Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0457: Schlafen Bäume?


Die Frage klingt vielleicht kindisch, aber ist doch durchaus berechtigt. Schlafen Bäume? So wie wir Menschen oder Tiere eben. Die ja alle schlafen müssen. Und erstaunlicherweise bis zu diesem Jahr noch nicht so richtig erforscht. Bis jetzt…

Download der Episode hier.
Opener: „Tree Song- Learn about Trees!“ von Mr. R.’s Songs for Teaching
Closer: „Ich lispel nicht. Hier der Beweis Baum.“ von Harald Winfried
Musik: „Tree“ von Thoola / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Tut mir leid, dass sagen zu müssen, aber heute bin ich echt furchtbar müde. Verzeiht also schon im voraus meine mangelnde Konzentration und etwaige Versprecher. (gähnt) Aber ich mache das hier oft spät am Abend, damit die Sendung euch am Morgen auch verlässlich zur Verfügung steht. Also, was wollte ich…

Schlafen Bäume? Das hat mich meine Tochter ‘mal gefragt, vor vielen Jahren. Ich hab’ damals kurz
überlegt und die Frage mit „Ja“ beantwortet. Es ist das Vorrecht des Vaters oder der Mutter manchmal einfach etwas behaupten zu dürfen. Auch wenn man die Antwort selber nicht weiß. Natürlich nur um das große Ganze zu illustrieren. Oder eigene Unwissenheit zu kaschieren. Obwohl… „Keine Ahnung, lass uns das herausfinden!“ hab’ ich schon auch oft gesagt…

Aber irgendwie schlafen Pflanzen ja auch, oder? Jeder, der einmal Blumen angepflanzt hat, kann
das beobachten. Egal ob im Garten oder auf dem Balkon. Nachts gehen die Blüten zu, tags wieder
auf. Manche Pflanzen rollen sogar ihre Blätter ein. So ein ganzer Tag, mit all’ der Photosynthese
kann ja auch ganz schön anstrengend sein, oder?

Eigentlich, wenn man es sich genau überlegt und so vor einem Baum steht, dann besteht das ganze
Naturdenkmal im Prinzip aus Luft, Wasser und Licht. Ein paar Mineralien aus der Erde noch,
zugegeben. Aber es ist schon ein Riesenwunder der Natur. Luft, Wasser und Licht. Und da steht
dieser Riesenbaum und lebt. Schläft er dann auch?

Carl von Linnaeus ist ein Mann dem wir vieles verdanken, unter anderem die Art und Weise, wie
wir die Natur benamsen. Und der hatte schon beobachtet, dass bestimmte Pflanzen, wenn man sie im absolut im Dunklen hält, trotzdem ihre Blüten schließen oder ihre Blätter einrollen, wenn es Nacht wird. Es ist also keine einfache mechanische Reaktion, die stattfindet, weil sie kein Licht mehr bekommen.

Sondern anscheinend haben Pflanzen eine sogenannte circadiane Rhythmik . Das ist der
wissenschaftliche Ausdruck für das, was wir Laien eine „innere Uhr“ nennen. Also eine eingebaute
Uhr, die uns steuert, egal ob wir Sonne oder Mond sehen. Wenn man Menschen unter immer den
gleichen künstlichen Bedingungen hält, Tag und Nacht, schlafen sie nicht irgendwie in wirren
Zeiten, sondern behalten einen normalen Rhythmus bei.

Na ja. Aus irgendwelchen Gründen pendeln sie sich auf einen 25-Stunden-Rhythmus ein. Weil wir
wahrscheinlich nicht von der Erde stammen, sondern von einem anderen Planeten. (dramatic sound)
Nee, war nur ein Witz. Aber, warum das so ist, wissen wir nicht wirklich.

O.k., schon wieder vom Thema abgeschwiffen. Aber Schlafen ist wirklich einfach ein spannendes
Thema! Denn so genau wissen wir nicht, warum Menschen und Tiere überhaupt schlafen. Da gibt es große Möwen, genannt Fregattvögel. Die fliegen einfach tagelang durch. Ohne zu schlafen. Elefanten z.b brauchen nur drei Stunden. Löwen oder Tiger machen es nicht unter 16 Stunden Nickerchen und bestimmte Fledermäuse verpennen lässig 80% des Tages.

Und wir Menschen schlafen im weltweiten Durchschnitt 7 Stunden. Aus eigener Erfahrung kann ich behaupten: Wenn man nicht schläft, wird man erst unruhig, unkonzentriert, bekommt früher oder später Halluzinationen, beginnt zu lallen. Bis einen der Schlaf irgendwann einholt. Keine Chance.

