Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0472: Haeckels Fälschung


Die Wissenschaft ist schön, die wissenschaftliche Methode hat uns den technologischen Sprung ins Informationszeitalter gewährleistet. Wären da nur nicht diese Wissenschaftler! Denn manchmal schummeln die ein bisschen. So wie Ernst Haeckel, der sich die Belege für seine „Biogenetische Grundregel“ selbst geschaffen hat.

Download der Episode hier.
Opener: „Sissi Perlinger “Embryo Song““ von perlingersissi
Closer: „The Big Bang Theory – Evolution versus Creationism“ kubush
Musik: „Darwin_converted“ von CHRAZ / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Ach, was für ein weites Feld Wissenschaftlern noch vor zweihundert Jahren offen lag. Das wäre dann 1816. Da war die Vorstellung von Lieschen Normalotto noch hauptsächlich von der Bibel geprägt. Von zwei- bis dreitausend Jahre alten Mythen und Legenden.

Doch dann passierten mehrere Erdbeben für dieses Weltbild. Und eines der größten war natürlich die Evolutionstheorie. Man kann sich das heute nicht mehr so richtig vorstellen, aber Charles Darwin erschütterte die westliche Zivilisation zutiefst. Vor allem die kirchliche Vormacht auf eine Erklärung der Welt.

Die Evolutionstheorie besagt, dass aus den primitivsten Einzellern im Laufe der Zeit durch Anpassung und Selektion so neurotische Lebewesen entstehen können wie Donald Trump. Oder Menschen überhaupt. Kein liebender Schöpfergott hat uns aus Lehm geformt und Odem eingehaucht, sondern bestimmte Gesetzmäßigkeiten in der Natur.

Eine Theorie braucht natürlich auch Belege. Wie kann man das denn belegen, dass einst aus simplen Lanzettwürmern über die Jahrmillionen Säugetiere entstanden? Wenn man sich schon mit der Kirche anlegt, dann sollte man ja auch irgendetwas in der Hand haben.

Und tatsächlich waren ja die Finken auf den einsamen Galapagos-Inseln erst einmal eine dünne Ausgangsbasis. Wie schön also für alle Anhänger der Evolutionstheorie, dass einem Professor aus Jena da etwas Interessantes auffiel. Sein Name war Ernst Haeckel und er sollte zum prominentesten Vertreter Darwins in Deutschland werden.

Karl Ernst von Baer hatte die Beobachtung gemacht, dass es zwischen den Embryonen von Wirbeltieren mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gab. Dass sich Embryonen also ähnlich sehen. Irgendwie halt wie Shrimps. Und erst mit der Zeit differenzieren sich dann die verschiedenen Spezies aus.

Haeckel konnte das erklären. Indem er die biogenetische Grundregel erfand. Die besagt in wissenschaftlich ausgedrückt, die Ontogenese rekapituliert die Phylogenese. In deutsch: In der Entwicklung des individuellen Embryos spiegelt sich die gesamte Evolutionsgeschichte. Wenn man sich Embryonen anschaut, sieht man, wie sich aus dem Wurm ein Fisch, aus dem Fisch ein Schwein, aus dem Schwein ein Affe und aus dem Affen ein Mensch entwickelt. Einfach gesagt.

So habe ich das auch brav in der Schule gelernt. Und zwar anhand von Illustrationen, die Haeckel selber angefertigt hatte. Ihr kennt diese Bilder sicher alle, wenn ihr sie seht. Denn so haben das Schulbücher noch bis vor kurzem dargestellt. Zum Beispiel „Natura“, Biologie für Gymnasien, Band 2 vom Ernst Klett Verlag aus dem Jahre 2006. Oder „Biologie Oberstufe“ vom Cornelsen Verlag aus dem Jahre 2001. Oder „Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe“ des Schroedel Verlags aus dem Jahre 1998.

Denn Haeckels Buch „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ aus dem Jahre 1869 war ein großer Erfolg. Und mit diesem Buch Ernst Haeckel der Evolutionsforscher Nummer Eins in Deutschland. Eine Größe. Charles Darwin selber schreibt im Vorwort seines Werkes „Von der Abstammung des Menschen“: „Wäre die „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ erschienen, ehe meine Arbeit niedergeschrieben war, würde ich sie vermutlich nie zu Ende geführt haben.“

Ein Ritterschlag vom Pionier der Evolutionstheorie.

Haeckel war mit einem Male eine Größe, eine Autorität und vielleicht eine Zeitlang der wichtigste Biologe Deutschlands. Er gründete auch den „Deutschen Monistenbund“, eine Vereinigung von Freidenkern. Seine erklärte Absicht war es die Lehren Darwins in alle Bereiche des Lebens zu übertragen. Auch in die Ethik z.B. oder die Politik.

