Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0251: Leben im Alten Ägypten


Wie haben die normalen Menschen früher gelebt? Und nicht die Könige, Herrscher oder Pharaonen? Das ist doch eine interessante Frage, oder? Fangen wir heute also ganz von vorne an. Wie lebt es sich so im „Alten Ägypten“, Miu?

Download der Episode hier.
Opener: „What Ancient Languages Sound Like“ von That Language Channel
Closer: „King Tut – Saturday Night Live“ von Saturday Night Live
Das meiste geklaut von der wunderschönen Website: Selket’s Ägypten
Bildbeitrag: By Guillaume Blanchard (Guillaume Blanchard, July 2004, Fujifilm S6900) [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons
Musik: „Pharaoh Pharaoh“ von kidsrockcm

+Skript zur Sendung
„Geschichte fand ich immer doof. Immer geht es um große Männer und große Schlachten, um Helden und besondere Zeitpunkte. Mich würde interessieren, wie die normalen Menschen früher so gelebt haben!“

Den Satz habe ich schon oft gehört. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht manchmal ein bisschen nur eine Ausrede ist, aber spannend ist die Frage ja schon. Ich hätte da auch einen Buchtipp: Die „Geschichte des privaten Lebens“ – von Philippe Aries und Georges Duby.

Fangen wir doch einfach ‘mal ganz vorne an, bei den Ägyptern, die wir „alt“ nennen. Nehmen wir „Miu“, was „Kätzchen“ heißt, eine durchschnittliche Ägypterin und schauen uns an, wie sie lebt. Übrigens, das befremdliche Gerede im Opener -das ist der Klang der Sprache, die Miu lernen wird.

Jetzt sehen wir in einer typischen, engen, verwinkelten, umtriebigen ägyptischen Stadt eine ruhige Ecke, eine Art Laubhütte, in der sich vier ägyptische Frauen befinden. Eine davon ist Mius Mutter. Sie kauert links und rechts auf jeweils zwei Ziegelsteinen, die der Göttin Meschenet gewidmet sind, der Geburtsgöttin. Hinter ihr sitzt eine Hebamme, die die frisch geborene Miu in Empfang nehmen wird. Die Hebamme, die vor Mius Mutter steht, spricht magische Sprüche und Gebete. Die vierte Frau ist die Nachbarin, der diese Wöchnerinnenlaube gehört. Denn sie steht bei ihr im Garten.

Das Kinderkriegen ist die wichtigste Aufgabe im Leben einer Ägypterin. Viel Magie, viel Zauberei wird aufgewandt um zu ermitteln, ob und wie viele Kinder eine Frau wohl gebären kann. Trotzdem hat die durchschnittliche Familie nur zwei Kinder, denn die allermeisten Babies erleben ihren vierten Geburtstag nicht. Miu lassen wir natürlich leben, die Sendung dauert ja noch ein bisschen.

Wären ihre Eltern aus der Oberschicht, dann könnte die jetzt schon sechs Jahre alte Miu auf die Schule gehen. Denn das stand Frauen in Ägypten offen. Es gibt durchaus belegte Beispiele von wohlhabenden, schreibkundigen Frauen, die Handel trieben und genauso erfolgreich wurden konnten wie Männer.

Aber die Regel war das nicht. Miu trägt übrigens die für Mädchen typische Frisur. Die Haare wurden in einige wenige Zöpfe geflochten und fielen bis zur Schulter. Die Jungs waren kahlrasiert bis auf eine einzige Strähne, die sogenannte Jugendlocke.

Ob der Unterricht in der Schule Miu gefallen hätte, ist auch die große Frage. Das Hauptfach war Schreiben und Lesen, eine Hieroglyphenschrift ist kein Spaß. Es sind viele Tontafeln voller Schreibfehler erhalten. Auch waren die Lehrer streng und roh, viele Schüler schafften die Schule auch nicht. Eine ägyptische Redensart hieß: „Das Ohr des Schülers liegt auf dem Rücken“. Übersetzt: Wenn man die Schüler nicht schlägt, lernen sie auch nichts.

Miu muss stattdessen ihrer Mutter helfen. Kindheit als eine Zeit der Freiheit kannte man nicht. Wer arbeiten konnte, musste mithelfen. Im Haus oder im Beruf der Eltern. Das wird Miu tun, bis sie im heiratsfähigen Alter sein wird. Denn dann wird sie ins Haus ihres Mannes ziehen.

Und tatsächlich: Als Miu 12 ist, verliebt sich ein junger Steinmetz in sie. Die Ägypter kannten die Liebesheirat durchaus, das ist kein Konzept der Moderne. Arrangiert wurden Ehen hauptsächlich in der Oberschicht. Der junge Handwerker hält bei Mius Vater um die Hand an. Und dieser ist erfreut, denn Steinmetz war ein wohl angesehenes Handwerk. Und die ununterbrochenen Bauvorhaben der Pharaonen sorgten für ein sicheres Einkommen.

Die Tatsache, dass Miu keine Jungfrau ist, als sie heiratet, spielt übrigens überhaupt keine Rolle. Das Verhältnis zum Sex war ein ganz anderes. Berühmt ist die Statue, wo man ein Ehepaar beim Geschlechtsverkehr sieht, während die Kinder davor spielen. In den vielen, vielen Darstellungen von Sex, die uns erhalten sind, scheint übrigens die Initiative normalerweise von der Frau auszugehen.

