Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0430: Planet Neun


Schon wieder geht die Welt unter. Sagt die New York Post. Planet Neun wird uns mit Kometen bombardieren und dann: Aus, die Maus. Im Laufe meiner Lebzeit der dutzendste Weltuntergang. Aber ist ein Planet Neun entdeckt?

Download der Episode hier.
Beitragsbild: By Tomruen, nagualdesign; background taken from File:ESO – Milky Way.jpg – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47069857
Opener und Closer: „Plan 9 From Outer Space – Best Lines“ von CeruleanFilms
Musik: „Rock Star“ von Michael Ellis / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Wenn ich Planet Nine höre, ergänze ich im Geiste immer „From Outer Space“. Aber DAS heißt natürlich in Wirklichkeit „Plan Nine“, wo die Ergänzung dazugehört. Einer der allerbesten der schlechten Filme, die so schlecht sind, dass sie schon wieder gut sind.

Planet Nine ist aber jetzt in aller Munde. Vor allem seit die New York Post unlängst ein reißerisches Video über ihn veröffentlichte. Das war im Stil etwas so: „Wissenschaftler haben einen neunten Planeten entdeckt. Der sendet uns regelmäßig Meteore und ähnliches Kroppzeug. Einige Wissenschaftler glauben, dass sich das regelmäßig wiederholt. Und das dieser Planet Neun am Aussterben der Dinosaurier schuld ist. Und sie glauben, dass sich das bald wiederholt. So wie diesen Monat.“

Das Video endet dann mit dem Joke: „Sollten Sie also ihre Steuern noch nicht bezahlt haben, dann machen Sie das lieber bald. Denn das Finanzamt findet Sie auch auf, nachdem die Welt untergegangen ist.“

An diesem Video ist, bis auf den letzten Satz, eigentlich so ziemlich alles falsch, was man sich nur ausdenken kann. Den Satz „Einige Wissenschaftler glauben…“ hasse ich ja sowieso abgrundtief.

Kurz gesagt: Wissenschaftler sind Menschen. Viele Menschen. Für jede These lässt sich ein Wissenschaftler finden. Seit Jahrzehnten umkreisen menschengemachte Satelliten unseren Erdball, trotzdem gibt es „Wissenschaftler“, die glauben, die Erde wäre eine Scheibe. Nicht 50%, nicht 10%, nicht 1%, aber vielleicht ein Hunderstel Promill.

Aber das alles ist auf sooo vielen Ebenen dumm. Fangen wir also von vorne an. Planet Nine. Planet Neun. Der ist ja nötig geworden, weil uns der Pluto abhanden gekommen ist. Das hat angefangen, als die Internationale Astronomische Union sich 2006 auf eine Definition geeinigt hat, was denn nun bitteschön ein Planet ist. Muss ja ‘mal einer machen, oder?

Ein Planet ist also ein Himmelskörper,

(a) der sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne bewegt,
(b) dessen Masse groß genug ist, dass sich das Objekt im hydrostatischen Gleichgewicht befindet (was ungefähr bedeutet, dass er kugelförmig ist.)
und (c) der das dominierende Objekt seiner Umlaufbahn ist, das heißt, diese über die Zeit durch sein Gravitationsfeld von weiteren Objekten „geräumt“ hat.

Und da hat der Pluto bei c) einfach die Latte gerissen. Als er 1930 entdeckt wurde, wussten wir einfach noch nicht, was da alles los ist hinter dem Neptun. Es ist also nicht wirklich die Größe des Pluto, sondern die Tatsache, dass auf seiner Planetenbahn noch so viel mehr außer ihm geboten ist. Was aber natürlich ein Zusammenhang darstellt. Denn, weil er so klein ist, ist seine Anziehungskraft nicht groß genug, den ganzen Müll sauber einzusammeln.

Aber dieses dritte Kriterium, das mit der Aufräumarbeit, ist sowieso hoch umstritten. Wir, die Erde, haben zum Beispiel auch noch an die zehntausend Objekte in der Bahn. Aber, nimmt man die alle zusammen, sind wir immer noch 1,5 Millionen Mal so schwer wie der ganze Müll.

Egal. Wir sind also gerade, per definitionem, acht Planeten. Und damit lässt sich halt keine richtige Party feiern. Und irgendwie hatten wir Pluto auch lieb. Keiner denkt bei dem Namen des Eisklumpens an den Gott der Unterwelt. Jeder denkt an den Hund von Micky Maus. Oder? Oder? Oder?

Kommen also am 19. Januar dieses Jahres die Astronomen Konstantin Batygin und Michael Brown vom Caltech und verkünden, es gäbe da wahrscheinlich noch einen Planeten mit der Nummer Neun. Und das behaupten die nicht, weil sie Besuch bekommen hätten von Planet Nine oder ein supertolles Teleskop gebaut haben.

