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Die halbe Erde unter Schutz - Rettungsmaßnahmen für Klima und Arten


Umweltorganisationen gehen davon aus, dass nur große globale Schutzgebiete den Klimawandel und das Artensterben aufhalten können. 50 Prozent des Planeten müssten und könnten unter Schutz gestellt werden, es sei der günstigste und einfachste Weg. (BR 2021) Autor: Marko Pauli

Credits
Autor/in dieser Folge: Marko Pauli
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Irina Wanka, Andreas Neumann, Diana Gaul
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Eric Dinerstein, Biologe und Sachbuchautor; 
Bernie Krause, Natur- und Klangforscher; 
Günter Mitlacher, Leiter internationale Naturschutzpolitik beim WWF; 
Jana Ballenthien, Jana Ballenthien, Waldreferentin bei Robin Wood; 
Pierre Ibisch, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung; 
Karin Neumann, Sprecherin Aktionsbündnis "Beltretter"; 
Ana Bugnot, Ökologin

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecherin

Nach der Auswertung von 14.000 Studien zur klimatischen Entwicklung ist der Weltklimarat zu dem Schluss gekommen, dass das Ziel von nur 1,5 Grad Erwärmung wohl nicht erst 2040 überschritten wird, sondern bereits Anfang der 2030er. Dürren, Stürme, Starkregen - Wetterextreme werden sich häufen. Der Meeresspiegel wird ansteigen, bis zum Jahre 2100 im ungünstigen Fall auf bis zu zwei Meter. Zeitgleich findet ein großes Artensterben statt, seit 1970 sind global 68 Prozent der Wirbeltierbestände zurückgegangen.

Musik 2

"Path leading to the high grass" - Album: Shenzhou - Komponist: Geir Jenssen - Touch TO 55 - Länge: 0'10

Sprecherin

Noch ist es nicht zu spät für Artenvielfalt und Klima. Doch schnelleres und konsequenteres Handeln ist nötig. 

Atmo 02 Global Safety Net

Sprecherin

Das Global Safety Net ist eine Studie*, veröffentlicht im Fachblatt Science Advances, in der ein Wissenschaftlerteam ermittelt hat, in welchen Regionen auf der Welt Schutzzonen nötig wären, um das rasante Tempo, in dem Artensterben und Klimaerhitzung voranschreiten, zu verlangsamen. Große Schutzgebiete seien der logische, einfachste und finanziell günstigste Weg, um beides zu erreichen, sagt Eric Dinerstein [Aussprache: Dinnerstein (spitzes s)], US-amerikanischer Biologe und Hauptautor der Studie:

O-Ton 01 Dinerstein 

What is the foundation ... we've done in the paper.

Overvoice (männlich)

"Zugrunde liegt, dass die Lösung des Problems des sechsten großen Artensterbens, des Verlusts der biologischen Vielfalt und die Lösung des Problems des Klimawandels voneinander abhängen. Man kann das eine nicht ohne das andere lösen. Wenn die Temperatur weiter steigt, verwandelt sich der Amazonas von einem Regenwald in eine Savanne. Wir verlieren dann nicht nur die dort lebenden Arten, sondern auch die Fähigkeit, eine riesige Menge an Kohlenstoff abzubauen. Es ist also eine doppelte Katastrophe. Deshalb ist es so wichtig, eine Lösung zu finden, die beide Probleme angeht, und genau das haben wir in diesem Papier getan."

Sprecherin

Die angedachten Schutzzonen im Global Safety Net, dem weltweiten Sicherheitsnetz, sind online auf einer Weltkarte zu sehen. 

Musik 3

"Part 04" - Ausführender und Komponist: Stephan Micus - Album: Ocean Länge: 0'40 

Sprecherin

Die erste Ebene, grün gezeichnet, lässt die bereits existierenden 15 Prozent Schutzzonen erscheinen. Hinzu kommen fünf weitere Ebenen: Gebiete für seltene Arten und solche mit hoher biologischer Vielfalt, Landschaften für große Säugetiere, derzeit noch intakte Wildnisgebiete und Gebiete zur Klimastabilisierung. Das Team um Eric Dinerstein hat zwei Jahre am Global Safety Net gearbeitet:

O-Ton 02 Dinerstein

And from there ... and so on. 

