Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0434: Bobenkirchen


Das diese Sache mit dem Daten einfacher geworden ist durch das Internet, das kann man ja nicht guten Gewissens behaupten. Wenn man da alles treffen kann! Trotzdem haben sich Bernhard und Sandra ein Herz gefasst und warten nun auf ihr Blind Date. Und da wartet eine echte Überraschung auf sie!

Download der Episode hier.
Background: “Romantic” – Composed and performed by Bensound / CC BY-NC-SA 3.0
Opener: „Parship Werbung 2015 PARODIE I Sharpip mit Hotte“ von Der Budda
Closer: „Louis CK – On Dating“ von Bart Tricas
Musik: „Speed Dating“ von BOB ET FLANAGHAN / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Wir befinden uns in einem kleinen Café mitten in Berlin. Es ist erst 6 Uhr am Abend und nicht viel los. An einem Tisch sitzt Sandra. Sie wartet auf Bernhard. Die beiden haben sich bei einer Parterschaftsbörse kennengelernt. Das ist ihr erstes Date. Ein unverbindlicher kleiner Kaffee nach der Arbeit, so der Plan. Punkt 6 Uhr öffnet sich die Tür. Es ist Bernhard. Er geht direkt zum Tisch von Sandra.

B: Äh, hi! Ich bin der Bernhard.
S: Hallo! Bernhard! Schön, Dich kennenzulernen, ich bin die Sandra.
B: Ja. Schön. Finde ich auch. Was dagegen, wenn ich mich hier hinsetze?
S: Nee, gar nicht, natürlich. So ist das ja gedacht. Kannst ja schlecht die ganze Zeit da stehen! (kichert aufgeregt)
B: Ja, ha ha. Das wäre unangenehm. Ha ha…

(Pause)

S: Ich wollte das hier eigentlich gar nicht machen.
B: Oh, wieso? Hab’ ich ‘was Komisches geschrieben?
S: Nein, nein. Ich meine nicht, DICH zu treffen. Sondern dieses ganze Partnerschaftsding.
B: Äh. Ach so. Soll ich wieder gehen?
S: Nein, nein, nein. Tut mir leid, dass ich das überhaupt gesagt habe. Aber ich hab’ mich da nur angemeldet, weil meine Mutter das gewollt hat.
B: Du wohnst noch bei Deiner Mutter?
S: Nein, aber wir telefonieren jeden Tag. Und sie meinte, ich müsse endlich Leute in der Stadt kennenlernen.
B: Ja, das ist gar nicht so einfach. Was machst Du denn so?
S: Was ich mache? Äh… Ach so, Du meinst beruflich?
B: Ja, genau.
S: Ich sitze hier um’s Eck bei der Vertrauensbank am Schalter.
B: Aha.
S: Ja, ist ganz o.k. Die Kollegen sind nett. Aber dafür hätte ich eigentlich nicht BWL studieren müssen. Ha ha…
B: Stimmt. Da kann man auch eine Lehre machen. Ich habe eine Lehre gemacht.
S: So. Auch eine gute Sache. Zu was denn?
B: Fachinformatiker. Anwendungsentwicklung. Ich arbeite bei der Stadt Berlin.
S: Ah. Das ist ein sicherer Job, oder?
B: Na ja, kennst ja Berlin. Arm, aber sexy.
S: Ja, kenne ich. Doofer Spruch. Ich finde Berlin gar nicht sexy.
B: Ich auch nicht.

(Pause)

B: Ist das Dein erstes Date?
S: Ja, schon. Ich mache das ja wegen meiner Mutter. Die denkt, ich lebe zu einsam.
B: Ja, kann schon einsam sein in so einer Großstadt.
S: Das finde ich auch. Denkt man gar nicht, bei den vielen Leuten.
B: Und den vielen stinkenden Autos.
S: Und den ganzen Baustellen überall.
B: Und den Touris mit den knatternden Rollkoffern.
S: Und den besoffenen Schulklassen auf Klassenfahrt.
B: Genau!

