Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0446: Die Bacon-Zahl


Ich hatte es schon ganz vergessen. Sooo alt ist das „Oracle of Bacon“. Ein Internet-Spielchen um das Kleine-Welt-Phänomen zu illustrieren. Das ich damals begeistert gespielt habe. Das muss man aber vielleicht ein bisschen erklären…

Download der Episode hier.
Opener & Closer: „The six degrees: Kevin Bacon at TEDxMidwest“ von TEDx Talks
Musik: „Bacon“ von THE ACOUSTICALS / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Ihr kennt wahrscheinlich das Orakel von Bacon, oder? Es ist ein ziemlich alter Hut. Und, nein, es geht nicht darum, zu berechnen, wann aus einen süßen Ferkelchen denn endlich leckerer Frühstücksspeck geworden ist. Na ja, vielleicht ist das ja sooo alter Mist, dass es einer Erklärung wert ist.

Es geht bei diesem Bacon um Kevin Bacon. Ein Schauspieler, von dem jeder schon einmal gehört hat, aber dem viele nicht aktiv ein Gesicht zuordnen können. Bis auf wenige Ausnahmen einfach der klassische Support Actor. Nebendarsteller, wie man bei uns etwas nüchterner sagt.

Am bekanntesten ist er vielleicht aus Footloose. Dann drehte er Tremors, Flatliners, Geboren in Queens, JFK – Tatort Dallas, Piraten, Eine Frage der Ehre, Apollo 13, Sleepers, Hollow Man, Mystic River und The Woodsman. Und das sind nur die bekannten Filme, Kevin Bacon arbeitet seit 1978 sehr fleißig.

So begab es sich im Januar 1994, dass er ein Interview in der Zeitschrift „Premiere“ gab. Unnd erklärte, dass er eigentlich jeden in Hollywood kennt. Oder jemanden, der jeden kennt. Im April gab es dann einen langen newsgroup thread mit dem Titel „Kevin Bacon ist das Zentrum des Universums“.

Darüber schmunzelten auch drei Studenten, namentlich Craig Fass, Brian Turtle und Mike Ginelli. Die beschäftigten sich gerade mit Stanley Milgrams „Kleiner-Welt-Phänomen“ Das hat es zwar in der Soziopsychologie nicht soweit geschafft, aber dafür in der Mathematik.

Ein Beispiel für dieses Phänomen sind die „Six Dregrees of Separation“, die sechs Grade der Trennung. Das bedeutet, über sechs Kontakte ist jeder Mensch mit jedem beliebigen Menschen auf der Welt vernetzt. Weil es jemanden gibt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt… Na ja, und so weiter.

Also nahmen die Drei beide Ideen und warfen sie in einen Topf. Sie zapften die Datenbank der IMDB an, der Internet Movie Database, und programmierten ein Spiel. Das Oracle von Bacon. In ein Textfeld gibt man den Namen eines beliebigen Schauspielers ein und das Orakel berechnet den Grad der Verknüpfung.

Kevin Bacon hat dabei eine Bacon Zahl von 0. Klar. Jeder, der mit ihm einmal in einem Film gespielt hat, bekommt dadurch eine Bacon Zahl von 1. Jeder, der wieder mit dieser zweiten Person, aber nie mit Kevin Bacon in einem Film mitgewirkt hat, bekommt die Zahl 2. Klar?

Also, wenn wir eingeben „Julia Roberts“ bekommen wir eine Bacon Zahl von 1. Weil sie mit ihm in „Flatliners“ gespielt hat. Und George Clooney hat nie einen Film mit Herrn Bacon gedreht, aber einen Julia Roberts. Deswegen hat George Clooney eine Bacon Zahl von 2.

Sinn des Spiels ist es nun natürlich, die These zu überprüfen, indem man sich möglichst abwegige Verbindungen aussucht. Wir können das ja einmal ausprobieren. Also, wie gehen wir vor. Unser kleiner Kevin ist 1958 geboren. Nehmen wir einfach jemanden von der anderen Seite des Weltkriegs. Wie wäre es mit Liesl Karlstadt, der kongenialen Partnerin von Karl Valentin. Das müsste doch eine hohe Zahl geben, oder?

Tja, hier steht Liesl Karlstadt hat eine Bacon Zahl von 3. Oops. Sie spielte mit in „Alarmstufe V“ von 1941. Mit Ernst von Klipstein. Und der spielte mit Maximilian Schell in „Reifende Jugend“. 1955. Und Maximilian Schell spielte in „Telling Lies in America“. 1997. Hieß bei uns „American Dreamer – Charmante Lügner“.

