Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0437: Der Schimpansenmensch


Mein Lieblingstier bei Daktari war ja nicht Clarence, der schielende Löwe. Sondern Cheetah. Was aber kein Gepard war, sondern ein Schimpanse. Wahrscheinlich, weil uns Schimpansen so ähnlich sind, wäre es doch eine Möglichkeit, dass es Hybride gibt. Also Wesen, die halb Mensch, halb Affe sind. So wie vielleicht Oliver es war.

Download der Episode hier.
Opener: „Oliver The Chimp Part 4 of 6“ von primate1234
Closer: „Evolution – Science Comedian Brian Malow“ von sciencecomedian
Musik: „Run&Fly (2010)“ von BLUE MONKEYS / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Nachdem am Montag in der Sendung klar geworden ist, dass es unwahrscheinlich ist, dass wir so bald ein Teekränzchen mit Außerirdischen haben werden, müssen wir uns halt hier umschauen. Auf der Erde.

Und mit wem könnte man besser kommunizieren als mit unseren Cousins und Cousinen, die auf dem gleichen Zweig des Evolutionsbaums sitzen wie wir? Mit den Schimpansen.

So ähnlich sind Pan troglodytes und Pan paniscus uns Homos – Moment, das klingt falsch. So ähnlich sind Schimpansen und Bonobos uns Menschen, dass es Forscher gibt, die sagen, die gehörten eben in den biologischen Genus Homo. Also in unsere Spezies.

Z.B. Morris Goodman von der Wayne State University in Detroit. Der hat die wichtigen, aktiven Basen der DNA von Mensch und Schimpanse verglichen und sagt, diese seien zu 99,6 Prozent identisch. Eine Einzelmeinung. Das die DNA in ihrer Gesamtheit zu ca. 95% gleich ist, ist allerdings allgemein anerkannt.

Darum haben sich Menschen schon immer gefragt, ob wir… mit denen… Babies kriegen können. Ob es Mensch-Affen-Hybride geben könnte. So wie z.B. Maultiere ein Hybrid sind zwischen Esel und Pferd. Oder Liger Hybride zwischen Tiger und Löwe. Gibt es also auch… wie nennen wir das im Deutschen am besten? Menschenaffen, nee, das sind’se ja eh’. Affenmensch? Nee, das ist ja Tarzan. Schimpensch? Menanse? Im Englischen gibt es dafür das Wort Humanzee. Aus Human and Chimpanzee.

Denn solche Versuche wurden unternommen. Ilya Ivanovich Ivanov – russischer kann man nicht mehr heißen – hat 1926 drei Schimpansinen künstlich mit menschlichen Samen befruchtet. Keine wurde schwanger. In China gab es in den 60ern angeblich eine schwangere Schimpansin, die aber im dritten Monat Opfer der Wirren der Kulturrevolution wurde. Und dann gab es in den Siebzigern Oliver.

Oliver war ganz anders als alle anderen Schimpansen. Seine Geschichte beginnt um 1969, als die Tiertrainer Frank and Janet Berger ihn und zwei andere Menschenaffen aus Afrika importierten. Ihre Profession war es, Tieren Kunststücke beizubringen, die dann in Fernsehshows quotenbringend auftraten oder Gastrollen in Spielfilmen.

Profi-Dresseure sozusagen. Und sicher nicht von der vorsichtigen, langsamen Art. Sondern eher von der strengeren, schnelleren, lukrativeren Art. Und von Anfang an fiel Oliver deutlich auf. Weil er sooo anders war. Zum Beispiel ging er immer aufrecht. Auf zwei Beinen. Wie wir Menschen. Er hatte wenig bis gar keine Behaarung im Gesicht. Sein Kopf war schmaler als der anderer Schimpansen. Sein Kiefer weniger ausgeprägt und seine Stirnwulst kleiner.

Er gab sich nie mit anderen Schimpansen ab, roch auch ganz anders als diese und hatte eine Stimme, die mehr nach Vogel klang wie nach Affe. Aber am meisten auffallend war sein Verhalten. Er konnte Pflichten übernehmen. Wenn Janet Berger ihm auftrug, den Stall auszumisten, dann nahm er Schubkarre und Mistgabel und tat das. Er mischte auch für die vielen Hunde das Hundefutter und verteilte es.

Nachmittags trank er mit seinen Besitzern gerne eine Tasse Kaffee. Wenn er bemerkte, dass eine Gästetasse leer war, ging er selbstständig in die Küche und schenkte nach. Am Abend pflegte er sich mit den beiden Menschen auf die Couch zu setzen und Glotze zu kucken.