(Pause)

S: Und Du? Ist das auch Dein erstes Date?
B: Nee, das ist schon mein viertes Date. Aber irgendwie komme ich mit den Großstadtfrauen nicht zurecht. Die wollen immer teuer essen gehen. Oder in irgendwelche Clubs.
S: Ja, diese Clubs. Ich habe das auch einmal probiert. So ein Club. Mir haben noch eine Woche lang die Ohren gedröhnt von dem Lärm!
B: Ja, gell? Ich bin das echt nicht gewöhnt. Weißt Du, ich komme gar nicht aus der Stadt. Ich arbeite hier erst seit zwei Jahren.
S: Ich auch! Ich dachte, wenn man etwas erreichen will, dann muss man in die Stadt.
B: Ja, dachte ich auch. Ich wollte einfach ‘mal ‘was Anderes erleben als nur immer diese Kleinstadt, aus der ich komme. Etwas Neues. Aufregendes. Aber ich hab’ mich ganz schön getäuscht.
S: Ja, ich auch.

(Pause)

S: Wo kommst Du den her?
B: Ach, das kennst Du nicht. Ist eine kleine Stadt in Bayern.
S: Hey, ich komme auch aus Bayern! Wo denn genau?
B: In der Nähe von Ulm.
S: Kenne ich. Wo genau?
B: Kennst Du Erlenreuth?
S: Klar! Keine 11 km von da bin ich aufgewachsen!
B: Echt? Dann kennst Du auch Bobenkirchen?
S: Hör auf! Du kommst aus Bobenkirchen? Im Ernst? Ich auch!
B: Das gibt’s doch nicht? Im Ernst? Von all’ den Frauen in Berlin treffe ich die eine, die auch aus Bobenkirchen kommt? Ja, da leck mich doch… Sorry.
S: Kein Problem. So sind wir am Land halt. Bisschen grob, aber ehrlich! Ach, ich vermisse Bobenkirchen so…
B: Ja, ich auch. Die Ruhe.
S: Die Natur.
B: Den kleinen Park am Fluss.
S: Und die Berge ganz in der Nähe.
B: Genau! Und das Frühlingsfest jedes Jahr!
S: Ja, mit dem tollen Flohmarkt am ersten Tag!
B: Da war ich auch immer! Ich habe da meine gelesenen LTBs verkauft!
S: Ohne Schmarrn? Ich habe da immer Comics gekauft! Wir müssen uns eigentlich schon kennengelernt haben!
B: Wahrscheinlich! Das ist ja ein Ding! Hey, ich bin so happy, dass ich das gemacht habe. Dich anzuschreiben. Am Anfang war ich mir nicht so sicher…
S: Ja, ich auch. Aber jemanden aus Bobenkirchen hier zu treffen!
B: Den ich wahrscheinlich auch schon kenne!
S: Ja, das ist der Hammer. Ich fühle mich so erleichtert!
B: Ja, ich auch. Endlich nicht mehr alleine sein!
S: Ja, in so einer bescheuerten, dreckigen, lauten Großstadt!
B: Ja, genau! Mann, wie ich Bobenkirchen vermisse!
S: Ich auch! Ich auch! Ich würde am liebsten gleich ins Auto springen und Dich meiner Mutter vorstellen!
B: Das sollten wir unbedingt bald machen! Ich kann auch nicht warten, meinen Eltern meine neue Freundin vorzustellen!
S: Das machen wir! Vielleicht finden wir ja auch in Bobenkirchen einen Job.
B: Das könnte schon sein. Jetzt, mit dem neuen Gewerbegebiet geht’s da ja ziemlich aufwärts.
S: Und irgendwo am Bankschalter wird’s schon ein Plätzchen für mich geben…
B: Da hat’s sogar IT-Firmen. In dem Gewerbegebiet. Vielleicht finde ich da auch ‘was für mich!
S: Genau! Aber sicher! Warum nicht! Und dann könnten wir uns ein kleines Häuschen mieten.
B: Das wäre klasse. Und wahrscheinlich kriegen wir sogar eines am Stadtpark. Kann auch nicht teurer sein als meine 2,5-Zimmerwohnung hier!
S: Ach, am Land ist überhaupt alles günstiger. Da können wir mit zwei Gehältern leben wie die Könige!
B: Und vielleicht geht’s auch mit einem Gehalt. Wenn dann die Kinder kommen!
S: Klar, da müssen wir halt ein bisschen haushalten. Aber – hey – ich habe ja BWL studiert!