Overvoice (männlich)

„Die verschiedenen Ebenen sind aus den wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnissen der verschiedenen Spezialisten für biologische Vielfalt auf der Welt entstanden: Wo gibt es gefährdete Vögel, Säugetiere, Reptilien, Amphibien und Pflanzen und so weiter.“ 

Sprecherin

Eric Dinerstein war 25 Jahre lang leitender Wissenschaftler beim WWF und dort u.a. beteiligt an Naturschutzplänen in aller Welt. Für das Safety Net am wichtigsten, so Dinerstein, sei der Schutz der tropischen Regenwälder. 

Diese bedecken zwar nur noch rund sieben Prozent der Erdoberfläche, hier leben aber nach Schätzungen mehr als 30 Millionen Tier- und Pflanzenarten, und viele davon sind stark gefährdet. 

Damit dort, aber auch in abgelegenen Gegenden auf der Nordhalbkugel Schutzzonen entstehen können, sei das Engagement westlicher Länder nötig.

O-Ton 03 Dinerstein

By far the single most important investment ... So that's critical. 

Overvoice (männlich)

"Die bei weitem wichtigste Einzelinvestition, die wir tätigen können, um eine lebendige Biosphäre für künftige Generationen zu sichern, ist die Investition in die Unterstützung indigener Völker, um das Land, das sie beanspruchen, besser zu schützen. Etwa 37 Prozent des Safety Nets wird von indigenen Gruppen bewohnt. Wir können helfen, indem wir diese indigenen Gemeinschaften besser finanzieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten - wenn sie sich denn dafür entscheiden, Teil des Safety Nets zu sein, und das ist natürlich ihre Entscheidung.

Sprecherin

Menschenrechtler geben zu bedenken, dass neue Schutzgebiete bisher oft eingerichtet wurden, ohne dabei die Rechte der indigenen Bevölkerung zu beachten. Das soll hier anders sein, betont Dinerstein. Die Bevölkerung möglicher Schutzgebiete soll ansässig bleiben, ansonsten aber der Kontakt zwischen Menschen und Wildnis stark eingeschränkt werden. Das könnte auch das Aufkommen und die Verbreitung neuartiger Viren verhindern.

O-Ton 04 Dinerstein

Overvoice (männlich)

Durch die Verringerung von Kontaktzonen retten wir nicht nur die Artenvielfalt dieser Wälder, erhalten den Kohlenstoff und schützen unser Klima, wir verringern auch die Wahrscheinlichkeit künftiger Pandemien.“

Atmo 03 Krause 01 - Tropischer Regenwald

Sprecherin

Was für einzigartige Lebensräume die tropischen Regenwälder sind, ist in den Aufnahmen des Bioakustikers Bernie Krause [Aussprache: Böhrni Krauss] zu erahnen. Krause spricht von "Biophonien" und meint das Zusammenspiel der einzelnen Tierstimmen - ein "Orchester der Tiere"**, in dem jede Tierart eine eigene akustische Nische besetze.  

Atmo Krause hoch

Sprecherin

In den tropischen Regenwäldern leben nicht einfach nur Tierarten, hier wird nicht einfach nur CO2 gespeichert, betont Bernie Krause, hier lebten auch unsere Vorfahren einst selbst und eng verbunden mit der Natur. Hier seien die Ursprünge der menschlichen Kultur zu finden.

O-Ton 05 Krause

Animals taught us to dance and sing ... language, spirituality, medicine from it.

Overvoice (männlich)

"Aus den Tierstimmen, die aus den Lebensräumen kamen, in denen wir einst lebten, haben wir die Rhythmen, die Melodien und die Anordnung der Klänge herausgehört und nachgeahmt. Wir haben diese natürlichen Gaben dann in unseren musikalischen Ausdruck integriert. 

Und daraus entwickelte sich nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache. 

Musik 4

"Part 04" - Ausführender und Komponist: Stephan Micus - Album: Ocean Länge: 0'55

Sprecherin

Die größten Schutzzonen im Global Safety Net würden weit im Norden der Erde entstehen, in abgelegenen Regionen in Nordasien und Kanada - Lebensraum für große Säugetiere wie Bären, Bisons, Pumas und Luchse. Zwischen den Schutzzonen sind Verbindungsstrecken geplant, mit denen es Wildtieren und Pflanzen ermöglicht werden soll, sich in andere Gebiete auszubreiten. Diese ohnehin notwendige Voraussetzung zum Überleben wird noch wichtiger werden, denn es ist davon auszugehen, dass sich die Bestände vieler Arten räumlich verschieben müssen, da sie aufgrund des Klimawandels zukünftig in ihrem bisherigen Biotop nicht mehr existieren können. Die Verbindung der Biotope spielt im Global Safety Net eine wichtige Rolle:

O-Ton 06 Dinerstein

How much land would it take ... traveling from A to B to C. 

