Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0456: Die Beförderung


Werbeagenturen sind ja so eine Parallelwelt. Ich habe früher viel als sogenannter „fester Freier“ für Agenturen gearbeitet. Und so richtig dringt die Außenwelt da gar nicht hinein. Auch nicht zu Tom scheinbar. Trotzdem hofft Mike, nun doch noch endlich zum Art Director auszusteigen. Trotz der besonderen Umstände da draußen…

Download der Episode hier.
Opener: „Brothers convince little sister of zombie apocalypse“ von CBSN
Closer: „The Zombie – Sprint Unlimited, My Way TV Commercial“ von OKTVSpots
Musik: „The Zombie Song – HISHE“ von How It Should Have Ended

+Skript zur Sendung
Toms Büro ist groß. Nur wenige, teure Designermöbel und ein großes abstraktes Gemälde in Rot und Schwarz kämpfen gegen die Leere. Es ist still. Tom sitzt an seinem Mac und klickt sich durch’s Netz. Man kann das hören. Mike hat im Vorzimmer noch mit Jane geredet und betritt nun den Raum. Er wirkt ein wenig gehetzt und vielleicht ein wenig zu ungepflegt für so eine Top-Agentur wie Toms.

Mike: Hi Tom! Du wolltest mich sprechen?
Tom: Ah! Hi Mike! Schön, dass Du so gekommen bist. Gut schaust Du aus! Wie geht’s Dir und Deiner…
Mike: Rebekka.
Tom: Genau. Rebekka. Du bist ein bisschen spät. War Stau?
Mike: Nein, Stau gibt’s jetzt nicht mehr, Mike. Aber Benzin ist schwer aufzutreiben. Und dann muss man ja einen Weg finden durch die ganzen liegengebliebenen Autos. Und so…
Tom: Klar, klar. Issja auch weiter kein Problem. Ich seh’ das ja nicht so eng.
Mike: Gut.

Tom: Wie gefällt es Dir und Roberta denn in eurer ersten gemeinsamen Wohnung?
Mike: Rebekka.
Tom: Tolles Panorama, oder? Riesenfenster!
Mike: Na, eigentlich haben wir die Fenster vernagelt.
Tom: Und? Kochst Du ihr auch so feine Sachen wie bei unserer Weihnachtsfeier?
Mike: Wir leben eher aus der Dose. Bohnen, Ravioli, Thunfisch, so Sach…
Tom: Das ist aber schade!
Mike: Aber so reichen die Vorräte noch drei Monate.

Tom: So so. Na fein. Aber Du kannst Dir denken, dass ich Dich wegen etwas anderem reinbestellt habe. Und zwar ist mir aufgefallen, dass Du jetzt schon ganz schön lange in der Agentur bist…
Mike: Drei Jahre. Und vorher die fünf Jahre unbezahltes Praktikum…
Tom: Acht Jahre also. Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht!
Tom: Na ja, ich weiß’ nicht, ob Du’s mitbekommen hast. Aber in letzter Zeit sind ja viele Dinge passiert…
Mike: (schnaubt spöttisch) Das ist die Untertreibung des Jahres!
Tom: Und eben auch hier in der Agentur, wie Du Dir vorstellen kannst. Wir mussten alles umstrukturieren. Viel Personal ist ausgefallen und unser wichtigster Kunde ist auch abgesprungen…
Mike: Die Rasierschaum-Firma?
Tom: Ja, Mike, genau. Die Rasierschaum-Firma. Es hat sich rausgestellt, dass sich deren Zielgruppe mit dem Ausbruch der Krankheit drastisch verkleinert hat…
Mike: Das hätte man sich denken können…
Tom: Ja und nein. Aus dem Filmmaterial, das uns vorlag, war nicht wirklich zu erkennen, ob Zombies sich rasieren oder nicht. Das musst Du zugeben!
Mike: Zombies, die sich rasieren? Denen ist sogar egal, wenn Ihnen ein Arm abfällt! Und welches Filmmaterial?

Tom: Wir haben jeden Zombiefilm, der je gedreht wurde im Archiv.
Mike: Aber das sind doch nur Filme. Hollywood! Die Zombies da draußen, die sind echt! Glaub’ mir, denn ich hab’ auf der Fahrt hierher mindestens ein Dutzend überfahren!
Tom: Schon gut. Reg’ Dich nicht auf! Dinge ändern sich. Das heißt für eine Agentur nicht, dass sie aufhören sollte, sich anzupassen! Krise ist im Chinesischen ein Wort, dass aus zwei Wörtern gebildet wird. Aus dem Wort für Chance und aus dem Wort für…
Mike: Große Scheiße vielleicht?

