Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0452: Der synthetische Mensch


Irgendwo sitzen die Verschwörer zusammen und planen heimlich das Schicksal der Menschheit. So muss das doch einfach sein. Und letzte Woche war es wieder so weit: Die Presse berichtete eben genau das. Über eine Veranstalung, die genau das Gegenteil erreichen wollte. Ein Marketing-SNAFU der üblen Sorte. Eine Kurzanalyse.

Download der Episode hier.
Opener: „Loriot – Vic Dorn“ von gottfried44
Closer: „I think I’m a Clone Now“ von Miba Reywes
Musik: „Albert Einstein (2009)“ von SILENT SLEEPERS / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Habt ihr das Rauschen im Blätterwald letzte Woche auch gehört? Von diesem ominösen Geheimtreffen in Harvard? Wo 150 Forscher, Anwälte und Politiker heimlich planten, einen künstlichen Menschen zu erschaffen? Stand überall zu lesen. In der Washington Post und New York Times schon recht dramatisch, in Blogs noch viel dramatischer. Frankenstein wird zitiert, die Forscher werden mit Bond-Bösewichten verglichen und alles mit Bildern aus dystopischen Sci-Fi-Streifen illustriert.

Tatsächlich waren praktisch keine Journalisten zu diesem Event eingeladen und alle Teilnehmer mussten ein NDA unterschreiben, non-disclosure-agreement. Ein Schweigegelöbnis, wenn man das mit Schiller so ausdrücken will. Also war dieses Treffen wirklich irgendwie ziemlich geheim. Es hieß: „HGP-Write: Das Testen großer synthetischer Genome in Zellen“. Aber der Arbeitstitel war tatsächlich einmal „HGP2: The Human Genome Synthesis Project“.

Aber, wie immer, wenn man sich so große Aufreger ankuckt: Das war eigentlich nicht so gemeint. In Wirklichkeit ist die ganze Veranstaltung einfach der denkbar größte Marketing-Fuck-Up, den man sich vorstellen kann. Und illustriert gerade deshalb, warum der wissenschaftliche Betrieb gerade so schlecht funktioniert. Warum das Verhältnis zwischen Forschern und Journalisten ein so richtig Problematisches ist.

Die Veranstaltung war natürlich von langer Hand geplant. Federführend von George Church. Die Idee war es, mit einer steilen Hypothese die Aufmerksamkeit der Medien wieder auf das Human Genome Project zu lenken. Und eine Initiative anzustoßen. Damit wir Gene nicht nur mehr lesen können, sondern eben schreiben. Dazu später mehr.

Um dieses Ereignis publik zu machen, haben Church und eine große Reihe anderer namhafter Forscher ein Paper eingereicht, um diesen Event zu promoten. Was der Inhalt dieses Papers ist, wissen wir natürlich nicht ganz genau. Aber man liegt wahrscheinlich nicht total falsch, wenn man mutmaßt, dass die Forscher darin behaupten, dass sie in 10 Jahren in der Lage sein wollen, oder in der Lage sein könnten, das komplette menschliche Genom synthetisch herzustellen.

Eigentlich also eine gute Idee. Ein guter Plan. Doch hier beginnt das Problem. Wenn Forscher eine Erkenntnis gewonnen haben, die sich in einem Paper zusammenfassen lässt, dann reichen sie diese Arbeit bei einem Magazin ein. Die guten Magazine sind peer reviewed. Das heißt, andere Forscher aus diesem Wissensgebiet kucken sich das für die Magazine an. Ehrenamtlich, nebenbei erwähnt.

Und die haben dann meist irgendwelche Anmerkungen zu machen. Etwas rumzunöhlen oder zu verbessern. Und weil die das ehrenamtlich machen – sehr zum finanziellen Gewinn von Nature oder Science – kann man denen auch nicht so richtig Druck machen. Weswegen gerade so steile Papers oft die Deadline reissen. Kurz gesagt: Die gesamte Veranstaltung sollte ein großer Marketing-Event werden. Aber weil die Peers bei Nature und Science zu langsam waren, war das Paper nicht veröffentlicht. Das, welches die Veranstaltung eigentlich promoten sollte. Als die neue, große Forschungsanstrengung der Menschheit.

Das ist natürlich sehr ärgerlich. Denn, wenn das Paper nicht veröffentlicht ist, dann dürfen die Autoren darüber auch noch nicht reden. Das ist üblich und nennt sich ein Embargo. Weil die großen Magazine so mächtig sind. Weil die Veröffentlichung über den Wert der wissenschaftlichen Arbeit entscheidet. Weil Nature und Science da eben ganz oben auf der food chain sind.

Hätten die Macher der Veranstaltung also öffentlich über ihre Arbeit geredet, wären sie nicht gedruckt worden. Und ihre Arbeit wäre wertlos. Klingt doof, aber so funktioniert Wissenschaft im Moment.