Auch die Beschneidung der Frau – etwas, was man den alten Ägyptern nachsagt – ist archäologisch nicht dokumentiert. Keine weibliche Mumie ist beschnitten gewesen. Aber alle männlichen.

Und weil Miu ihren Steinmetz auch attraktiv findet – sie hat völliges Vetorecht – wird die Hochzeit gefeiert. Und, das war die Regel, ein Ehevertrag unterschrieben. Wichtig war hier die Absicherung der Frau, falls der Mann vor der Zeit verstarb. Ab jetzt treu zu sein, wird für Miu überlebenswichtig sein, die Strafe für Untreue ist der Tod durch Verbrennung. Es war anscheinend sehr wichtig, dass der Gatte sicher sein konnte, dass seine Kinder auch von ihm sind.

Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen. Wenn Mius Steinmetz im Bett nicht die nötige – sagen wir mal Härte – aufbringen kann, so ist das ein Scheidungsgrund. Und das könnte für ihn richtig teuer werden.

Viele Texte belegen auch, dass es nicht in Ordnung war, wenn der Mann die Frau schlug oder etwas zwang. Das galt als unmoralisch und schwach. So emanzipiert waren Ägyptens Frauen, dass Herodot, ein verklemmter Grieche, spottete: In Ägypten pinkeln die Frauen im Stehen und die Männer im Sitzen.

Lassen wir die beiden also in Frieden in ihr neues Haus ziehen. Das ist, wie alle Häuser in dieser kleinen Stadt einfach an einem frei gewordenen Platz gebaut worden. Es ist ungefähr 48 qm groß. Die Mauern sind aus verdichtetem Nilschlamm, der mit Stroh angereichert wurde. Auf die Mauern legte man Holzbalken, Schilfrohr und einen Estrich aus Nilschlamm. Das durfte dann alles in der Sonne austrocknen – fertig!

Das Haus hat einen Raum um Gäste zu empfangen, drei Wohnräume und eine Küche, die direkt in den kleinen Garten übergeht. Die beiden haben der Wüste mit dem Wasser des Nils Gemüse, Obst, eine Dattelpalme und sogar Blumen abgetrotz. Ein kleiner Brunnen befindet sich hier und sogar ein Teichlein, in dem Lotusblüten wachsen. Das ist also Mius Haus. Wörtlich. Denn sie ist „Nebet Per“ als „Herrin des Hauses“ regierte.

Das Haus ist wie alle Häuser hier, weiß getüncht und hat nur kleine Fenster kurz unter dem Dach. Die Tür ist knallrot angemalt und reich verziert. Ein Bild des Ehepaars und ihre Namenskartuschen finden sich auch darauf. Auch die Wände sind mit floralen Motiven bunt verziert. Der Fußboden ist übrigens aus Lehmziegeln.

Sogar ein winziges Badezimmer hat das Haus, wo man sich mit Wasser übergießen konnte, das dann abfloss und gesammelt wurde, um den Garten zu wässern. Und eine eigene Toilette, wo die Fäkalien in einer Art Eimer voller Sand gesammelt wurden. Um sie dann, wie auch den Kot der zwei Ziegen, in der Sonne auf dem Dach zu trocknen. Um ihn schließlich verbrennen zu können, Holz ist selten und teuer.

Das hält aber das junge Paar nicht davon ab, heiße Abende auf dem Dach zu verbringen und das eine oder andere Bierchen zu trinken. Denn Bier – aus Gerste – und Brot – aus Emmer – waren die Grundnahrungsmittel. Und z.B. für Bauarbeiter zusammen mit Zwiebeln auch der Lohn. Denn, nebenbei erwähnt: Die berühmten Bauwerke Ägyptens wurden keineswegs von Sklaven erbaut.

Die restliche Ernährung bestand aus Obst und Gemüse, Nüssen und Oliven, Linsen, Erbsen und auch Fleisch und Fisch. Die Ägypter züchteten Rinder und Ziegen und die Nilfischerei war ein wichtiges Gewerbe.

Verlassen wir also Miu und ihren Mann, bevor es wieder zu peinlichen Sexszenen auf dem Dach kommt und werfen einen letzten Blick auf die beiden.

Miu ist ca. 157 cm groß und ihr Mann mit 1,65 auch genau durchschnittlich groß. Wie alle Ägypter ist ihr Teint viel dunkler, als das mittlerweile in Ägypten der Fall ist. Beide tragen etwas wie einen Kilt aus Leinen, der um die Hüfte gewickelt war und sonst weiter nichts. Vielleicht holt Miu später noch ihre Tunika aus Seide aus der Wohnung, denn das war ein besonderes Hochzeitsgeschenk. Weil die beiden ja eher so ein Mittelschichtleben führen, können sie sich auch Ledersandalen leisten.

Und beide sind natürlich geschminkt. Ein dicker schwarzer Lidstrich reicht fast bis zur Schläfe, die Augenbrauen sind nachgezogen und verlängert. Und beide sind natürlich parfümiert, ein weiteres Symbol für ihren gesellschaftlichen Aufstieg.

Alter und Tod lassen wir heute einfach gut gelaunt aus! Ade, Miu und namenloser Steinmetz!


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 July 29, 2015  14m