht eine oder zwei, nicht ein Dutzend oder zwei Dutzend Torten – nein, wir werfen 3000 Torten!

Also kauften die Hal Roach-Studios eine gesamte Tagesproduktion der Los Angeles Pie Company auf und drehten im Oktober die größte Tortenschlacht aller Zeiten. Aber es ist nicht nur der Wahnsinn, dass sich Dutzende Menschen Tausende Torten um die Ohren pfeffern, es ist auch wieder das Pacing, das langsam Aufbauen dieses kathartischen Zerstörungswerks.

Stan Laurel selber sagte dazu: „Es ging nicht darum, nur Hunderte von Torten zu werfen. Das wäre nicht sehr lustig gewesen, das war seit Keystone verbraucht. Wir fingen das Ganze, so seltsam es klingen mag, psychologisch an. Jede einzelne Torte sollte zählen.“

Und er erklärt den Unterschied zu den Keystones: „Ein gut angezogener Mann, der ein großes Geback direkt ins Gesicht kriegt, der würde nicht sofort seine Zähne fletschen, wild mit den Armen wedeln und wie verrückt auf- und abspringen. Es ist angemessen, davon auszugehen, dass er erst einmal fassungslos erstarrt. Dann wäre er wohl peinlich berührt und würde erst einmal schauen, wie groß der angerichtete Schaden ist. Und wenn er sich zu sehr entwürdigt fühlt, dann kann ihn auch ein Wunsch auf Rache überkommen. Und wenn er dann eine herrenlose, jungfräuliche Torte zur Verfügung hat, dann könnte er sich die durchaus schnappen und sie fliegen lassen.“

Und so war wohl auch dieser Film, der der Durchbruch am Anfang der Karriere des größten Komikerduos der Welt stand. Ein paar Wochen lief der Film in den Kinos und dann war er weg.

Das Kino war damals höchstens zwanzig Jahre alt und keiner wäre auf die Idee gekommen, irgendetwas aufzuheben. Die Filmkopien wurden eingeschmolzen, um die wertvollen Metalle wieder zu gewinnen. Und wer, wo die Negative hatte, das interessierte keinen Menschen.

In den sechziger Jahren existierte noch eine Rolle als Negativ, von der für eine Dokumentation noch einmal Kopien gezogen wurden. Das sind die 11 Minuten, die wir bisher kannten. Dann verrottete das Material. Was wollte man auch mit dem Slapstick-Mist.

So dass bis auf die Menschen, die den Film 1927 in den Kinos gesehen haben, keiner mehr die ganze Version kannte. Bis dieses Jahr auf komplizierten Umwegen ein Filmsammler in einer Schachtel die Kopien beider Filmrollen schlampigerweise auf ein Filmrad aufgefädelt fand.

Das ist für Filmhistoriker ungefähr so ein Ereignis, als würde in einem Lagerraum in den USA auf einmal der Heilige Gral entdeckt. Wo wir Indy-Fans ihn ja eh vermuten.

Stan Laurel und Oliver Hardy arbeiteten noch bis 1940 für Hal Roach, der ihnen die benötigte Freiheit gab. Der Übergang zum Tonfilm war für die beiden kein Problem. Anders als für Charlie Chaplin, Harold Lloyd oder Buster Keaton. Die letzten beiden gaben „The Greatest Battle“ wiederholt als ihren Lieblings-Laurel/Hardy-Film an.

Nach der Zeit bei Roach ging es bergabwärts. Bei MGM und 20th Century hatten sie keinen künstlerischen Einfluß mehr. 1955 erlitt Laurel, ein Kettenraucher, einen leichten Schlaganfall.
1957 begann Hardy drastisch abzunehmen und erlitt dann, wie das manchmal so ist, einen Herzinfarkt und starb.

Und am 17. Juli 1970 begann dann im Zweiten Deutschen Fernsehen die Ausstrahlung von Dick und Doof. Und das durfte Klein-Oliver damals natürlich kucken.

Ein Veröffentlichungsdatum für die Vollversion gibt es nicht. Aber darauf freue ich mich jedenfalls mehr als auf den nächstbesten Superheldenfilm.


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 August 13, 2015  12m