Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0461: Die Vegetarierin


Vorab nur soviel, ganz unter uns: Ich bin selber Vegetarier. Erzählt es nicht weiter. Aber für eine mittelmäßige bis gute Pointe verkaufe ich auch meine Seele. Darum geht es in dieser Folge um eine anstrengende Gästin. Hörspielfolge, also: Satirisch. (Muss man dazusagen!)

Download der Episode hier.
Frei nach Veggies von rosewater49
Background: “The Elevator Bossa Nova” – Composed and performed by Bensound / CC BY-NC-SA 3.0
Opener: „Paul and Linda McCartney on The Simpsons“ von AraLennon
Musik: „Get Away“ von Latasha Lee / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
K: Guten Tag und willkommen im Goldenen Schwan! Kann ich Ihnen bei der Auswahl behilflich sein?
V: Guten Tag, Herr Ober. Vielen Dank. Ich bin Vegetarierin. Ich achte sehr auf meine Ernährung. Das Huhn hier. Ist das freilaufend?
K: Oh, nein, Gnädigste. Das gäbe ja ein schönes Chaos hier im Restaurant. Wir haben die Hühner hier nicht freilaufend, wir bevorzugen sie tot.
V: Das ist mir schon klar. Mir geht es um die Haltung des Huhns.
K: Verstehe. Aber die werden wir nicht mehr rausbekommen. Weil es ja tot ist.
V: Nein, ich meine, wie es gelebt hat. Ob es ein glückliches Leben geführt hat.
K: Ich denke, auch auf diese Frage werden wir keine Antwort mehr bekommen. Weil es ja, wie gesagt…
V: …tot ist. Das ist ja auch selbstverständlich. Meinen Sie, ich esse lebendige Hühner?
K: Apropos Haltung: Wir haben hier Wildgerichte, die lokal geerntet werden. Vom Vater vom Chef selber ausgewählt und liebevoll mit Schrot handerschossen.
V: Ich esse doch kein Wild. Ich bin Vegetarierin. Ich esse keine Tiere.
K: Ach, Hühner sind keine Tiere?
V: Ich esse keine Säugetiere. Und Hühner kucken auch immer so komisch. Mehr wie Fische.
K: Ach, das ist ja eine gute Idee. Fisch führen wir auch. Wenn Sie ihren Augenmerk auf Seite 4 der Karte richten wollen…

V: Ah, ich sehe. Oh! Hering? Da ist ja Hering auf der Karte!
K: Was, das ist ja eklig! Ach so, sie meinen, da steht Hering auf der Karte. Ja, stimmt. Ist das ein Problem?
V: Na klar, der ist bedroht!
K: Mein Gott! Von wem denn? Aber viel kann ihm ja nicht mehr passieren. Denn der ist ja auch tot!
V: Der ist vom Aussterben bedroht, meine ich!
K: Also, ich glaube nicht, dass es dem Hering jetzt noch wichtig ist.
V: Die gesamte Spezies! Man sollte keinen Hering mehr essen, der wird zu oft gefischt!
K: Da kann ich sie beruhigen, werte Dame. Der ist nur einmal gefischt worden und nicht öfter. Denke ich. Aus diesen Schleppnetzen gibt es kein Entkommen!
V: Oh, mein Gott! Hören Sie denn nie Nachrichten! Wenn alle Leute einfach immer weiter Hering essen, dann sterben die aus. Dann gibt es keine mehr!
K: Das wäre natürlich schlecht. Da müssten wir auch die Karte ändern.
V: Sie sind entweder völlig naiv oder unverschämt. Ich habe mich noch nicht entschieden.

K: Das stimmt, ist mir auch schon aufgefallen. Wie wäre es denn mit der Forelle?
V: Forelle?
K: Allerdings, aber soviel vorab: Die ist auch gefischt worden.
V: Wie bitte?
K: Und ich fürchte, die ist auch bereits tot.
V: Sie veräppeln mich, oder?
K: Keineswegs. Das war der Zustand, als ich vorhin die Küche verlassen habe. Und ich habe noch nie gehört, dass eine Forelle von den Toten auferstanden wäre.
V: Ihr Verhalten ist… völlig unangemessen!
K: Die Forelle kommt in einer luftigen Sahnesauce mit etwas Bärlauch und einem leichten Zitronenaroma.
V: Oh, bitte! Keine Milchprodukte!
K: Ach. Das hätte ich mir denken können. Was aber, wenn ich Ihnen versichere, dass es freilaufende Milch war?
V: Das reicht! Ich will sofort ihren Koch sehen! Sofort!