Ihr Paper basiert auf einer Computer-Simulation. Es gibt da ein paar Objekte hinter dem Neptun, die sich seltsam verhalten. Die haben so klingende Namen wie 2012 VP113, 2013 RF98 , 2004 VN112 , 2007 TG422, 2010 GB174 oder Sedna. Bis auf Sedna also keine Namen, die man sich leicht merkt. Bevor aber dieser Zwergplanet so getauft wurde, nach einer Meeresgöttin der Inuit, hieß auch sie, ganz unsexy, 2003 VB12.

Und diese Himmelskörper haben nun auffällige Umlaufbahnen. Kurz gesagt sind ihre Umlaufbahnen zu klein und haben auch einen auffälligen Winkel, wären da nur Jupiter und Saturn. Gäbe es einen Planeten Neun, dann würde ihr rebellisches Verhalten mehr Sinn machen.

All’ diese Daten haben Brown und Batygin nun in einen Rechner gesteckt und verschiedenste Optionen durchrechnen lassen. Am meisten Sinn machen die Berechnungen, wenn dieser mysteriöse Planet etwas kleiner als der Neptun ist und zehnmal so viel wiegt wie die Erde. Dann würde sich das Verhalten der Körper mit den seltsamen Namen am besten erklären lassen. Mehr eine statistische Rechenaufgabe als Weltraumabenteuer sozusagen.

Laut Brown ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Planet Nine existiert bei über 90 Prozent. Und er meint, Teleskope müssten ihn entdecken können. Das Subaru-Teleskop in Hawaii hat die Fährte auch schon aufgenommen.

Ds waren wir also alle sooo enttäuscht, dass Mickey Maus’ Hund die Party verlassen hat und dann kamen zwei Forscher und schenkten uns Planet Neun. Die waren nicht die ersten, die solch eine These postuliert haben. Eigentlich eher die fünften, die Hinweise auf die Existenz eines Transpluto gefunden haben. So war der Arbeitstitel nämlich früher. Transpluto statt Planet Nine.

Aber wie kommt die New York Post auf so einen Schwachsinn? Tja. Sensationslust? Komplette wissenschaftliche Inkompetenz? Geilheit auf den schnellen Klick? Komplette moralische Unverantwortlichkeit: Schließlich zahlen jetzt ein paar Überängstliche wahrscheinlich verfrüht ihre Steuern? Alles das. Und dann haben sie noch ein paar Dinge zusammengeworfen.

Es gibt da ja zum Beispiel Nibiru. Bei manchen auch als Planet X bekannt. Ein unentdeckter neunter Planet, der irgendwann seine Umlaufbahn verlassen wird und dann bei uns einschlägt und alles zerstört. Kein sympathischer Zeitgenosse, dieser babylonische Gott.

Aber, den Göttern sei Dank, ist das nur Humbug von Verschwörungstheoretikern. Und die durch Nibiru verursachte Apokalypse war schon. 2012. Habt ihr auch nicht mitbekommen? Ich auch nicht. Der Weltuntergang ist also – mal wieder – verschoben.

Und dann gibt es noch Nemesis. Klingt noch bedrohlicher, ist aber leider ein kleines bisschen wissenschaftlicher als Nibiru. Der Theorie nach gibt es einen braunen Zwerg mit diesem Namen. Wobei ein brauner Zwerg kein Karamell-Eis ist, sondern eher eine gescheiterte Sonne. Und dieser Zwerg wandert so durch das All, nur ein kleines wenig angezogen von unserer netten Sonne.

Und alle paar Millionen Jahre kommt er dann durch die Oortsche Wolke. Das ist der Ort, wo Kometen parken, bevor sie Dinosaurier ausrotten oder Atlantis vernichten. Und weil er als Quasi-Sonnne ein schwerer Brocken ist, löst er dann, enthemmt, einen grausamen Kometenregen aus. Der dann in regelmäßigen Abständen zum großen Artensterben hier auf Erden führt.

So geht die Theorie. Fassen wir also kurz zusammen: Nemesis ist eine vage Theorie, Nibiru ist völliger Schwachsinn, Planet Neun eine Arbeitshypothese. Ja, nicht einmal die Existenz der Oortschen Wolke ist bewiesen.

Ist also die New York Post ein Schmierblatt? Kucken wir ‘mal nach. Hmm… Ach ja, Rupert Murdoch. So wie bei den berühmten Fox News. Berühmt für rechte Propaganda.

Aber wurst – Schwamm drüber: Schaut weiter auf den Planeten Neun. Es ist alles noch spekulativ und ich bin auch kein Statistiker und habe nicht die geringste Ahnung, ob da ‘was dran ist. Aber so beginnt Wissenschaft ja oft. Mit einer Hypothese. Und dann mit dem Suchen nach Beweisen. Vielleicht können wir ja bald einen Ersatz für Pluto haben. Der dann auch nach einem griechischen Gott benannt wird.

Gemütlich ist es da übrigens wahrscheinlich nicht. Mit 226 Grad Celsius minus ist dagegen sogar unser guter, alter Pluto heimelig warm. Vielleicht sollten wir noch einmal an der Definition feilen?


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 April 25, 2016  14m