Ein Koffer Wörter

Ein Poetry Slam für die Hosentasche, geht das? Kommt drauf an. Ein Koffer Wörter hat: Poetry. Quatschige Quatschtexte. Jede Menge Selbsthass. Ein Koffer Wörter hat nicht: Nerviges Lehramtsstudierendenpublikum mit Becks-Gold-Flaschen in der Hand. Applausometer. Covid-19-Aerosole. Such's Dir aus.

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episode 98: Whateverest


TL;DR Betäubung ist die Zwillingsschwester der Schuld oder besser gesagt des Schuldgefühls, und wenn ich gerade niemand Konkreten finde, dem/der gegenüber ich mich mit Betäubung schuldig mache, dann muss eben das eigene Spiegelbild herhalten.

Hi, Matthias hier. Womit betäubst Du Dich eigentlich so im Laufes Deines Tages? Wenn Du sagst: Gar nicht, dann glaube ich das nicht und ich würde Dich bitten, noch mal ein bisschen intensiver nachzudenken. Hier wirst du bei genauerem Nachdenken aber schon auf das kniffelige Problem stoßen, dass Du ja gar nicht wissen kannst, was ich mit „Betäubung“ eigentlich meine. Denn ja, ich nehme Dir gerne ab, dass Du nicht ständig unter einer betäubenden Medikation stehst und ja, rein statistisch ist es recht wahrscheinlich, dass Du kein_e Alkoholiker_in bist oder betäubungsmittelabhängig. Aber Du wirst wahrscheinlich auch das Gefühl oder die Motivation kennen, sich zum Beispiel mit Netflix, Dudelradio oder Podcasts zu betäuben. Man kann sich auch mit Nachrichten oder Onlineshoppen betäuben oder mit Renovierungsplänen für die eigene Wohnung. Jetzt sind schon wieder einige Sätze durch den Äther geflossen, aber ich habe immer noch meine eigene Frage nicht beantwortet: Was bedeutet das denn eigentlich: Betäuben? Für mich ist „Betäuben“ das, was ich tue, um das Leben kurzfristig erträglich zu machen in Differenz zu dem, was ich tun könnte, um mit dem eigenen Leben irgendwie zufrieden zu sein. Du merkst schon, der Gedanke atmet eine recht ungesunde Mischung aus preußischer Arbeitsethik und etwas schwurbeligem Existenzialismus. Da schwingt viel „Gesolltes“ und „Gewolltes“ mit, und ziemlich viel Eso, wenn ich das mal so sagen darf, man könnte schnell auch an Michael Endes Auryn-Amulett in der Unendlichen Geschichte denken, auf das der Satz „Tu, was du willst“ geprägt wurde, der, wie der Protagonist im Laufe des Buches lernen wird, „Tu, was du wirklich willst“ bedeutet, und selbst wenn’s dann eben bisschen flach und eso ist, wäre es vielleicht nicht so falsch zu sagen, dass Betäubung alles ist, was zwischen „Tu, was du willst“ und „Tu, was du wirklich willst“ geschieht. Es ist zumindest in meinem Leben so, dass dieses „Tu, was du wirklich willst“ mit überraschend wenig Kurzfrist-Gratifikation (wie’s eine Psychologin nennen würde) zu tun hat und überraschend viel Arbeit bedeutet. Und, ganz wichtig: Es gibt keinerlei Automatismus, dass viel und stetige Arbeit daran zu tun, was man wirklich will, auch wirklich zu höherer Zufriedenheit führt oder dass ich überhaupt in der Lage bin zu erkennen, was zum Teufel ich denn wirklich tun will!

