Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0460: Hedy Lamarr


Das muss ja schon ein ganz schönes Problem sein, wenn man die schönste Frau der Welt ist. So wie Hedy Lamarr. Kann man dann eine Technologie erfinden, ohne die unsere moderne Kommunikation völlig unmöglich wäre? Kann man.

Download der Episode hier.
Opener: „Beauty AND Brains“ von CBS
Closer: „Calling Hedy Lamarr – Edited Extracts“ von Malcolm Drew
Musik: „Tweedle Dee“, gesungen von Dorothy Collins / Public Domain Mark 1.0

+Skript zur Sendung
Hedy Lamarr. Alleine der Name klingt irgendwie sexy, oder? Und die Frau dahinter galt als die schönste Frau der Welt. Und hat auch noch eine Erfindung patentieren lassen. Damit wir jetzt in der U-Bahn ihren Namene googlen können. Was ohne Hedy Lamarr nie funktionieren würde.

Geboren ist sie als Hedwig Eva Maria Kiesler in Wien. Am 9. November des Kriegsjahrs 1914. Der Vater ist Banker, die Mutter Konzertpianistin. Als sie in ihrem ersten Film auftritt, „Geld auf der Straße“ ist sie erst 15. Mit 17 dann hat sie ihre erste Hauptrolle, neben Heinz Rühmann. „Man braucht kein Geld“ hieß dieser Film. Und die kleine Hedy fiel durch ihre selbstbewusste Art auf. Eine jüdische Lolita, so dichtete die Presse damals.
Mit 19 Jahren spielt sie dann in einem Film mit, der ihr den Durchbruch bringen sollte. „Symphonie der Liebe“ hieß der im Original. Und der sorgte für einen Riesenskandal. Nicht nur, dass die 19 Jahre alte Hedy da eine zehnminütige Nacktszene hatte, in der sie durch einen Weiher schwimmt und dann ihrem Pferd hinterherrennt. Nein, noch skandalträchtiger war die Darstellung eines weiblichen Orgasmus in einem Film, der kein Porno war.

Darum wurde der Film in den USA natürlich verboten. Aber auch in Nazi-Deutschland. Eine sexy Jüdin, pah! Erst 1935 erschien eine zensierte Version unter dem Titel „Ekstase“, der die Kinos trotzdem füllte. Zwar waren die Brüste und der Seufzer im Schneideraum geblieben, trotzdem warnten die Plakate: „Achtung, jugendverderbend.“

So konnte das nicht weitergehen, dachten sich die Eltern und verheirateten das noch nicht volljährige Mädchen an den größten Waffenhändler Österreichs. Fritz Mandl, der Patronenkönig. Der mit dem jugendlichen Sexsymbol kräftig Eindruck schinden konnte. So muss sich die arme Hedy durch endlose Soirees, Dinérs und Parties langweilen. Ihr stinkreicher Mann bewegte sich in den höchsten Kreisen. Wo er mit Nazigrößen und italienischen Faschisten Geschäfte anbandelte.

Sonst bleibt sie weggesperrt und hat schön zu Hause zu bleiben. Sie darf das Haus nicht ohne ihre Gouvernante verlassen. Soweit ging die Eifersucht Mandls, dass diese sogar vor dem Schlafzimmer Wache schieben musste. 1937 setzt sie ihre Wachhündin mit Schlaftabletten in den Tiefschlaf und flieht mit ihren Koffern durch’s Fenster. Nicht nur, um ihrem schrecklichen Gatten zu entkommen, sondern natürlich auch den Nazis. Gerade noch, 1938 kam Österreich heim ins Reich.

Louis B. Mayer – der Mayer von Metro, Goldwyn, Mayer – eilt nach London, um sie sofort unter Vertrag zu nehmen. So bekannt hatte „Ekstase“ sie auch in Amerika gemacht. Er tauft sie um auf Hedy Lamarr und verkauft sie der Welt als die schönste Frau selbiger.

Schon ihr erster Film „Algiers“ ist zwar nicht ein richtiger Erfolg, aber führt doch dazu, dass ihre Friseur, ihr Kleidungsstil, ihre Art des Schminkens in Hollywood zum Modetrend wird. Alle wollen plötzlich aussehen wie Hedy Lamarr.

Im Laufe ihrer Filmkarriere spielt sie mit jedem männlichen Star aus diesen Tagen. Clark Gable etwa oder Spencer Tracey oder sogar Jimmy Stewart. Aber meistens war sie nur schmückendes Beiwerk. Oder die sündige Verführerin. Der Held entscheidet sich dann aber am Ende doch für die Andere, die Blonde und heiratet die.