Overvoice (männlich)

"Wie viel Land würde man benötigen, um alle Schutzgebiete und alle intakten Gebiete der Erde miteinander zu verbinden? 

Wenn wir das mit 2,5 Kilometer breiten Korridoren tun würden, benötigten wir dafür nur etwa 2,7 Prozent der Erdfläche. Im Falle des Klimawandels können Arten so auch von einem Gebiet in ein anderes umziehen."

Sprecherin

In Deutschland ist die Verbindung der einzelnen Biotope seit 2002 im Naturschutzgesetz als Ziel verankert, die Bundesländer sollen dafür eigentlich zehn Prozent ihrer Flächen zur Verfügung stellen. Doch davon ist man weit entfernt. 

Musik 5

"Part 04" - Ausführender und Komponist: Stephan Micus - Album: Ocean Länge: 0'15

Sprecherin

Sind alle fürs Safety Net angedachten Ebenen aktiviert, ergibt sich ein riesiges Netz von Schutzgebieten, Kohlenstoffsenken und Verbindungen dazwischen. 

O-Ton 07 Dinerstein 

We come up with ... intact habitats on Earth. 

Overvoice (männlich)

„Wir kommen insgesamt auf etwa 46 Prozent der Erdoberfläche, die geschützt werden müssen. 15 Prozent sind bereits geschützt, weitere 31 Prozent müssen hinzukommen, und dann noch ein bisschen mehr für Korridore, die alle intakten Lebensräume auf der Erde miteinander verbinden.“ 

Musik 6

"Path leading to the high grass" - Album: Shenzhou - Komponist: Geir Jenssen - Touch TO 55 - Länge: 1'17

Sprecherin

Die halbe Erde unter Schutz!? - Sehr schwierig das umzusetzen, meint Günter Mitlacher, Leiter Internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland: 

O-Ton 08 Mitlacher

50 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen wäre eine riesige Anstrengung. Man muss auch fragen, ob sie zum Erfolg führen würde, weil der Druck ist ja dann noch größer auf den anderen 50 Prozent. Und ob die Verteilung von Land auf dieser Erde so sein wird, dass 50 Prozent quasi für Natur und nachhaltige Bewirtschaftung reserviert werden würde, das glaube ich hat wenig Attraktivität bei Politikern.

Musik 7

"Path leading to the high grass" - Album: Shenzhou - Komponist: Geir Jenssen - Touch TO 55 - Länge: 1'17

Sprecherin

Entscheidend sei, so Günter Mitlacher, wie in geschützten und ungeschützten Gebieten mit dem jeweiligen Boden umgegangen wird:

O-Ton 09 Mitlacher

Die Idee ist einfach, dass man Gebiete hat, die anders bewirtschaftet werden, die ökologischer bewirtschaftet werden, und wenn man da schon mal 50 Prozent schaffen würde, dann hätte man schon sehr viel erreicht. 

Sprecherin

Um das rasante Tempo, in dem Klimawandel und Artensterben fortschreiten, abzubremsen, sei die weltweite Aufforstung ein Schlüssel.

O-Ton 10 Mitlacher

Das ist ein wichtiger Punkt, um kurzfristig und halt auch mittelfristig mit ökonomisch überschaubaren Kosten dem Klimawandel zu begegnen. Und wenn man Wiederaufforstungsprogramme macht in einer ökologischen Weise, dann profitieren natürlich halt auch die Wildartenbestände davon. Da gibt's dann die großen Synergien. 

Sprecherin

Insgesamt, da sind sich Umweltverbände, aber mittlerweile auch viele Entscheidungsträger aus der Politik einig, sind neue große Schutzgebiete unumgänglich.

O-Ton 11 von der Leyen

2021, I believe the world turns over new leaf for our planet.