Natürlich rauchte er dazu gern ein Zigarettchen, so wie Frank. Und ab und zu mixte er sich selber einen Drink. Einen kleinen Schluck Whiskey und einen großen Schluck 7Up. Wenn er Menschen vorgestellt wurde, dann reichte er ihnen die Hand, wie Menschen es tun.

Mit 7 Jahren wurde er geschlechtsreif und sein Fortpflanzungstrieb setzte ein. Doch Objekt seiner Begierde waren nicht andere Affen, sondern eben Janet. Oder andere weibliche Gäste. Er wurde dabei nicht aufdringlich oder aggressiv, wie normale Schimpansen, aber trotzdem war das seiner Besitzerin unheimlich. Denn Oliver war ein sehr kräftiger… tja, was? Schimpanse? Mensch? Humanzee?

Sein nächster Besitzer war ein Anwalt aus Manhattan, Michael Miller, der Oliver für 8000 Dollar erwarb. Beim Abschied, so der Bericht, hätte er geweint wie ein Kind. Aus seinen seltsam blauen Augen. Also Oliver, nicht der Anwalt.

Im Jahre 1978 erschien dann der erste Artikel, der sich mit dieser seltsamen Kreatur auseinandersetzte. Und zwar in der Los Angeles Times. Oliver sei das missing link. Die gesuchte Verbindung zwischen unseren noch äffischen Vorfahren und uns Homo sapiensens.

Andere Zeitungen hielten ihn für einen Sasquatch oder Bigfoot. Aber groß war er ja nicht. Miller war schlau genug, immer wieder die These zu platzieren, es könne ja ein Hybrid sein. Halb Schimpanse, halb Mensch.

Besonders in Japan sorgte diese These für Furore. Miller und Oliver wurden ins japanische Fernsehen eingeladen. Gegen eine hohe Gage. Eine ganze Riege an Wissenschaftlern untersuchte ihn gründlich. Er wurde geröntgt, sein Blut wurde untersucht, Verhaltensforscher waren da und es wurde auch ein Gentest gemacht. Die Show hieß passenderweise „Affe oder Mensch“. Mit 25 Millionen Zuschauern eine der 100 erfolgreichsten Vorabendsendungen im japanischen Fernsehen.

Und tatsächlich: Oliver hatte nicht 46 Chromosomen wie Du und ich. Und auch nicht 48 wie Cheetah aus Daktari oder Judy von Tarzan. Sondern 47. Der Beweis war erbracht. Eine Zeitlang zumindest.

Nachdem das große Interesse an unserem traurigen Helden nachgelassen hatte, wechselte er noch oft den Besitzer. Er wurde Teil einer Freak-Show, in der er täglich auftreten musste. Und natürlich als Mensch-Affe-Hybrid vermarktet. Auch in einem Versuchslabor landete er noch, aber jahrelang wurden keine Experimente mit ihm gemacht. Er saß nur stumpfsinnig im Käfig.

Am Ende seiner Lebenszeit hatte das ausgebeutete Tier aber doch noch ein bisschen Glück. Er landete in einer Tierklinik mit Namen „Primarily Primates“ in Texas, sozusagen ein Altersheim für Menschenaffen. Die entdeckten an ihm bei der Eingangsuntersuchungen überall Narben und kleine Verletzungen von zahlreichen Misshandlungen, gut behandelt wurde er folglich nicht.
Halb Mensch? Egal!

Völlig erblindet und schwer arthritisch fand er tatsächlich noch eine äffische Lebenspartnerin. Die viel jüngere und fürsorgliche Raisin, mit der er seine letzten Jahre verbrachte, bis er 2012 eines Morgens in ihren Armen tot aufgefunden wurde. (schnief) Was denn? Das ist nicht kitschig, das ist die Wahrheit.

Dr. John J. Ely, von der Trinity University hat Oliver 1998 ein letztes Mal genetisch untersucht. Er hatte ganz normale 48 Chromosomen, wie es sich für einen Schimpansen gehört. Die Kollegen in Japan wären einem Messfehler zum Opfer gefallen. Auch seine Schädelform passt statistisch durchaus in die normale Varianzbreite von Pan troglodytes. Die Kahlköpfigkeit war wohl einer Krankheit geschuldet.

Er schließt seine Untersuchung mit folgenden Worten ab: „Egal, was Hobbybiologen oder Tierhändler immer wieder behaupten, es gibt nicht einen einzigen Beweis für einen Hybriden zwischen Affen und Menschen. Die Tatsache, dass wir von dieser Vorstellung so besessen sind, wäre eine ernsthafte psychologische Forschungsarbeit wert.“

Ach, Dr. Ely, seien Sie doch nicht so herzlos. Wir wollen halt nicht alleine sein. Und jemanden, der Oliver heißt, muss man einfach lieb haben!


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 May 4, 2016  14m