Blöd halt, dass jetzt schon viel Wissenschaftler in ihrem Flieger saßen, als klar wurde, dass das mit der Veröffentlichung nicht hinhaut. Weil die Verlage mal drei Monate brauchen oder mal sechs oder auch mal neun. Entscheiden die. Im Zeitalter von twitter braucht Forschung im Durchschnitt ein halbes Jahr, bis sie veröffentlicht wird. Wegen der Macht der Verlage.

Also durfte niemand von dieser Veranstaltung wissen. Um jemals publiziert zu werden, wurde die Veranstaltung plötzlich eine Geheim-Veranstaltung. Wenn 150 Freunde, und seien es die wichtigsten Genforscher der Welt, privat über irgendwelche Ideen plauschen, dann ist das völlig ok.

Natürlich wurden deswegen die Journalisten ausgeladen. Und das haben die gar nicht gerne. Nein, das mögen die nicht. Und damit haben sie sogar völlig recht.

Und so entstand aus dem unglücklich gewählten Arbeitstitel und der aufgezwungenen Geheimhaltung eine neue Verschwörungstheorie. Und wir werden alle kollektiv dabei zuschauen können, wie die wächst und wächst. Bis sie in zwanzig Jahren im Parteiprogramm der AfD auftaucht. Die ja auch den Klimawandel für eine Verschwörung halten.

O.k. soweit also zur Richtigstellung. Forscher wollten dem Human Genome Project eine neue Aufgabe geben. Und die Genforschung pushen. Mit einem großen Marketing-Event. Was wegen der Verlage und ihrem geldgeilen System, die Arbeit von Wissenschaftlern profitmaximiert auszubeuten, total in die Hose ging.

Wer jetzt aus welchen Gründen das wiederum an die Presse getragen hat und in welcher Art, lassen wir mal aussen vor. War nämlich auch nicht kosher. Aber das eigentliche Thema ist natürlich spannend.

Denn was bedeutet HGP: Write? HGP ist das Human Genome Project. Das von 1990 bis 2003 das gesamte menschliche Erbgut sequenzierte. In der Presse steht da oft „entschlüsselte“, aber das ist natürlich Humbug. Von 80% der DNA wissen wir mittlerweile, seit 2012, dass sie irgendwie doch wichtig ist, aber wie genau, das wissen wir nicht. So. Das war also der Lesevorgang.

HGP Write bedeutet aber schreiben. Können wir also mittlerweile Gene künstlich schreiben? Ja, das können wir. Auf eine sehr komplizierte chemische Art, die eine eigene Sendung wert ist, können wir das. Sehr teuer, sehr fehlerhaft, aber ja, wir können das. Ein Hefebakterium z.B. haben wir schon komplett künstlich geschrieben. Hat ca. 90 Mio. Dollar gekostet.

Und natürlich können wir früher oder später das menschliche Erbgut schreiben. Wir werden die DNA eines Menschen synthetisieren können. Ob das in 10 Jahren zu schaffen ist, sei dahingestellt. Seit dem ersten Humangenprojekt machen Forscher nicht mehr den Fehler, Moores Law nicht zu berücksichtigen. Aber ich z.B. bin der Meinung, dass wir da schon längst schummeln und sich Prozessoren nicht mehr automatisch in der gleichen Geschwindigkeit wie bisher verbessern werden. Wir sind da mittlerweile beinahe in dem Bereich, wo Quantenphänomene uns einen Strich durch die Rechnung machen werden. Aber wurst.

Also, sagen wir einmal in zehn Jahren wäre es möglich, die DNA von Albert Einstein nachzubauen. Und wir hätten bis dahin auch einen Weg gefunden, dass in eine Stammzelle zu pressen. Und den dann wirklich komplett synthetisch, im Reagenzglas sozusagen aufgezogen. Dann stünde in ca. 50 Jahren ein neuer Albert Einstein vor uns? Ist das die Vision?

Und wäre der dann auch visionärer Astrophysiker oder vielleicht doch Basketballspieler oder drogenabhängiger Hamburgerbrater? Alles im Bereich des Möglichen, soweit wir bisher wissen. Denn die DNA ist kein Computerprogramm. Und, wie schon gesagt, von ca. 80% der Erbinformation wissen wir noch nicht einmal von Funktion und Sinn. Und die Epigenetik, behandelt in Sendung 104, kommt noch oben drauf. Da stehen wir völlig am Anfang.

Und noch ‘was: Seit dem HGP kann man ja unglücklicherweise Gene patentieren. Wem gehört dann Albert Einstein 2.0? Das sind tatsächlich drängende Fragen. Da müsste man ja eine Veranstaltung zu machen. Um das zu diskutieren. Um die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen.

Tja, das dachten auch die Genforscher in Harvard. Und haben das versucht. Und das ganze Unternehmen auf biblischer Dimension verkackt. Rausgekommen ist genau das Gegenteil. Desinformation statt Information. Und wer hat schuld? Die Verlage. Deren Geschäftsmodell auf Ausbeutung wissenschaftlicher Arbeit basiert. Die wir alle bezahlen mit unseren Steuergeldern. Wenn Albert Einstein 2.0 mit seinen Klonen einst die Welt übernimmt, dann sagt alle bei Nature und Science: Vielen Dank!


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 May 30, 2016  15m