Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0465: The Big Lebowski


Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich „The Big Lebowski“ zum ersten Mal gesehen habe. Aber durchaus daran, dass ich beim ersten Mal sehr verwirrt zugesehen habe. Hat ein bisschen gedauert, bis ich mich auf diesen Film eingelassen haben. Mittlerweile liebe ich ihn richtiggehend. Soll’ ich das ‘mal erklären?

Download der Episode hier.
Opener & Closer: „The Big Lebowski – Best Quotes“ von TheRastaJellyfish’s channel
Musik: „Big Lebowski (2011)“ von STONER TRAIN / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Die Menschheit teilt sich in zwei Gruppen. Die eine hat „The Big Lebowski“ nie gesehen und die andere schon. Das ist natürlich unspektakulär, denn das kann man über jeden Film aussagen. Sogar über „Die tollen Taucher von dieser Unterwasserbasis, die wo die Haie bekämpfen tun.“ Ein leider nie gedrehter Film nach einem Drehbuch von mir aus dem Jahre 1970.

Aber bei „The Big Lebowski“ ist’s noch einmal anders. Denn der Teil der Menschheit, die diesen Film gesehen haben, teilt sich noch einmal. Denn für viele ist Lebowski ein wichtiger Kultfilm. Ein Lieblingsfilm. Aber genauso viele können mit dem Dude auch nichts anfangen.

Ich gehöre zu den Achievers. So nennen sich Fans des Films. Könnte man mit Überflieger oder Erfolgstyp übersetzen. Ist natürlich ironisch, klar. Und mehr noch, ich bin einer der offiziellen Priester des Dudeismus. Kein Scherz, ich habe da eine wunderschöne Urkunde gekauft für. In einigen amerikanischen Staaten darf ich gar Hochzeiten und Taufen durchführen. Reverend Explikator.

Aber es gibt durchaus auch Menschen, die mit diesem Film nichts anfangen können. Normale Menschen, einige sogar intelligent. Manche sogar gelegentlich humorvoll. Und dann muss ich erklären, warum ausgerechnet „The Big Lebowski“ es verdient hat, ein Kultfilm zu sein.

Definieren wir erst ‘mal Kultfilm. Für mich sind das einfach Filme, die besonders hartnäckige Fans haben. Fans, die genau diesen Film quasi religiös verehren. Daher der Ausdruck Kult.

Alle anderen Definitionen sind schwierig. Viele meinen, Kultfilme müssen independent sein. Also nicht von großen Studios gemacht. Lebowski aber ist z.B. von Universal. Andere sagen, Kultfilme müssen im Prinzip Flops sein, die dann erst entdeckt werden. Lebowski war tatsächlich ein Flop an der Kasse und hat sein Geld nur mühevoll eingespielt. Am Anfang waren die Kritiken auch eher schlecht. Der sagenumwobene Roger Ebert z.B. gab ihm erst nur drei von vier Sternen. Aber 2010 hat er das revidiert und auf vier von vier geändert.

Wieder andere sagen, Kultfilme entstehen, wenn das Publikum in einem Film etwas anderes sieht als von den Machern intendiert. Plan 9 from Outer Space wäre da ein gutes Beispiel. Aber Lebowski wird, glaube ich, genau so verstanden, wie er gemeint war.

Gut, dann wäre das geklärt. Nach einer enttäuschenden Laufzeit in den Kinos wurde Lebowski langsam Kult. Mittlerweile gibt es große Conventions, Lebowski Fest genannt, wo sich Fans kostümiert treffen. Und natürlich Bowling spielen.

Ich finde, es hat viele gute Gründe, warum Lebowski mittlerweile vielleicht sogar der Kultfilm Nummer 1 ist.

Erstens ist er ausgesprochen liebevoll geschrieben, ausgestattet und gefilmt. Auch wenn man ihn öfter sieht, kann man immer noch stimmige Details erkennen und sich daran freuen. Man fühlt in jeder Szene, dass die Coen Brüder und ihr Cast beim Dreh eine entspannte und lustige Zeit miteinander hatten. Produktionstechnisch also ungefähr das Gegenteil von „Apocalypse Now“.

Zweitens hat er einen tollen Soundtrack. Dylan, Costello, Henry Mancini, die Stones, Nina Simone oder die Gypsy Kings, alles was fein ist, kann in diesem Film gehört werden. Ich kaufe öfter mal die Soundtracks von Filmen, aber das ist oft enttäuschend. Nicht bei Lebowski.

Und auch der Filmsound ist genial. Das wird oft übersehen. Jede der Figuren hat ihr musikalisches Thema. Und die spielen oft im Hintergrund genau auf die Weise miteinander, wie die Figuren auf der Leinwand. Wäre einen Oskar wert.

Dann natürlich das hochintelligente Drehbuch. Lebowski ist gleichzeitig eine Parodie und eine Hommage an die klassischen Film-Noir-Filme. Und Jeff Bridges das genaue Gegenteil von Humphrey Bogart. Ein Anti-Detektiv.

Darum ist der Film so episodenhaft inszeniert wie ein Film Noir. Darum ist Lebowski in jeder Szene zu sehen, auch wenn es nur durch’s Fenster ist. Und darum ist auch die Handlung im Prinzip völlig egal. Wie in den völlig undurchsichtigen Raymond-Chandler-Romanen halt auch. Ich habe den Film schon einige Male gesehen, aber ich könnte nicht auf Anhieb sagen, was jetzt wirklich am Ende mit dem Lösegeld geschehen ist.