Sprecherin

Ursula von der Leyen spricht beim Pariser Umweltgipfel One Planet Summit Anfang 2021 davon, dass ein neues Kapitel für den Planeten aufgeschlagen werde, denn 50 Staaten, darunter auch Deutschland, unterstützen das Ziel, 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. 

Pläne für den Naturschutz gab und gibt es viele. In Deutschland haben sie meist gemein, dass das jeweilige Ziel weit in der Zukunft liegt und dann dennoch selten erreicht wird. Doch wie sieht praktizierter Naturschutz heute aus, z.B. im Wald, der etwa 32 Prozent der Landfläche Deutschlands ausmacht? 

Atmo 05 Wald

Sprecherin

Dem Wald in Deutschland geht es laut Waldzustandsbericht*** schlecht. Das hängt mit dem Klimawandel, aber womöglich auch mit zu intensiver Forstwirtschaft zusammen. 2007 hat die Bundesregierung das Ziel ausgerufen, bis 2020 fünf Prozent der Wälder ganz aus der Nutzung zu nehmen. Heute liegt der Anteil von solchen Naturwäldern bei 2,8 Prozent. Dabei könnten gerade diese einen besonderen Wert für den Arten- und Klimaschutz darstellen: Hier stehen vorwiegend Laubbäume heimischer Ökosysteme, die alt und groß werden dürfen; sie bilden geschlossene Kronendecken, die für ein kühlendes Waldinnenklima sorgen und den Boden vor Sonnenstrahlen und Austrocknung schützen. Wenn hier die Bäume sterben, bleibt das Totholz liegen, was diversen Tier- und Pflanzenarten zu existieren hilft. Jana Ballenthien, Waldreferentin bei Robin Wood kniet vor einem abgestorbenen Baumstumpf:

O-Ton 12 Ballenthien

Hier können wir das ganze Spektrum des Lebens sehen, wir werden hier unterschiedliche Käfer finden, wahrscheinlich auch seltene Arten, wir werden hier unterschiedliche Pilze finden und auch Mikroorganismen. Und gleichzeitig ist das Totholz auch ein wunderbarer Fundus an Nährstoffen für den kompletten Rest des Waldes, das vermodert jetzt hier so nach und nach über die Jahrzehnte und Jahrhunderte. 

Sprecherin

Im Waldboden herrscht eine riesige Vielfalt: Ein einziges Gramm enthält mehr als 50.000 verschiedene Bakterienarten und mehrere Hundert Meter an Pilzhyphen - von Pilzen ausgebildete Fäden. 

Regenwürmer und Insekten sind in dieser Welt die Riesen, und so klingt es, wenn sie sich durch den Boden arbeiten: 

Atmo 06 - Sounding Soil

Sprecherin (über Atmo sprechend) 

Das Schweizer Öko-Akustik-Projekt Sounding Soil**** hat mit speziellen Mikrofonen das Leben im Boden aufgenommen. 

O-Ton 13 Ballenthien 

Dieser Humus, das ist ein Erbe, den uns diese Wälder schenken. Er ist unglaublich wichtig für uns. Dieser Humus speichert nämlich nicht nur Feuchtigkeit und Nährstoffe, sondern das ist auch unsere CO2-Senke, das ist unser Speicher. Das ist sozusagen ja ein Zersetzungsprozess, wenn es aber erstmal im Humus ist, dann ist das da auch über Jahrhunderte gebunden. Da kommt das nicht mehr raus.

Sprecherin

Etwa die Hälfte des von den Wäldern aufgenommenen Kohlendioxids steckt im Holz der Bäume, die andere Hälfte liegt darunter, im Boden. Eine Tatsache, die bei Berechnungen zur CO2-Speicherung im Wald häufig übersehen wird.

Der in Deutschland eigentlich heimische Laubmischwald wurde vielerorts durch schnell wachsende Fichten ersetzt. Doch die neuen klimatischen Bedingungen setzen insbesondere Fichten-Monokulturen gerade ein Ende. 

Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, hat abgestorbene Fichtenhaine aufgesucht, um zu schauen, wie dort nun mit den Böden umgegangen und der zukünftige Wald geplant wird.

O-Ton 14 Ibisch

Der Waldboden wird fast flächig befahren, die Bäume werden teilweise sogar mit den Wurzeln entfernt. Das sind natürlich die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, um hier einen neuen Wald zu starten. Ich mache mir große Sorgen tatsächlich, wie die Deutsche Forstwirtschaft umgeht, vor allem mit dem Fundament des Waldes der Zukunft, das ist nämlich der Boden.

