Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0432: Dusan Popov


Einst war ich mir nicht so sicher bei der Berufswahl. Detektiv, Superspion oder lieber doch Baggerfahrer. Und dabei hatte ich wahrscheinlich noch keinen James-Bond-Film gesehen. Der angeblich inspiriert ist von Dusan Popov. Seines Zeichens echter Superspion. Das müssen wir uns ‘mal genauer anschauen…

Download der Episode hier.
Closer: „Johnny English Reborn – Brand NewTrailer“ von Universal Pictures UK
Musik: „For your Ears only“ von Rosko / CC BY-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Es gibt Berufe, von denen man nicht wirklich viel weiß. Zum Beispiel kann man eine Ausbildung zum „Exterminator“ machen. Was ja lange auf Arnold Schwarzenegger gepasst hätte…
Aber der geheimste aller Berufe ist natürlich Geheimagent. Die haben keine Gewerkschaft, keine Stellenbeschreibung online, eigentlich weiß man nicht, was die so machen.

Halt Geheimnisse herauskriegen. Und dabei dürfen sie natürlich Gesetze brechen. Die fremder Staaten, nicht die eigenen, klar. Trotzdem war ich mir ziemlich sicher, dass das nicht alles James Bonds sind. Gerade heutzutage werden da wohl mehr Datenbankspezialisten mit Kenntnissen in SQL sitzen als Playboys mit der Lizenz zum Töten.

Dann las ich eine Autobiographie. Die von Dusan Popov. Mit dem äußerst bescheidenen Titel „Superspion“. Von 1974. Und dieser serbische Kaufmannssohn behauptet darin, er persönlich sei das Vorbild für James Bond. Genau. Mein Name ist Popov. Dusan Popov. Die Geschichte, die er erzählt, geht ungefähr so:

Dusan ist, wie erwähnt, der Sohn einer reichen serbischen Kaufmannsfamilie. Money doesn’t matter. Nachdem er Jura in Dubrovnik studiert hatte, wollte er in Freiburg im Breisgau promovieren. Dort schrieb er also an seiner Promotion und unterhielt schnell fluktuierende Beziehungen zu diversen Frauen. Denn, so Popov, in Freiburg leben die hübschesten Frauen der Welt.

Er lernt einen anderen reichen Lebemann kennen, Johnny Jepsen. Seinerseits Sohn einer reichen hanseatischen Kaufmannsfamilie, für den Money auch kein problem is. Als Johnny mit seinem Mercedes 540 K nach Freiburg kommt, ist sein erster Gang der zur Polizei. Wo er zwei dicke Stapel Bargeld hinterlegt. Um die Kosten seiner zukünftigen Strafzettel schon einmal abzudecken.

Die beiden führen das Leben von Playboys. Ein wichtiger Anlaufpunkt in Freiburg ist das Klubhaus der Deutsch-Ausländischen Gesellschaft in der Schwimmbadstraße 8. Regelmäßig finden hier völkerverbindende Parties statt, damit die ausländischen Studenten Kontakt zur hiesigen Bevölkerung aufnehmen können. Zur weiblichen vornehmlich.

Und Dusan, Johnny und ihr Kumpel “Freddy” Graf von Kageneck genießen ihr Leben in vollen Zügen und machen sich über die Nazis lustig. Vor ihrem Lieblingscafé Birlinger in der Bertoldstraße zum Beispiel. Wo zwei SA-Männer Wache schieben. Nachdem sich Frau Birlinger geweigert hatte, ein Schild aufzuhängen, auf dem stand: „Juden und Hunde verboten.“

Und weil er so impertinent war, sperrt ihn die Gestapo ein. Sagt Dusan. Aus Trotz zieht er seine Promotion zurück und flieht des Landes. Nach England. Bis ihn nach ein paar Jahren sein Kumpel Johnny wieder kontaktiert. „Du, ich arbeite jetzt für den deutschen Geheimdienst. Für die Abwehr. Natürlich als Doppelspion, um den Nazis eins auszuwischen. Willst Du mitspielen?“

Da sagt der zukünftige James Bond nicht „Nein“, nimmt seine Bewerbungsunterlagen und geht zum Secret Intelligent Service. Oder MI6, wie wir mittlerweile sagen. Somit ist er Doppelagent.

Die Abwehr schickt ihn nach Lissabon, Portugal, um da ein Agentennetzwerk aufzubauen. Portugal war offiziell neutral, aber wurde über eine Art Luftbrücke während des ganzen Krieges vom Vereinigten Königreich aus versorgt.

Klar, dass die vermeintlichen Agenten, über die er berichtet, in Wirklichkeit auch beim MI6 arbeiten und sich schöne Geschichten für den Nazi-Geheimdienst ausdenken. Aber das alles funktioniert prächtig und Dusan kam so in den Genuss von zwei Gehältern, um seinen Playboy-Lebensstil zu finanzieren.