Der Rekord liegt bei atemberaubenden 266 Tagen. Aber den kann ich nicht fassen. Einmal in meinem Leben hab’ ich 76 Stunden durchgearbeitet. Ich hatte Halluzinationen, Herzrasen und Schweißausbrüche. Aber, Gott sei Dank, sterben wir Menschen ja nicht durch Schlafentzug. So wie Ratten z.B. die nach sieben Tagen Schlafentzug tot umfallen.

Weil der Schlaf so wichtig ist, wird er oft zu Folterzwecken entzogen. Und das nicht nur in Guantanamo oder Abu Ghuraib, sondern weltweit. Hinterlässt halt keine hässlichen Narben und lässt sich recht billig umsetzen. Einfach Metallica spielen, bis der Terrorist entnervt alles preisgibt.
Aber wo war ich eigentlich?

Ach ja. Schlafen Bäume? Eigentlich eine wirklich gute Frage, möchte man meinen. Da gibt es sicher Forschung dazu. Aber, siehe da: Nicht wirklich. Nu diesen März machte eine Nachricht im Netz die Runde. Forscher hätten bewiesen, dass Bäume schlafen würden.

Tatsächlich hatte ein Forscherteam aus Ungarn, Österreich und Finnland Weißbirken per Infrarot-Lasern sozusagen gefilmt und vermessen. Zwei verschiedene dieser Bäume wurden gleichzeitig gescannt, einer in Finnland, einer in Österreich.

Das alles fand Mitte März statt, in der Nähe zur Tag- und Nachtgleiche. Es war windstill und auch nicht so feucht, dass Flüssigkeit an den Blättern kondensiert wäre. Und siehe da: Beide Bäume ließen sozusagen in der Nacht ihre Äste und Zweige hängen. Entspannten sich, sozusagen.

Drei oder vier Stunden vor Sonnenaufgang wachten sie dann sozusagen wieder auf. Sie richteten ihre Äste wieder auf. Denn wieder stand ein ganzer Tag voller Photosynthese auf dem Arbeitsplan.

Das Paper ist sehr interessant, auch wegen der verwendeten Vermessungmethode. Pflanzen sind gar nicht so leicht zu vermessen und auch dieser Messvorgang wäre ja an der Verwendung von Licht gescheitert. Wenn man die Bäume dreimal in der Sekunde mit Blitzlicht fotografiert hätte, dann hätten sie vermutlich nicht normal reagiert.

Der große Haken an der ganzen Sache ist halt die Frage, ob man das nun Schlaf nennen kann. Charles Darwin hat das typische Verhalten von Pflanzen so charakterisiert. Aber eigentlich bräuchte es für das, was Biologen Schlaf nennen halt ein Gehirn.

Und das haben ja weder Primeln, Brennesseln noch Weißbirken. Oder? Tatsächlich könnte es durchaus sein, dass Pflanzen zumindest mehr Verstand besitzen, wie wir denken. Es gibt da in einer Zellschicht oberhalb der Wurzelspitze Strukturen, die verdächtig aussehen wie Neuronen bei uns Tieren.

In denen herrscht rege Aktivität obwohl diese Zellen nicht wachsen oder irgendeine andere Funktion erfüllen, als winzige Bläschen, Vesikel, mit verschiedenen Botenstoffen zu produzieren, die von Eiweißfäden, genannt Aktinfilamente, dann durch die Zellen gezogen werden. Wir haben solche Transporteinrichtungen in unserern Muskeln.

2010 konnte nachgewiesen werden, dass ein bestimmtes pflanzliches Gen für etwas sorgt wie ein Langzeitgedächtnis für Pfanzen. So lernen z.B. Bäume mit jedem Jahr genauer, wann denn nun Zeit ist auszutreiben oder zu blühen.

Bestimmte Pflanzeneiweiße können von der Pflanze auch in Prionen umgewandelt werden und sorgen so für eine Art von Kurzzeitgedächtnis. Mimosen zum Beispiel stellen bei Berührung ihre Blätter auf. Es sei denn, man spielt das Spiel zu oft, dann hat die Mimose keinen Bock mehr und verweigert die Reaktion.

Aber das ist alles natürlich weit aus dem Fenster gelehnt. Und rechtfertigt nicht einen Forschungszweig botanische Neurobiologie.

Aber es wäre schon romantischer, wenn man nachts durch einen schlafenden Wald spaziert, oder?
„Über allen Gipfeln
Ist Ruh’,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.“

Danke, Goethe.

Ich finde, wir sollten das nicht sooo genau nehmen mit der Definition von Schlaf. Ich hatte damals schon Recht. Bäume schlafen.

Was eine ausgezeichnete Idee ist. Das mach’ ich jetzt auch. Dann: Guten Morgen, ihr Lieben!


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 June 6, 2016  13m