Sprecherin

Neben den Ozeanen sind intakte Wälder entscheidend für die Bindung von CO2 und den Erhalt der Artenvielfalt. Doch egal wo man hinschaue, so Pierre Ibisch, überall auf der Welt werden Wälder immer stärker genutzt, anstatt sie zu schonen, dabei hätten sie ohnehin schon mit Bränden, Dürren und Stürmen zu kämpfen. Waldboden degradiert weltweit und wird unfruchtbar. 

Ein Grund dafür, dass der Amazonas-Regenwald mittlerweile von einer Kohlenstoffsenke zur –Kohlenstoff - Quelle geworden ist.***** 

O-Ton 15 Dinerstein

We know ...  those are our sinks. 

Overvoice (männlich)

"Gut die Hälfte aller Emissionen wird vom Land und vom Meer absorbiert, rund 25 Prozent von den Pflanzen an Land und rund 25 Prozent von den Ozeanen. Wir müssen diese natürlichen Kohlenstoffsenken erhalten, wenn wir auch nur den Hauch einer Chance haben wollen, unter dem Schwellenwert von 1,5 Grad Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu bleiben. 

Musik 8

"Part 04" - Ausführender und Komponist: Stephan Micus - Album: Ocean Länge: 1'00

Sprecherin

Die Ozeane haben eine entscheidende Bedeutung für die Zukunft der Erde, so Eric Dinerstein. Hier müssten endlich Schutzzonen geschaffen werden, die ihren Namen auch verdienen:

O-Ton 16 Dinerstein

One of the critical … recover the oceans. 

Overvoice (männlich)

"Ein entscheidender Unterschied zwischen Meeres- und Landschutzgebieten besteht darin, dass Meeresschutzgebiete weiterhin vielfältig genutzt werden können, zum Beispiel durch Fischfang, während in Schutzgebieten an Land z.B. kein Holzeinschlag mehr möglich ist. 

Es wäre wichtig, strenge No-Take-Zonen einzurichten, in denen die Fischerei hundertprozentig ausgeschlossen ist. In solchen Gebieten können sich die Populationen erholen. Derzeit werden alle größeren Fische bis zum kommerziellen Aussterben befischt." 

Sprecherin

Nur 2,7 Prozent der Weltmeere sind bislang streng geschützt. Viel zu wenig, sagen viele, um die Bestände gegen die radikalen Methoden der Fischerei zu verteidigen. Werden etwa Grundschleppnetze kilometerweit über den Meeresboden gezogen, sorgt das nicht nur für Unmengen an unerwünschtem Beifang, im Vorbeifahren wird auch der Lebensraum Meeresboden zerstört und zugleich viel CO2 freigesetzt. Größere echte Meeresschutzzonen kommen nicht nur der Artenvielfalt zugute, auch die Fischerei profitiert von sich erholenden Beständen - das zeigt eine im Fachjournal Nature publizierte Studie. ****** Auch in deutschen Gewässern darf in Meeresschutzzonen gefischt werden. Aber nicht nur das.

Atmo 08 Fehmarn

Sprecherin 

Ganz im Norden der Republik, kurz vor Dänemark, auf der Insel Fehmarn:

O-Ton 17 Neumann

Genau hier ist geplant, die Ostsee über 18 Kilometer auszubaggern, um dort Betonelemente zu versenken für eine Autobahn, maut-finanziert, und auch eine Güterbahntrasse.

Sprecherin

Karin Neumann kämpft seit Jahren mit dem Aktionsbündnis "Beltretter" gegen den Fehmarnbelttunnel, der quer durch ein Meeresschutzgebiet führt. Fassungslos sieht sie über die noch ruhige Ostsee. 

O-Ton 18 Neumann

Und genau hier soll eben über Jahre die Ostsee ausgebaggert werden, der Meeresboden tief und breit, also bis zu 200 m breit und 16 tief, und das wird über Jahre hier die Ostsee eintrüben. Wir haben hier Robben, wir haben hier den seltenen Schweinswal, der hat hier seine Kinderstube. Und auch die Riffe, die gefunden wurden, sind ja nach wie vor genau da wo auch die Tunneleinfahrt hier an Land kommen soll. 

