Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0464: Die wahren Wikinger


Wir wissen alle, wie die Wikinger waren. Zumindest Wickie, Halvar, Urobe, Ulme, Faxe und nicht zu vergessen: Der schreckliche Sven. Natürlich stimmt aber diese Vorstellung so nicht. In der historischen Forschung ist ein ganz anderes Bild der Nordmannen entstanden.

Download der Episode hier.
Beitragsbild: What did the Vikings ever do for us? von The Like Minded
Opener & Closer: „The Muppet Show – In the Navy“ von Scooterpiety
Musik: „Les vikings (2007)“ von LES BAGUETTES MOULÉES / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Kennt ihr die Fernsehserie „Vikings“? Ist mir ja ein bisschen zu viel Gewalt und zu viel Vergewaltigungen, aber sie wurde schon für die historische Genauigkeit gelobt. Also habe ich mir das angeschaut.

Historisch genau ist die Serie aber überhaupt nicht. Es ist bloß ein bisschen ein anderes Wikingerbild, als das was wir so bisher kennen. Aber auch ein falsches. Na ja, die Heere und Kampftruppen sind aus finanziellen Gründen recht klein. Das dürfte historisch aber einigermaßen akkurat sein.

Die Wikinger sind ein klassisches Beispiel für christliche Propaganda. Die wilden Männer in Fellen, ungepflegt, grausam, betrunken und mit behörnten Helmen – das ist das Bild, das wir vor Augen haben. Und das steckt selbst noch in Wickies starken Männern.

Ein Helm mit Hörnern aber ist eine ausgesprochen blöde Idee. Das ist sozusagen wehrtechnisch gegen angezeigt. Man will , das Morgenstern, Axt, Streitkolben oder Schwert am Helm abgleiten. Darum baut man da nichts dran, dass das verhindert. Behörnte Helme führen also im besten Fall zu Kopfschmerzen.

Der Wikingerhelm mit Hörnern ist eine Erfindung des germanischen Nationalismus.In Deutschland war man froh, mit den arischen Nordmannen eine Kulturgeschichte zu haben, die nichts mit den welschen Römern oder den verweichlichten Griechen zu tun hatte.

Und so erfand Carl Emil Doepler für Wagners „Der Ring des Nibelungen“ die Helme mit den Hörnern. Das Köstumdesign für die Aufführung 1876 war damals so stilbildend, dass den Nordmannen die behörnten Helme in unserer Vorstellung blieben.

Aber das ist natürlich nicht der einzige Unsinn, der über die Wikinger erzählt wird. Christliche Chronisten – und andere aus dieser Zeit haben wir nicht – haben da ein Zerrbild geschaffen, das wir heute noch glauben. Ist ja auch klar. Wenn man im achten Jahrhundert gute Pressearbeit leisten wollte, dann überfiel man besser nicht die Orte, wo die Chronisten gerade schreiben.

Wikinger sind unvorstellbar grausam und gnadenlos. Das schreiben die dann natürlich. Und Christen hingegen gnädig und zivilisiert. Wie man bei dem sogenannten Blutgericht von Verden ja schön sieht. Das passiert im Jahre 782, also am Anfang der Wikingerzeit. Der Legende nach hatten die Sachsen 4500 Rädelsführer an Karl den Großen ausgeliefert. Die dieser dann an einem Tag alle hat enthaupten lassen. Aber da er Christ ist, wird das als Großtat gerühmt und nicht als Genozid.

Aber, aber die plündern alles und bringen alles nach Skandinavien. Nur auf das Gold aus, diese gierigen Nordmannen. Soso. Weswegen sie Dublin gegründet haben. Oder Island besiedelt. Oder Russland. Rus heißt Ruderer und gemeint sind Wikinger. Und dann gibt es noch die Normandie. Frankreich hat sein Wikingerproblem gelöst, indem es diesen einfach Platz zum Siedeln gab. Eben die Nordmanndie.

Diese gottlosen Heiden, so schimpfen die christlichen Chronisten weiter. Und auch das stimmt natürlich nicht. Denn die Wikinger hatten ja sogar mehr Götter als die Christen! O.k., schlechter Witz. Aber sie hatten durchaus ein religiöses System. Die Priesterschaft war ein wichtiges Amt und wurde höher geschätzt als der Adel. Darum gab es viele Könige, die auch das Priesteramt innehatten. Klar, Kirchen haben sie nicht gebaut. Gottesdienste fanden an heiligen Stellen in der Natur statt. Aber ob das ein Nachteil ist für die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft?