Tom: Nein… aber irgendetwas in der Art. Aber Du verstehst, was ich meine, oder? Auch für Dich gibt es da eine Chance, denn krankheitsbedingt ist der Job von Steve freigeworden. Hast Du Lust Art Director zu werden, Mike?
Mike: Im Ernst? Wir machen einfach so weiter?
Tom: (väterlich) Mike. 75% der Bevölkerung sind mittlerweile Zombies. Und ist Dir auch nur eine einzige Werbung aufgefallen, die sich dieser Zielgruppe widmet?
Mike: Der Zielgruppe Zombies?
Tom: Genau! Die lassen alle links liegen! Keiner kümmert sich um die! Wie wenn die alle tot wären!
Mike: Na ja, technisch gesehen sind die alle tot.
Tom: Technisch schon. Aber bedeutet das, dass die keine Bedürfnisse haben, die wir wecken können? Hm? Bedeutet dass, das die plötzlich alle keine Kohle mehr haben?

Mike: Das habe ich mir noch nie überlegt… (sarkastisch) Ich war immer damit beschäftigt zu überleben.
Tom: Eben! Keiner sieht diese Chance! Wir könnten die erste und einzige Agentur sein, die für unsere Kunden diesen Riesenmarkt öffnet! Vielleicht rasieren sich Zombies ja wirklich nicht, aber bedeutet das, das denen jegliche Körperpflege fremd ist? Vielleicht riechen Zombies ja gerne nach etwas Speziellem?
Mike: (gereizt) Körperpflege? Du benutzt Körperpflege und Zombies in einem Satz? Warst Du seit Ausbruch der Zombie-Apokalypse auch nur einmal da draussen? Nur einmal?
Tom: Ach, Mike! Jetzt sei doch nicht immer so negativ! Wenn Du Dir von vornherein schon irgendwelche Denkverbote erteilst, dann kommen wir nie auf die Idee, wie wir aus der Apokalypse Geld machen können. Für unsere Kunden und uns.
Mike: Und? Hast Du nur einmal Dein Penthouse verlassen? Ein einziges Mal?
Tom: Irgendwie, mein lieber, lieber Mike, irgendwie hast Du Dich sehr verändert…
Mike: Seitdem alle Menschen Zombies sind, meinst Du? Meine Eltern, meine Geschwister…
Tom: Nein, seitdem Du mit der Roberta zusammen bist.
Mike: Rebekka.
Tom: Meinetwegen Rebekka. Du hast irgendwie Deinen Biss verloren.
Mike: Biss verloren? Hähä – das ist echt eine schöne Metapher. Jetzt, wo die Zombies die Welt regieren.

Tom: Und darum werde ich den Job als Art Director leider jemand anders geben müssen.
Mike: Im Ernst. Nach acht Jahren in diesem Laden übergehst Du mich wieder? Ich habe immer gute Arbeit abgeliefert. Ich habe Kampagnen gestaltet, für die Du die Preise kassiert hast! Ich habe die Agentur dahin geführt, wo sie heute steht. Meine Arbeit hat die Kohlen verdient für Dein Penthouse, Deinen Porsche, Deinen Mac und Deine blöde Jacht. Und ich sitze in einer Zweizimmer-Wohnung und fresse Bohnen!
Tom: Hey, für Deine kulinarischen Entscheidungen kannst Du mich nicht verantwortlich machen!
Mike: Ich gebe auf. Tom, Du Blinder, da draußen geht die Welt unter!
Tom: Ach was! Immer siehst Du alles so schwarz. Da draußen läuft eine Zielgruppe herum, um die sich niemand kümmert! Das ist der Anfang von etwas ganz Großem!
Mike: O.k. Ich gebe wirklich auf. Tom, ich kündige. Leb’ wohl!
Tom: Überleg’ Dir das gut, Mike. Schlaf’ lieber noch einmal eine Nacht darüber. Diese Agentur braucht Dich.

Mike: Wer wird denn dann der neue Art Director?
Tom: Peter.
Mike: Peter? Aber der ist doch schon vor einer Woche gebissen worden. Der ist doch selber ein Zombie.
Tom: Ja, der hat den richtigen Hunger. Den nötigen Biss. Der kennt die Zielgruppe aus der Innenperspektive. Der steht vor der Tür, vielleicht könnt ihr euch absprechen…
Mike: Du darfst ihn auf keinen Fall reinlassen!
Tom: Ach Quatsch, Du Pessimist. Jane, kannst Du Peter reinlassen?
Mike: Spinnst Du? Tu das nicht!

Die Tür fliegt auf. Jane liegt tot am Boden. Peter schlurft ins Zimmer. Schnurstracks auf Mike zu…

Peter: Gehirn! Gehirn! Uahaha

Aus! Cut! Schluss! Das ist ja zu lächerlich. Jetzt, wo ich das einspreche, fällt mir auf, was das für ein Quatsch ist. Liebe Zuhörende, es tut mir leid. Am besten ist, wir vergessen diese ganze Sendung. Ich bemerke erst jetzt den großen logischen Fehler in dem ganzen Sketch. Habt ihr auch gemerkt, oder? Wenn Zombies tatsächlich immer nach Gehirn, Gehirn suchen, warum sollten sie dann ausgerechnet in einer Werbeagentur suchen? Großer Quatsch. Ich entschuldige mich im Namen von… mir. (verlegen) Hähä. Schnell, Musik.


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 June 3, 2016  10m