Sprecherin

Achteinhalb Jahre Bauzeit, Millionen von Kubikmetern aufgebaggerter Meeresgrund, tonnenweise vorgefertigte Tunnelteile aus Beton. Man hätte auch einen die Umwelt schonenden Tunnel unter dem Meeresboden bauen können, doch dieser hätte mehr gekostet. 

Musik 9

"Path leading to the high grass" - Album: Shenzhou - Komponist: Geir Jenssen - Touch TO 55 - Länge: 1'00

Sprecherin

Der Tunnel ist nur ein Beispiel für nicht praktizierten Meeresschutz. In die Ozeane wird auf der ganzen Welt kaum reguliert eingegriffen. Erstmals wurde nun in einer Studie******* die bauliche Substanz in den Meeren vermessen - Häfen, Aquakulturanlagen, Tiefseekabel und vieles mehr - und deren Einfluss auf die Ökosysteme. Geleitet wurde die Studie von der Ökologin Ana Bugnot [Aussprache: Anna Banott] von der Universität Sydney:

O-Ton 20 Bugnot 

"So if you add ... around the shorelines."

Overvoice (weiblich)

"Wenn man den physischen Fußabdruck plus Umgebung zusammenzählt, kommt man auf zwei bis vier Millionen Quadratkilometer Meeresboden, die auf ganz verschiedene Art und Weise verändert oder beeinflusst wurden. Und fast alles davon, nämlich 99 Prozent, spielt sich rund um die Meeresküsten ab."

Sprecherin

An den Küsten ist die Biodiversität am größten. Durch Bauten werden die Meere also an ihrer empfindlichsten Stelle beeinflusst. Den meisten Raum nehmen mittlerweile Aquakulturanlagen ein, durch sie gelangen großflächig Chemikalien und Medikamente ins Wasser. Den größten Einfluss auf die marinen Ökosysteme üben aber laut der Studie die Häfen in aller Welt aus.

O-Ton 21 Bugnot

The biggest impact ... in the world.

Overvoice (weiblich)

„Das Verkehrsaufkommen dort und drum herum, die Arbeiten in den Häfen, der gewaltige und weithin hörbare Lärm von den Schiffen – all das wirkt sich auf einen großen Teil der Küstenökosysteme der Welt aus. 

Sprecherin

Die Ozeane haben nicht nur mit Plastikmüll, Versauerung und Überfischung zu tun, sondern auch mit kaum regulierten baulichen Maßnahmen.

O-Ton 22 Bugnot

What we are trying to do ... airports.

Overvoice (weiblich)

"Wir fordern ein angemessenes Management dafür, wo und wie im Meer gebaut wird, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Die Raumplanung im Meer hat gerade erst begonnen."

Musik 10

"Part 04" - Ausführender und Komponist: Stephan Micus - Album: Ocean Länge: 0'45

Sprecherin

Eine Raumplanung, die die Bedürfnisse der Natur besser beachtet und große neue Schutzzonen - beides verlangt konsequentes gemeinsames Handeln der Nationen der Welt, kann man sich das überhaupt vorstellen?

O-Ton 23 Dinerstein

It requires ... will they inherit.

Overvoice (männlich)

"Es bedarf einer neuen Ära der globalen Verantwortung, wir müssen Politiker wählen, die eine umfassendere Weltanschauung haben als nur den Blick bis zur nächsten Wahl und was in den eigenen Hinterhöfen vor sich geht. Die auch an die folgenden Generationen denken und was für eine Welt diese erben sollen." 

Sprecherin

Eric Dinerstein weist darauf hin, dass der Umgang mit der Corona-Pandemie doch beweise, was alles möglich ist, wenn nur alle an einem Strang ziehen. 

O-Ton 24 Dinerstein

In the USA ... safety net in 10 years. 

Overvoice (männlich)

"Allein in den USA werden Billionen Dollar für den Kampf gegen das Coronavirus und all seine Auswirkungen ausgegeben. Wenn wir nur einen Bruchteil davon für den Schutz der Natur und den Schutz unseres Klimas ausgeben, kann es uns gelingen, all diesen existenziellen Bedrohungen auf einmal zu begegnen. Einhundert bis Einhundertfünfzig Milliarden Dollar pro Jahr weltweit würden uns in zehn Jahren dieses Sicherheitsnetz geben." 


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 November 3, 2023  23m