O.k. Das war keine hohe Zahl. Ein Versuch noch. Nehmen wir jemanden von jenseits der Mauer. Aus den Zeiten des Kalten Krieges. Einen Russen. Einen alten Russen. Nehmen wir Sergej Eisenstein. Und was sagt das Orakel? Was? Wieder eine 3?

Eisenstein, einer der 10 besten Regisseure des Films hat in „Wir schalten um auf Hollywood“ mitgespielt. 1931. Und da hat auch Buster Keaton mitgespielt. Der 1942 mit June Lockheart in „Auf ewig und drei Tage“ aufgetreten ist. Und dieselbige wiederum 1989 in „The Big Picture“. Natürlich mit Kevin, dem Bacon.

Es ist kein leichtes Spiel. Einmal habe ich eine Acht bekommen. Aber da habe ich vorher mühevoll irgendeinen Nebendarsteller aus einem Bollywoodfilm der Sechziger rausgesucht. Es gibt Gerüchte, dass es sogar eine Elf gäbe. Und eine Zehn.

Aber in der Masse der Fälle ist der Grad der Vernetzung erstaunlich niedrig. Das ist natürlich kein Beweis für das Kleine-Welt-Phänomen, aber ein beeindruckendes Beispiel.

Das Zentrum des Universums selber, also Kevin Bacon, war von dem Erfolg dieses Spiels am Anfang alles andere als begeistert. Er sagte in einem Gespräch mit einem der Erfinder, am Anfang wäre er entsetzt gewesen. Er dachte, dass das Spiel ihn auf eine seltsame, intelektuelle Art verspottet. Und ignorierte es tunlichst.

Aber mittlerweile hat er es lieben gelernt. Wie jeder Zweite in Hollywood hat er seine eigene Stiftung gegründet, sein Charity. Seine Idee war es, Celebrities an und Normalos zu vermitteln. Genauer: Gruppen, Vereine und gemeinnützige Organisationen melden sich da an. Und Prominente können sich dann bei einem Anliegen ihrer Wahl einklinken. Und wenn es nur ein spontanes Auftauche bei einer Veranstaltung ist. Dieses Charity hat Mr. Bacon SixDegrees.Org getauft.

Mittlerweile kommt er also mit seinem indirekten Ruhm ganz gut zurecht. Stellt sich nur die Frage, ob er selber eigentlich das beste Objekt für dieses Experiment gewesen ist. Könnte man ja einmal recherchieren. Hat natürlich auch schon jemand gemacht.

Kevin Bacon war in mehr als 60 Filmen. Und hat mit 3031 Schauspielern gespielt. Wenn man jetzt die Datenbank per Programmierung mit allen vorhandenen Schauspielern durchsuchen lässt, immerhin 1.9 Millionen, dann haben tatsächlich 1,24 Millionen davon eine Bacon Zahl von 3. 350.000 eine von 2. Bei der 4 sind es dann noch 300.000.

Beeindruckend. Gut. Aber wenn wir schon mit Datenbanken spielen, dann vergleichen wir doch einfach jeden Schauspieler mit jedem. Und ermitteln somit den Mann oder die Frau, die wirklich das Zentrum des Universums ist. Also des Filmuniversums.

Im Gegenteil. Er macht es nicht einmal in die Top 100! Wenn wir also eine Rangliste machen, wer am meisten vernetzt ist in der IMDB, dann haben wir in den Top Ten – in umgekehrter Reihenfolge:

Malcolm McDowell, Martin Sheen, Donald Sutherland, Udo Kier, Robert De Niro, Samuel L. Jackson, Danny Trejo, Harvey Keitel, Michael Madsen und -Trommelwirbel – auf der Nummer eins ist, sehr geehrte Damen und Herren: Eric Roberts

Ja, es ist traurig, aber eigentlich keine Überraschung. Lauter alte Männer. Eric Roberts ist schon eine Überraschung, finde ich. Aber, wenn man sich’s genauer anschaut, eigentlich auch nicht.

Der hat immerhin 380 Filme und Fernsehshows gemacht. Und dabei 8400 Schauspieler kennengelernt. Wir sollten also die Roberts-Zahl einführen, wenn wir das Spiel noch einen Ticken schwieriger machen wollen.

Übrigens: Randy Olsen, der Datenbankbastler, der obige Berechnungen durchgeführt hat, sagt – für das Oracle of Bacon: Das mit der 11 ist ein Gerücht. Und es gibt eine einzige 10. Nur eine. Aber wer das ist, das sagt er nicht… Werden wir wohl weitersuchen also unter: oracleofbacon.org

Sagt mir Bescheid, wenn ihr diese ominöse 10 gefunden habt, ich sag’s auch nicht weiter!


fyyd: Podcast Search Engine
share








 May 19, 2016  12m