Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0258: Duredelavitis


Wer geht schon gerne zum Doktor? Wer denkt bei rasenden Kopfschmerzen nicht an Hirntumor? Oder bei Sonnenbrand an Hautkrebs? Aber auf Michael wartet eine Diagnose, die noch terminaler ist…

Download der Episode hier.
Opener: „Body Noises | Sneezes Farts Burps Hiccups Coughs!“ von The Oopsy Daisys
Musik: „Dying“ von Tamara Laurel / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Doktor: Hallo, Michael, wie geht’s uns denn heute?
Michael: Gut, Herr Doktor, mir geht’s ganz gut. Halt den Umständen entsprechend gut. (hickst)
Doktor: Ah, ich höre schon, der Schluckauf ist immer noch da.
Michael: Ja, Herr Doktor! Das geht schon seit zwei Monaten so, es ist wirklich die Hölle (hickst)
Doktor: Passiert das eigentlich in kürzeren Intervallen, wenn Sie aufgeregt sind?
Michael: Aufgeregt? Ich bin nicht aufgeregt. Ich bin nur todmüde! (hickst)
Doktor: Verstehe, Sie schlafen nicht besonders gut, oder?
Michael: Na, halt die paar Sekunden bis zum nächsten Hickser. (hickst)
Doktor: Weil sie dann aufwachen, stimmt’s?
Michael: Ja, Herr Doktor. Was würde ich für zehn Minuten Mittagsschlaf geben!

Doktor: Na ja, deswegen haben wir auch die ganzen Tests gemacht. Michael, ist Ihre Frau auch hier?
Michael: Ja, aber die schläft im Wartezimmer, die ist froh, kein Hicksen mehr zu hören. (hickst)
Doktor: Ach so. Michael, ich habe die Ergebnisse der Tests da und es ist vielleicht ganz gut, wenn wir Ihre Frau reinholen.
Michael: Wieso? Ist es etwas Schlimmes? Ich wusste es… Ist es Krebs? (hickst)
Doktor: Nein, ich befürchte es ist kein Krebs.
Michael: Befürchten? Es ist schlimmer als Krebs? Was könnte schlimmer sein als Krebs? (hickst)
Doktor: Sollen wir nicht besser Ihre Frau rufen?
Michael: Nein, Herr Doktor, sagen Sie’s mir gleich, was ist es? (hickst)
Doktor: Ach, das ist wirklich der Part an meinem Beruf, den ich am meisten hasse.
Es gibt keine schonende Methode, das mitzuteilen.
Michael: Doktor?
Doktor: Am besten, man kommt einfach mit den Fakten auf den Tisch.
Doktor: Auch wenn es für den Patienten katastrophal ist, man muss den Wahrheiten in die Augen sehen.
Michael: Doktor?
Doktor: Sonst wartet der Betroffene nur die ganze Zeit und malt sich die schlimmsten Dinge aus.
Doktor: Und das ist oft die größere Qual als die Krankheit selber.
Michael: Doktor?
Doktor: Darum muss man als Arzt hart zu sich selber sein und einfach ehrlich sein.
Doktor: Auch, wenn man dann selber darunter zu leiden hat.
Michael: Doktor?
Doktor: Mein Gott, wenn Sie wüssten, was für Schicksale diese Praxis schon erlebt hat!
Michael (schreit): Jetzt sagen Sie schon! Was habe ich?

Doktor: Kein Grund, hier rum zu brüllen. Aber ich kann Sie ja verstehen. Das ist für Sie ja schließlich auch keine leichte Sache.

Michael (schreit): Was habe ich, verdammt?

Doktor: Michael, Sie haben Duredelavitis.
Michael: Duredelavitis?
Doktor: (erfreut) Genau, haben Sie vielleicht schon einmal davon gehört?
Michael: Nein! Duredelavitis? Und das ist schlimmer als Krebs.

Doktor: Ja, keiner, wirklich keiner mit dieser Diagnose hat je überlebt.
Michael: Keiner? Und ich hab’ das? Mein Gott, das ist ja eine Katastrophe!
Doktor: Sollen wir jetzt nicht vielleicht doch ihre Frau reinholen?
Michael: Warum ich? Was habe ich nur falsch gemacht, Gott?

Michael fängt an leise zu schluchzen. Der Doktor steht auf, um seine Frau aus dem Wartezimmer zu holen. Eine Haarschuppe löst sich von Michaels Jackett und segelt zu Boden. Das kann man natürlich nicht hören, das ist viel zu leise, was denkt ihr euch denn?

Beate: Mein Gott, Michael, was ist denn los?
Doktor: Ich habe gerade von der Diagnose erzählt.
Beate: Ja, und was hat er denn?
Doktor: Er hat Duredelavitis.
Beate: Mein Gott! Das klingt ja… furchtbar…. Ist das schlimmer als Krebs.
Doktor: Es gibt keine Heilung, keine Therapie.

Michael: Herr Doktor, sagen Sie mir, wie lange habe ich noch?
Doktor: Wollen Sie das wirklich wissen? Sie müssen wissen, dass diese Zahl dann wie ein Damokles-Schwert den Rest Ihres Lebens über Ihnen hängen wird.
Michael: Wie lange?
Doktor: Diese Information wird ihr Leben für immer verändern.
Michael: Wie lange?
Doktor: Ihr eigenes Ablaufdatum, das Sand in der Sanduhr, der letzte Countdown…
Michael: Wie lange? (schreit)

Beate: Ja, aber Herr Doktor, was sind denn die Symptome?
Doktor: Zuerst betreffen die Symptome das Augenlicht. Irgendwann zwischen 40 und 50 verlieren sie ihre Kraft und Michael wird nie mehr ohne Brille lesen können.
Beate: Und dann…
Doktor: Die Haare werden immer dünner und fallen aus. Und kommen nie, nie wieder zurück…
Beate: Oh, mein Gott! Und dann?
Doktor: Die Wirbelsäule verliert ihre Elastizität und die Muskeln können nicht mehr ihre volle Leistung erbringen, die Reaktionsfähigkeit nimmt ab…
Beate: Das ist ja schrecklich! Aber geistig, bleibt er mein guter, alter Michael?
Doktor: Leider nein, Beate. Manche Menschen mit dieser Krankheit verlieren auch Ihre Fähigkeit logisch zu denken.
Beate: Oh nein!
Doktor: Einige fallen zum Beispiel konservativen Ideologien heim und wählen dann CDU…
Beate: Oh Gott! Das ist zuviel! Das kann man doch keinem Menschen zumuten!

Michael (schreit): Wie lange bleibt mir noch?
Doktor: Na gut, Michael, Sie haben Recht, es zu erfahren. Auch wenn es für Sie vielleicht besser wäre…
Michael (böse): Wie lange bleibt mir noch?
Doktor: Kein Mensch mit Ihrer Diagnose ist je älter geworden als 140 Jahre.
Michael: Was? Dann bleiben mit nur noch 110 Jahre?
Dann werde ich nie meine Ururururenkel sehen?
Dann wird unsere Schildkröte mich überleben?

Beate: Doktor, eine Frage?
Doktor: Wir könnten natürlich auch dem Leiden hier ein Ende setzen…
Beate: Eine Frage, Herr Doktor: Ist überhaupt schon ‘mal ein Mensch 140 Jahre alt geworden.
Doktor: Nein, natürlich nicht. Aber es sind schon einige an Schluckauf gestorben.

Michael: Moment, mein Schluckauf ist ja weg!


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 August 7, 2015  10m