Auf der anderen Seite ist das Binge-Watchen aller sieben Staffeln von Star Trek Deep Space Nine nach meiner Definition ziemlich sicher eine Betäubung, aber es ist eben auch eine grundsolide Serie, bei der man Grinsen, Mitfiebern, Heulen und mit den Augen rollen kann und das klingt doch erst mal gar nicht so verkehrt… Also, was denn jetzt? Und geben wir’s doch zu: Wenn ich auf dem Weg zur Arbeit im ÖPNV in die leeren Gesichter der Mitmenschen schaue, hab ich verdammt selten das Gefühl, sie hätten ein wenig Betäubung nicht verdammt nötig. Hilft nur alles nix, aber in meiner mit „Sollten“ und „Müssten“ vollgestopften Gehirnwelt ist Betäubung die Zwillingsschwester der „Schuld“ oder besser gesagt des Schuldgefühls, und wenn ich gerade niemand Konkreten finde, dem/der gegenüber ich mich mit Betäubung schuldig mache, dann muss eben das eigene Spiegelbild herhalten. „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer führt das sinnvollste Slash zufriedenste Slash betäubungsfreiste Leben im ganzen Land?“ Und der Spiel zuckt mit den Schultern und sagt nur: „Was weiß ich, aber du bist es ganz bestimmt nicht!“ Und dann gibt es nur drei Möglichkeiten:
Erstens: Du fragst den Spiegel nicht mehr, weilS‘ Dir egal ist.
Zweitens: Du sorgst dafür, dass er ein bisschen länger grübelt, indem du dein Leben etwas vorzeigbarer gestaltest, oder
Drittens: Du tötest alle anderen und Der Spiegel sagt nur noch: „Dääääää…!“

Du wirst Dir vielleicht denken, dass Alternative Nummer drei eher ausfällt, aber es ist schon überraschend, wie viele Typen im Laufe der Weltgeschichte diese Lösung gewählt haben, auch wenn sie mit ähnlich viel Arbeit verbunden ist, wie Alternative 2 und häufig mit dem eigenen Tod endet. Ich korrigiere: Immer mit dem Tod endet. Weil alle anderen Methoden übrigens auch, aber wir lassen Nihilistische Argumentationen in diesem Fall besser mal außen vor, sonst bekommt der Knoten in meinem Kopf die Form eines Auyrn-Amuletts und das wird mir dann deutlich zuuuu eso. Puh. Das war jetzt schon sehr viel Text und sehr wenig Reimgedingse und dabei wollte ich eigentlich noch loswerden, dass auch der so genannte Satanist Aleister Crowley „Tu was du willst“ als Leitspruch hatte, ach guck siehste, schon geschafft, aber es würde an dieser Stelle etwas zu weit führen zu erklären, warum er trotzdem ein Idiot ist, wenn auch ein schlauer. Und jetzt? Was reimt oder dichtet oder whatevert man denn da, um das Thema zu einem irgendwie sinnvollen Abschluss zu bringen? Ich wüsste es zwar, verrats Dir aber nicht, lieber Koffer, weil ich in meinem letzten Satz gerade ein so schönes Wort entdeckt habe, dass ich lieber darüber reimdingsen möchte. Tschüß.

Whateverest

Es weht ein Wind scharf aus Südwest
Am Gipfel des Whateverest
Den kriegt auch Christian ins Gesicht
Als er zu seinem Kumpel spricht:
Gleich sind wir oben, das ist fein
Allein für mich, denn ich will kein‘
Den später man im Guinness-Buch
Auf einem Gipfelfoto sucht
Da soll’n nur ich und Petra stehn
(Die Petra ist sein Yak. Und schön).
Dann schupst er seinen Kumpel runter
Vom Whateverest, der Hund, der!
Und ein Christian-Selfie später
Vor dem Gipfel, fängt das Klettern
Hoch zum letzten Gipfel an
Petra yakt dann aber stramm
An den Trensen bis der Christian
Runter in ’nen Gletscher fällt, Mann!
Und und so kommt es, dass der Berg
Von allen Menschen unbemerkt
Allein von einem Yak bestiegen
Wird, das, sollte man es kriegen
Höchstwahrscheinlich nie gesteht
Wie’s am Whateverest zugeht.


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 March 11, 2021  8m