Aber sie sind Barbaren, die können nicht lesen oder schreiben! Schimpft das Mönchlein weiter. Stellt sich heraus, dass die Wikinger nicht nur lesen oder schreiben konnten, sondern eine ganz eigene Schrift entwickelt haben. Und nicht eben mal schnell Latein von den Römern übernommen haben. Die Runen waren weitverbreitet und voller Symbolik. Auch wenn so keine langen Texte entstanden, so konnten viele Menschen damit etwas anfangen.

Und diese „Barbaren“, das waren die ersten überhaupt, die Schiffe bauen konnten, mit denen man die Nordsee überqueren konnte. Das ist keine Kleinigkeit, das haben weder Phönizier, Römer oder die frühen Christen hingebracht. Bis zu den Wikingern war Seefahrt einfach: In sicherem Abstand zu einer Küste schippern. Take that!

Und sie behandeln ihre Frauen schlecht! Meint der christliche Chronist. Aber genau dieser Vorwurf kommt natürlich vom Falschen. Wikingerfrauen hatten deutlich mehr zu melden als christliche. Sie hatten z.B. die Schlüsselgewalt über Hab und Gut. Keine Kleinigkeit, im Prinzip gehörte ihnen Haus und Hof. Wenn man dazu betrachtet, dass sie sich durchaus scheiden lassen konnten, wenn sie vom Mann respektlos behandelt wurden, ist das keine Kleinigkeit.

Frauen erfüllten bei den Wikingern anscheinend auch wichtige spirituelle Rollen, denn in vielen Gräbern finden wir Grabbeigaben, die das belegen. Wenn man jetzt nnoch beachtet, dass Wikinger keine Probleme hatten, wenn Frauen Führungsrollen innehatten oder gar mit in die Schlacht zogen, dann wird die Bilanz für das Christentum noch dunkler.

Sie sind ungepflegt, haben wilde Bärte und waschen sich nie! So der mittelalterliche Propagandist. Und auch das ist einfach gelogen. Das Gegenteil dürfte näher an der Wahrheit sein. So eine Wikinger hatte selbst auf hoher See immer Bürsten, Kämme, ja sogar Pinzetten im Gepäck. Wahrscheinlich waren die deutlich eitler als die Christen, die sie so besuchten. Und dass sie regelmäßig badeten, dürfte ihnen auch einen deutlichen Geruchsvorteil gegeben haben. Im Unterschied zu den Christen im Mittelalter, die gerade die Theorie entwickelt hatten, das Baden der Gesundheit abträglich sei.

Summa summarum waren die Wikinger also nicht so barbarisch und fremdartig, wie man annehmen mag. Und sie kamen auch nicht auf einmal aus dem Nichts wie Heuschrecken über’s Land. Schon vor dem Überfall auf Lindisfarne wusste man voneinander. Es gibt schriftlich Klagen darüber, dass sich der englische Adel so eitel kleiden würde wie die Nordmannen.

Denn, das ist ja das Nächste: Die Zeitgenossen benutzten den Ausdruck Wikinger gar nicht. Da waren es eben die Nordmannen oder die Heiden oder, am genauesten: Die Dänen. Denn ein einheitliches Wikingervolk existierte gar nicht, das waren völlig unabhängige Königreiche.

Warum die Dänen, Norweger und Schweden auf einmal begannen christliche Klöster zu brandschatzen, das wissen wir auch nicht genau. Aber moderne Theorien gehen nicht mehr von rein wirtschaftlichen Gründen aus. Also nicht wegen des Raubguts. Und auch die These von der Überpopulation in Heimatgefilden ist nicht mehr so brandneu.

Vielmehr könnte es auch sein, dass sich die Skandinavier religiös selbst verteidigten. Denn die Christianisierung der Nachbarn, der Sachsen, war eine blutige Angelegenheit. Mission mit dem Schwert, wie es dem Islam ja immer vorgeworfen wird. Da kann man schon einmal Angst haben, als nächster an der Reihe zu sein. Aber das ist natürlich spekulativ und wir werden es nicht mehr erfahren.

Denn längst sind die Wikinger in Europa aufgegangen. Als die Normannen, die Nachfahren der in Frankreich siedelnden Wikinger, im Jahre 1066 England erobern, sprechen sie bereits fießend Französisch. Und die Rus in Russland bereits slawisch. Und die Dubliner gälisch. Alles, was geblieben ist von den nicht-behörnten Nordmannen ist unsere gute, alte Sitte, das Blut unserer Feinde aus deren Schädeln zu trinken.

War nur ein Witz, habe ich mir längst abgewöhnt!


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 June 15, 2016  14m