B: Meine Dame, willkommen im Goldenen Schwan. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?
V: Ihr Kellner hier ist ausgesprochen unfreundlich und behandelt mich als Menschen zweiter Klasse. Wahrscheinlich, weil ich Vegetarierin bin.
B: Oh. Das gehört sich nicht. Denn werde ich mir ‘mal zur Brust nehmen. Obwohl, wenn ich so nachdenke… Mich behandelt er auch immer so. Und alle anderen auch…
V: Ich sehe schon. Ich werde wohl das Restaurant verlassen, ohne bestellt zu haben…
B: Bitte verzeihen Sie. Wie darf ich Ihnen denn die Forelle zubereiten?
V: Also, ohne die Sahnesauce. Ich bin Laktose-intolerant. Was gibt’s denn als Beilage?
B: Wir haben uns für frische, hausgemachte Bandnudeln entschieden und Böhnchen.
V: Nudeln geht leider auch nicht. Ich vertrage kein Gluten. Da bekomme ich schreckliche Bauchschmerzen. Könnten Sie mir dazu auch Kartoffeln anbieten?
B: Aber natürlich. Petersilienkartoffeln oder karamelisierte?
V: Karamelisiert? Das macht man mit Zucker, oder?
B: Ganz richtig.
V: Dann nicht. Und die Bohnen, kommen die aus Afrika?
B: Nein, Gnädigste. Weil gerade die Saison ist, kommen die hier aus unserem Garten.
V: Ausgezeichnet!
B: Dann haben wir einmal Forelle in luftiger Sahnesauce ohne Sauce, statt Nudeln Petersilienkartoffeln und Böhnchen.
V: Könnten Sie mir den Gefallen tun und bei den Petersilienkartoffeln auf die Patersilie verzichten. Die hat zwar viel Vitamin C, ist aber doch arg mit Schwefel belastet.
B: Sehr wohl. Wie sie wünschen. Also Forelle in luftiger Sahnesauce ohne Sauce, statt Nudeln Petersilienkartoffeln ohne Petersilie und Böhnchen.
V: Ach, wissen Sie, sein Sie mir jetzt nicht böse. Aber auf die Böhnchen verzichte ich auch.
B: Kein Problem. Wie wäre es mit einem Gläschen Wein dazu?
V: Wird der hier angebaut?
B: Leider nein, Oberbayern ist nicht gerade für seine Weine bekannt.
V: Dann lieber nicht. Wir wollen ja nicht einen größeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen als nötig, oder?
B: Nein, das wollen wir nicht. Die Biere sind Craft-Bier hier aus der Gegend. Vielleicht ein Glas Bier zum Fisch?
V: Ist das auch Bio-Bier? Sie wissen doch, dass die großen Brauereien mit genmanipulierter Hefe arbeiten, oder?
B: Ach ja? Vielleicht etwas Wasser?
V: Ich trinke nur Leitungswasser. Aber ich bin skeptisch, was die Qualität der Leitungen in einem so alten Restaurant wie hier betrifft. Vielleicht sind die noch aus Blei!
B: Das weiß ich gar nicht genau…
V: Aber ich habe eine Flasche levitiertes Wasser dabei. Von zu Hause. Wenn Sie mir ein sauberes Glas bringen wollten.
B: Selbstverständlich. Dann wünsche ich Ihnen einen guten Apettit!

K: So, werte Gästin. Hat Ihnen denn die Forelle gemundet?
V: Nun, um ehrlich zu sein, sie war etwas langweilig.
K: Darum neigen wir zur Verwendung von Saucen. Und Kräutern. Und Gewürzen.
V: Werden Sie schon wieder schnippisch?
K: Keine Sorge! Ich wollte nur von Erfahrungen aus Jahrhunderten europäischer Küche beirchten.
V: Sie werden wieder frech! Ich merke das genau! Wissen Sie ‘was? Sie würden richtig viel Geld verdienen können, wenn Sie ihr Etablissement auf vegetarische Küche umstellen würden. Und auf biologisch-dynamisch. Da ist ein riesiger Bedarf dafür da! Und besser für Ihr Gewissen und die Umwelt wäre das auch.
K: Vielen Dank für diese Anregung. Ich werde das dem Chef in der Küche berichten. Ich hoffe, Sie bald wieder zu sehen…
V: Pfft. Das meinen Sie sicher wieder sarkastisch! Auf Wiedersehen!

B: Isse weg?
K: Ja, Boss, sie ist wieder ‘mal weg.
B: Und? Was hast Du ihr dieses Mal berechnet?
K: € 130,-
B: Bist Du verrückt? Und hat Sie die gezahlt? Für ein Forellenfilet aus der Tiefkühle und zwei Salzkartoffeln?
K: Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken!
B: Sind ja schon nervig, die Vegetarier, aber wirtschaftlich gesehen lohnt es sich.
K: Ja, ich weiß gar nicht, was wir ohne die Vegetarierin machen würden.
B: Hoffentlich kommt sie auch nächste Woche wieder.
K: Boss, keine Sorge! Die kommt jeden Freitag!
B: Vielleicht sollten wir wirklich den Hering von der Karte nehmen…
K: Ach was!
B: Hast recht!


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 June 10, 2016  12m