Die beiden fassen sich über den kleinen Caféhaustisch an den Händen und schauen sich verliebt in die Augen. Die Kellnerin will die Bestellung aufnehmen. Bernhard und Sandra bekommen das gar nicht mit. Die Kellnerin zuckt die Schultern und geht wieder.

S: Schatz, wir sind doch ungefähr gleich alt, oder?
B: Ich bin Jahrgang 84, Mausebär. Und Du?
S: Und ich 85! Wir müssen uns doch in der Schule gesehen haben.
B: Bestimmt! Bist Du auch auf die Peter-Kutscher-Schule gegangen?
S: Oh. Nee, ich bin aus dem Westend.
B: Oh je.
S: Wieso „Oh je“? Ich finde, das war eindeutig die bessere Schule.
B: Klar.
S: Ihr auf der Peter-Kutscher-Schule habt mir immer ein bisschen leid getan.
B: Das kann ich mir vorstellen. Weil ihr im Westend immer denkt, ihr seid etwas Besseres.
S: Na ja, hör mal, bei uns wurden keine Jacken geklaut oder Drogen vertickert!
B: War ja auch nicht nötig, weil ihr alle tolle Jacken hattet! Und Autos.
S: Hey, ich kann auch nichts dafür, dass meine Eltern viel gearbeitet haben!
B: Aber auf uns Ost-Städler blasiert herabschauen, dafür kannst Du wohl ‘was!
S: Wie soll man auch nicht auf euch herabschauen, wenn ihr alle so prollig seid!

B: Sind wir nicht!
S: Seid ihr doch!
B: Sind wir nicht!
S: Seid ihr doch!
B: Sind wir nicht!
S: Seid ihr doch!

B: Weißt Du ‘was?
S: Ja. Und zwar mehr als Du!
B: Ha! Schon wieder! Du eingebildete Westendgöre!
S: Du geistig minderbemittelter Oststadtpenner!

B: Weißt Du was?
S: Ja, das hast Du schon mal gefragt. Merkst Du jetzt selber, dass Du doof bist!
B: Du kannst mich ‘mal am Arsch lecken! Du Bonzenkind! Und Dein spießiges Bobenkirchen kannst Du Dir sonstwo hinstecken!
S: Na, da zeigt sich der Herr Proll in seiner ganzen verbalen Größe! Ich sag’ Dir eines: DU kannst mich ‘mal am Arsch lecken! Ich will Dich nie wiedersehen! Landei, piefiges!

B: Von allen Frauen in Berlin erwische ich ausgerechnet eine Oberspießerin aus meinem popeligen Kaff!
S: Von allen Männern in Berlin erwische ich ausgerechnet einen primitiven Lehrbuben frisch aus der Pampa importiert! Leb’ wohl, Du Arsch! Ich hasse Dich!

B: Ich hasse Dich auch! Geh’ heim und telefoniere mit Deiner Mama! Vielleicht überweist Sie Dir zum Trost einen neuen Porsche!

Beide verlassen wutschnaubend das Café. Es wird sehr ruhig. Die Kellnerin zuckt die Schultern. Man kann das hören.


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 April 29, 2016  14m