Eine wirkliche Besonderheit an Lebowski aber sind die Figuren, denen man hier begegnet. Da ist nicht nur der vielleicht faulste Mensch der Welt, Lebowski selber. Jemand, der eben genau das Gegenteil eines Achievers ist. Eines Erfolgstyps. Und das ist natürlich die Lebensrolle für Jeff Bridges. Der, um das zu illustrieren, in diesem Film einfach seine Klamotten von zu Hause trägt und nicht irgend etwas aus einem Kostümfundus.

Dann ist da ist sein bester Freund Walter Sobchak. Quasi genau das Gegenteil zu Lebowski. Statt entspannt wie der Dude ist Walter ständig unter Druck. Fuchtelt mit einer Pistole herum. Ist von allem genervt und droht zu jedem Zeitpunkt zu explodieren. Dann ist er auch noch ein rechter Republikaner und baut wirklich nur in einer Tour Mist. Gespielt wird er von John Goodman. Der einmal sagte, „Walter war die eine Rolle meines Lebens, die man nicht vergessen wird.“

Der dritte im Bunde ist Donny, gespielt von Steve Buschemi. Der ist naiv und gutartig und für das Bowling-Team sehr wichtig. Gelegentlich unterbricht er Walter bei seinen unerträglichen Tiraden und wird dann immer mit „Shut the fuck up, Donny“ stumm gestellt. Steve Buschemi spielt das auch fabelhaft. Man kann in den Dialogszenen der Drei viel Spaß haben, wenn man nur seinem Gesichtsausdruck folgt, der jeden Satz wunderschön bebildert.

Aber auch alle anderen Figuren sind fabelhaft. Ich zähle das hier gar nicht weiter auf, aber bei Lebowski hat das Casting wirklich perfekt geklappt und jede der bizarren Figuren ist fabelhaft besetzt. Denn es braucht echte Schauspielkunst, diese Absurditäten glaubhaft zu verkaufen. Sonst wäre der Film einfach nur eine Klamotte. Das Schöne aber ist, das wir diesen Schauspielern auch noch den dadaistischsten Unsinn abkaufen.

„The Big Lebowski“ ist in meinen Augen nicht weniger als eine wunderschöne Parabel auf das Leben hier und heute. Nicht weniger. Das ist hoch gepokert, ich weiß.

Ähnlich wie der Dude sind wir dem Lauf der Dinge irgendwie ausgeliefert und werden von komplexen Netzen umgeben, die wir nicht verstehen können.

Alle Themen unserer Gesellschaft finden hier Platz. Lebowski handelt von Geld, Gier, Ehrgeiz, Egoismus, krankhaftem Konkurrenzdenken, Verängstigung, Eitelkeit, Wut & Aggression, Sex, Charakterlosigkeit und natürlich um einen Teppich

Für jedes dieser Themen gibt es eine Figur, die dafür maßgeschneidert ist. Lebowski wäre dann der Teppich. Hmm, den Satz muss ich mir vielleicht noch einmal überlegen…

Dieser Film inszeniert das Absurde unserer Gesellschaft. Den Irrsinn, den wir veranstalten, indem wir versuchen einen Platz zu finden in dieser bizarren kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Es braucht nur einen kleinen Ruck, in diesem Film eben eine misslungene Teppichreinigung, und das ganze, schöne Arrangement rutscht ab ins Irre.

Und dann erst wird der ganze Wahnsinn sichtbar, der sich in unserem Alltag abspielt. Und den wir aus Konformismus und Anpassung einfach dulden. Im Scheitern wird die Konstruktion hinter der schönen Fassade sichtbar.

Und deswegen stehen alle Figuren in Lebowski ständig unter Druck. Bis auf eine. Bis auf den Titelhelden. Der genießt das Ganze sogar irgendwie. Eben der Dude. Der small Lebowski. Die Figur von Jeff Bridges. Die läßt sich einfach von Szene zu Szene tragen. Ohne wirklich etwas erreichen zu wollen. Der Dude schwimmt im Fluss der Handlung mit wie ein Fisch.

Denn eigentlich gibt es für ihn sowieso nicht zu gewinnen. Weil er nichts gewinnen will. Der Dude ist mit den kleinen Freuden des Alltags komplett zufrieden. Mal ein kleiner Joint, eine heiße Badewanne, einen White Russian und das Bowlingspiel mit den Freunden. Das reicht ihm völlig.

Jeffrey „The Dude“ Lebowski ist, ganz klar, ein Antiheld. Aber für mich noch ein bisschen mehr. Ein Prophet. Ein Buddha der Moderne. Der Gegenentwurf zum Erfolgstypen. Ein erleuchtetes Wesen. Erleuchteter auf jeden Fall als alle Zenmeister, mit denen ich seit 1987 meditiert habe auf jeden Fall.

Puh, genug des Lobes. Tut mir leid, ich habe mich etwas gehen lassen.

Als letzten Grund möchte ich nur anmerken, dass der Film wirklich komisch ist. Urkomisch.
Aber über Humor kann man ja bekanntlich streiten, um Fips Asmussen zu zitieren.


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 June 16, 2016  13m