Weil das alles so toll funktioniert, schicken ihn die Deutschen nach Amerika. Um auch dort eine Netzwerk aufzubauen. Dazu geben sie ihm einen Fragebogen mit. Drei Seiten an Aufgaben, die es geheimdienstlerisch abzuarbeiten gilt. Eine ganze Seite widmet sich dabei Pearl Harbor.

Nimmt unser Dusan den Fragebogen und geht natürlich direkt zum FBI. Und nennt Edgar Hoover persönlich, aufgrund seiner Informationen, den Ort und die Zeit, an dem die Japaner Pearl Harbour angreifen wollen.

Aber weil Hoover so ein dummer, arroganter, schwuler Sack ist, dem solche Playboys wie Dusan suspekt sind, lässt er die Informationen in der Schublade verschwinden. Worauf dann die Japaner am 7. Dezember 1941 die amerikanische Pazifikflotte versenken und 2400 amerikanische Soldaten sterben.

Wegen Hoover muss Dusan die USA verlassen und trickst als nächstes so lange ‘rum, bis er die Abwehr davon überzeugt hat, dass die Amerikaner in Calais landen werden. Nicht in der Normandie. Neiinnn…

Und entscheidet somit den Ausgang des Zweiten Weltkriegs mit. Ein Superspion eben. Jemand, der für seinen Lebensunterhalt lügt. Und übertreibt. Und so tut, als wäre er jemand ganz anderes.

Wie weit kann man wohl sooo einer Autobiografie trauen?

Nicht so besonders weit. Ich habe ein bisschen gepopelt. Dusan Popov hat in Freiburg studiert. Aber seine Promotion hat er nicht zurückgezogen. Sie wurde nicht akzeptiert, weil er sie zu spät abgegeben hat.

Johnny Jebsen war nicht sein Kontaktmann zur Abwehr. Der arbeitete dort nämlich in der Finanzabteilung. Und war wahrscheinlich ein loyaler Nazi. Und Dusan wollte ihn vielleicht ein bisschen reinwaschen.

Dann die Pearl-Harbour-Theorie. Sehr zwiespältig. Der dreiseitige Fragebogen z.B., den die Abwehr ihm gab, ist in den Unterlagen des FBI erhalten. Keine Frage zu Pearl Harbour ist da zu finden. Dann erfindet er einen Besuch des japanischen Militär-Attaches mit Militärstab, die sich 1940 schon bei der Abwehr nach militärischen Unterlagen erkundigen. Auch nicht wahr.

Und als letztes D-Day. Die Abwehr glauben zu lassen, die Landung der Alliierten findet in Calais statt, war natürlich eine konzertierte Aktion. Von vielen Agenten. Und die Tatsache, dass die Enigma geknackt war, was aber die Nazis nicht wussten, war auch ganz erheblich wichtig.

Es ist eher so, dass er die Abwehr noch drei Wochen lang glauben ließ, der eigentliche Angriff würde erst erfolgen. Dass die Landung in der Normandie nur ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver ist.

Colonel Henry Julien hat öffentlich in einem Interview gesagt: Popov ist persönlich dafür verantwortlich, dass sieben deutsche Divisionen in Calais geblieben sind, weil sie auf den eigentlichen Angriff warten sollten.“

Alles also nicht so Superspion-mäßig. Ist halt ein geheimer Beruf. Geheimagent. Werden wir nie so richtig rausbekommen. Trotzdem war Dusan Popov irgendwie James Bond. Speziell in einem Kapitel. Und das haben wir nicht nur von ihm selber erhalten, sondern auch von Ian Fleming. Der war damals auch für den Geheimdienst in Lissabon tätig. Und wurde Zeuge dieser Szene.

Dusan Popov saß im Casino an einem Spieltisch. Wo Baccarra gespielt wurde. Und da war dieser reiche Litauer, der jedes Mal, wenn er die Bank war, verkündete, „Banque Ouverte!“

Heißt übersetzt: Egal, wie hoch, der Einsatz: „Ich wette dagegen.“

Da packt Dusan seinen Einsatz auf den Tisch. Banknote für Banknote. 50.000 Britische Pfund. Was heute ca. 1,5 Millionen Euro wären. Worauf der Litauer erklären muss, dass er DA nicht mithalten könne. Und sich das Casino entschuldigt, so einen angeberischen Sack wie diesen Balten überhaupt am Tisch geduldet zu haben.

Dusan Popov packt darauf sein Geld wieder ein. Dass aber in Wirklichkeit dem MI6 gehört und dass er längst schon hätte einzahlen müssen.

Diese Szene beobachtet ein Autor, der an seinem Erstling schreibt. Ian Fleming. Der zwischendurch sehr blass geworden war. Und in Casino Royale haben wir erst unlängst sehen dürfen, wie Daniel Craig genau diese Szene aus dem Jahr 1940 nachgespielt hat.

Irgendwie also schon cool, dieser… Popov. Dusan Popov. Im Geheimdienst seiner Majestät.


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 April 27, 2016  15m