Die Wissenschaft sollte die Rolle der veralteten, rückwärts gewandten Kirchenlehre übernehmen. Denn speziell mit seiner Arbeit, der Beobachtung von Embryonen, ist doch die Evolutionstheorie eindeutig bewiesen. Für jedermann erkennbar! Warum denn sollte ein menschlicher Embryo Kiemen entwickeln, wenn es keine Evolution gibt. Wie passt das zur Schöpfungsgeschichte der Bibel?

Denn das ist auch tatsächlich der Fall, das mit den Kiemen. Genauso wie der menschliche Fetus ein Fell ausbildet. Oder aus dem Ansatz, der bei Reptilien das Kiefergelenk wird bei uns im Innenohr Hammer und Amboss gebaut werden.

Die ganze Theorie von Ernst Haeckel hat nur ein großes Problem. Sein wichtigster Beleg sind die von ihm selber angefertigten Illustrationen. Die, die wir noch vor Jahren in Schulbücher gedruckt haben. Und die einfach Fälschungen sind. Punktum. Wie wenn man behauptet, die Erde sein ein Würfel und das dann mit einer Zeichnung eines Quadrats belegt.

Es ist ein seltenerTreppenwitz der Wissenschaftsgeschichte, dass sich das so lange verbergen ließ. Denn schon zu seinen Lebzeiten geriet Haeckel in die Kritik. Aber seine Position war zu prominent, sein Name zu gewichtig, als dass eine tiefere Diskussion abseits der Wissenschaft stattgefunden hätte.

Dabei war die Fälschung zum Teil hanebüchen. Auf einer Tafel zeigt er z.B die Embryonen von Huhn, Hund und Schildkröte und behauptet im Begleittext frech: „Selbst bei genauester Betrachtung werden sie keine Unterschiede erkennen können.“ Da hat er natürlich auch recht, denn für alle drei Abbildungen wurde der identische Druckstock verwendet!

Auch seine berühmte Übersicht der embryonalen Entwicklung war handgeblasen. Äh, mundgefertigt. Selber gebastelt. Um zum Beispiel zu elaborieren, wie der menschliche Embryo einen Schwanz entwickelt, von dem dann nur das Steißbein bleibt, hat er diesen Protoschwanz einfach dreimal so lang hingezeichnet wie das in der Realität der Fall ist.

1906 schon hat er zögerlich und unter lautem und fiesen Geschimpfe auf seine Kritiker einige dieser Fälschungen zugegeben. Kleinlaut. Das mit dem gleichen Druckstock zum Beispiel, meinte er, das sei keine gute Idee per se gewesen.

Doch das änderte nichts an seiner Stellung oder seinem Erfolg. Oder der Tatsache, dass wir das so noch hundert Jahre in der Schule gelehrt haben. Obwohl es einfach in hohem Maße geschummelt war, wenn man es gutwillig formulieren will.

Es ist unter anderem dem Embryologen Michael Richardson vom Department of Anatomy and Developmental Biology der Universität London zu verdanken, das ganze Ausmaß der Fälschung aufzudecken. Dank Google und dem Internet sammelte er Fotos von Embryonen. Von verschiedensten Wirbeltiere jeweils im Frühstadium, einem mittleren Zwischenstadium und einem Spätstadium.

Der Embryo einer Fledermaus, einer Schlange oder eines Fischs ähneln sich nicht einmal im Frühstadium. Schon im Zwischenstadium sind alle Wirbeltiere deutlich zu unterscheiden und zu erkennen. Nicht nur Richardson, sondern die Masse der modernen Embryologen gehen mittlerweile von einer zielgerechteten Fälschung Haeckels aus. Keine Geschummel, sondern gezielte Täuschung.

Und das ist keine Kleinigkeit. Denn die ganzen kreatonistischen Webseiten suhlen sich in dieser Fälschung. Die Evolutionslehre ist nicht belegt, heißt es da. Ihre Anhänger fälschen und schummeln und lügen. Ein Bärendienst für die Aufklärung, Herr Haeckel.

Immerhin, es ist tröstlich: Im Bauch einer schwangeren Frau entsteht nicht erst ein Fisch, aus dem dann ein Huhn wird, dann ein kleiner Affe und erst am Schluss ein Mensch. Das haben wir nur hundert Jahre geglaubt, weil manchmal in der Wissenschaft die Reputation eines Forschers die Tatsachen einfach überdeckt.

Man kann das ja auch heute gut sehen. Da ist z.B. Stephen Hawking. Der unlängst erst schwarzen Löchern eine weiche Haarpracht verpasst hat. Warnt dieser Prominente vor der Machtübernahme durch die künstliche Intelligenz, dann findet das weltweit Gehör. Wenn aber 100 namenlose Kybernetiker begründen, warum es diese Art von künstlicher Intelligenz so nie geben wird, druckt das kein Medium.

Das wird uns wohl genetisch eingeprägt sein, dass wir Autoritäten brauchen. Passiert wahrscheinlich schon im Mutterbauch, kurz nachdem wir uns zu einer Eidechse entwickelt haben. Ich habe da auch eine Illustration zu vorbereitet…


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 June 27, 2016  15m