Ihren größten Erfolg hat sie 1949 in „Samson und Delilah“ mit Victor Mature und George Sanders in einem klassischen Cecil B. DeMille-Film. Aber auch hier muss sie sich die meiste Zeit lasziv auf Kissen räkeln und ist ja schließlich, als Samsons Friseurin, auch die Böse.

Im Hollywood-Studio-Betrieb fällt sie eher unangenehm auf. Sie sei schwer zu motivieren, habe keinen Ehrgeiz und keinen Biss. Trotzdem ist sie irgendwie schwierig, heißt es. Und – hinter vorgehaltener Hand – schauspielern kann sie auch nicht. Da hat die Hand auch ein bisschen recht.

Die übrigens auch behauptet, dass die Gute eine ausgewachsenen Nyphomanin sei. Sechs Ehen, zahlreiche Liebschaften und die Tatsache, dass sie Frauen und Männern in ihrem Bett abwechselt, machen sie für das Studio zu einem Sicherheitsproblem.

Nach 1958 dreht sie keinen Film mehr. 1962 läuft der Vertrag aus und sie bekommt nirgends mehr einen Job. Aber ihre Erfindung kommt in der Kuba-Krise zum ersten Mal in Einsatz.

Ach, hatte ich ja noch gar nicht erzählt. Hedy und ihr Freund, der Komponist George Antheil waren leidenschaftliche Nazihasser und der Kriegsverlauf machte ihnen 1941 erhebliche Sorgen. Die deutschen U-Boote waren unberechenbar. Und konnten die Steuerung der Torpedos ausschalten.

Diese erfolgte per Funk. Und wenn die deutschen die richtige Frequenz erwischten, funkten sie einfach mit einem stärkeren Störsignal dagegen und das Torpedo verlor die Steuerung. Ärgerlich. Daran musste man etwas ändern.

Hedys Idee war nun: Warum macht man das nicht wie bei diesen automatischen Pianos? Da läuft so ein Lochstreifen durch und ändert die gespielte Note. Was ja auch nur eine Frequenz ist. So etwas baut man in das Torpedo und das Flugzeug oder das Schiff ein. Auf beiden Seiten. Synchronisiert. Und dann wechseln beide automatisch die Frequenzen durch. Frequency-Hopping heißt das.

Antheil konnte das technisch umsetzen und in eine Patentschrift fassen. 1942 bekamen sie dieses Patent und stellten es der US Navy für 0 Cent zur Verfügung. Aber die Admirale begriffen das Potential wohl nicht und konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, Teile eines Pianos in ihre Munition einzubauen.

Erst als das Frequency-Hopping elektronisch möglich war, eben 1962, setzte das Militär das auch ein. Und ohne diese Idee hätten wir heute keine Smartphones, denn die verwenden das zur Kommunikation mit den Satelliten, um Störungsfreiheit zu gewährleisten. Auch Bluetooth oder WLan funktioniert nicht ohne Hedy Lamarrs Idee.

Aber die beiden hatten 1962 nichts mehr von ihrem Patent, das hatten sie enttäuscht auslaufen lassen und haben nie einen Penny dafür gesehen.

Mit dem nachlassenden Ruhm kam Hedy nicht so gut zurecht. So wie sie es immer gehasst hatte, nur wegen ihrer Schönheit wahrgenommen zu werden. Und von dicken alten Männern nur als Sexsymbol benutzt zu werden, so sehr fehlte ihr nun die Aufmerksamkeit.

Im Fernsehen kam sie nie richtig unter. So widmete sich bald einem neuen Hobby, so ihr Sohn Anthony Loder, nämlich Schönheitsoperationen. Und gelegentlichem Ladendiebstahl. Bald zog sie sich ganz zurück und zog, wie man das in den USA macht, nach Florida. Wo sie mit 85 Jahren verstarb und am 19. Januar 2000 tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde.

Wenn man ihr so zusieht und zuhört, dann hat man den Eindruck: Nie hat sie den Wirbel verstanden, nie ihre Arbeit besonders wertgeschätzt. Ruhm, Glamour, Image, was ist das?Von ihr stammt das Zitat: „Jedes Mädchen kann glamourös sein. Du musst nur still rumstehen und dumm dreinschauen.“


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 June 9, 2016  12m