Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0254: Das EMDrive


Das Wundertriebwerk ist da! In vier Stunden zum Mond! (Den wir ja letzte Woche doch nicht gesprengt haben.) Das EMDrive öffnet uns das Tor in den Weltraum! Doch es ist leider wie immer: Wenn man nur 10 Minuten nach recherchiert, bleibt nur heiße Luft…

Download der Episode hier.
Opener: „The ‘Impossible’ EM Drive Confirmed by Scientists“ von IGN News
Closer: „Unendlicher Unwarscheinlichkeitsdrive“ von daSiew
Beitragsbild: „Starship Voyager“ von Bird-Lover25 / CC BY 3.0
Musik: „Summer Breeze“ von Sonic Mystery / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Wir haben den Durchbruch geschafft, die NASA hält es bloß geheim! Wir haben einen sensationellen, neuen Antrieb für Raumfahrzeuge gefunden! Mit dem wir in vier Stunden den Mond erreichen könnten. Und für den wir keine riesigen Raketen mehr brauchen!

Aber niemand soll das erfahren. Je nach Quelle ist der Pentagon, die Ölmagnate oder alle anderen möglichen, üblichen Verdächtigen schuld an diesem Verrat an der Menschheit.

So, oder so ähnlich lässt sich das im Internet gerade wieder überall lesen. Und weil das Experiment, dass diesen Wunderantrieb beweist in Dresden stattgefunden hat, gibt es auch viele deutsche Quellen.

Die Rede ist vom mittlerweile sagenumwobenen EM-Triebwerk oder EMDrive.

Aber fangen wir kurz vorher noch einmal mit dem Problem an. Dem einen Riesenproblem der Raumfahrt überhaupt. Wir stellen uns also eine Rakete vor. Vielleicht so eine Konstellation, die früher das Space Shuttle ins All geschossen hat. Das habt ihr als Bild vielleicht im Kopf.

Da war also dieses Space Shuttle. Das ist 37 m lang und 23 m breit. Das wiegt so 100 Tonnen, ein Viertel davon ist Nutzlast. Das ist auf eine große Rakete geschnallt, die ist 46 m hoch und wiegt 750 Tonnen. Und links und rechts davon sind noch zwei Raketen, die sind einen Meter kürzer und bringen zusammen 1200 Tonnen auf die Waage. Also fast 2000 Tonnen insgesamt.

Soviel Treibstoff ist notwendig, um das kleine Space Shuttle auf eine Geschwindigkeit zu bringen, die reicht, um die Erde zu verlassen.

Denn um vorwärts zu kommen, muss das ganze System Masse ausstoßen. Was wieder ‘mal am nervigen Herrn Newton liegt, der als dritte Gesetz folgendes formuliert hat. „Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (reactio)“

Die Raketen stoßen Masse, viel Masse Richtung Erdboden aus, actio, und als reactio fliegt das Raumschiff nach oben. Aber ihr habt gesehen, wie viel Masse das ganz braucht. Und auch das Verhältnis zwischen Brennstoff und Gewicht ist ein kitzliges. Wir können nur theoretisch beliebig große Raketen bauen. Laut NASA hat alleine der Treibstoff für einen solchen Flug 83 Millionen Dollar gekostet.

Wie schön wäre es also, einen Antrieb zu haben, der eben keine Masse ausstoßen muss. Auftritt des EMDrives. Das ist ein sagenumwobener Antrieb, der jedes Jahr durch’s Internet geistert. EM steht dabei für elektromagnetisch. Dieses Zaubergerät entstammt einer Idee eines ehemaligen britischen EADS–Ingenieurs mit Namen Dr. Roger Shawyer.

In einem großen konischen Glasbehälter werden, um es sehr vereinfachend auszudrücken, Mikrowellen hin- und hergejagt und aus irgendeinem Grund entwickelt das Gesamtsystem dann Schub. Was dem Gesetz von Herrn Newton widerspricht, weil ja keine Gegenkraft zu diesem Schub wirkt. Erzeugt man jetzt die Mikrowelle zum Beispiel mit Solarzellen, die man an dem EMDrive befestigt, was hat man da? Genau! Ein Perpetuum Mobile! Heissa!

Oder anders ausgedrückt: Wäre so ein System der Baron von Münchhausen, könnte es sich prima selbst, am Zop, aus dem Sumpf herausziehen.

Wie dieser Effekt entsteht, das weiß keiner. Mister Shawyer bemüht die Spezielle Relativitätstheorie, das ist mir aber leider zu hoch. Die Nasa vermutet, dass subatomare Teilchen ausgestoßen werden.

Es gibt bis jetzt drei Experimente, die angeblich diesen Effekt nachgewiesen haben. Keines davon wurde je peer reviewed. Da haben wir zum einen als erste eine chinesische Forschergruppe, die behaupten, diesen Effekt nachweisen zu können.

Dann, letztes Jahr, war die Nasa selber dran. Mit einem riesengroßen Testgerät erzeugten die Forscher immerhin einen Schub von 30-40 Mikronewton. Die Nachrichten um das Windertriebwerk der NASA ebbten dann etwas ab, niemand konnte die Ergebnisse bisher reproduzieren.

Auftritt von Professor Martin Tajmar und seinem Team von der Dresdener Universität für Technologie. Die veröffentlichten vor ein paar Tagen ein Paper, dass sie mit einem EMDrive einen Schub von immerhin 20 Mikronewton erzeugt hätten. Zum Vergleich: 820 μN ist die elektrische Kraft auf ein Elektron im Wasserstoffatom. Oder, noch schöner.

Wenn zwei Menschen von ca. 100 kg Körpergewicht 15 cm von einander stehen, dann sind 20 Mikronewton die Anziehungskraft, die sie aufeinander ausüben. Unabhängig von Mundgeruch und schlechter Frisur, einfach als zwei physische Körper aufeinander.

Und wegen dieser Veröffentlichung drehen gerade wieder alle durch. Doch der fleißige Explikator hat sich das ‘mal genauer angeschaut, dieses Paper und ratet mal, was da steht?

Es war das Kontrollgerät. Die Messung erfolgte an den Kontrollgeräten. Also an den Geräten, die in den Achsen angebracht waren, in denen eigentlich NICHT mit Schub gerechnet wurde. In dem Paper steht wörtlich, dass es sich wahrscheinlich um thermo

Professor Tajmar schreibt selber, dass „die Art wie der Schub sich unkontrollierbar an- und ausschaltet, verdächtig nach einem thermalen Effekt ausschaut, denn der Aufbau hat bekannterweise Probleme bei der Hitze-Entwicklung.“ Und, weiter: „Dieser Versuchsaufbau ist nicht in der Lage, überhaupt angemessen einen Schub nachzuweisen.“

Anders ausgedrückt: Eigentlich weisen die Dresdner nicht nur nach, dass die mirakulösen Ergebnisse der NASA, bei ähnlichem Aufbau, wahrscheinlich Messfehler sind, sondern widerlegen eigentlich den Versuchsaufbau insgesamt in diesem Paper.

Und da, geneigte Hörerin, ist genau das Gegenteil von dem, was man zur Zeit in mindestens einem Dutzend aufgeregten Quellen lesen kann.

Das mit dem Lesen ist halt so eine Sache. Es ist schon schön, wenn man das kann. Und noch viel besser, wenn man’s auch manchmal anwendet!


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 August 3, 2015  11m