Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0473: Freiwirtschaft


Zu den vielen Fächern, die ich in meiner jugendlichen Dummheit, während der Schulzeit ignoriert habe, zählt auch die Wirtschaftslehre. Die aber in einer kapitalistischen Welt bessere Erklärungsmodelle produziert als die Politologie. Darum heute eine sehr simple Erklärung zu unserem Zinssystem.

Download der Episode hier.
Opener: „The Bank Put Lenny In Charge (The Simpsons)“ von ThingsICantFindOtherwise
Closer: „George carlin Bankers“ von lucklyclover58
Musik: „Money“ von Lobo / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Jetzt, wo die Briten sich selber mit ihrem Austrittswunsch überrascht haben, knirscht es wieder an den Börsen. Und wie bei jeder Krise machen alle Staaten das Gleiche. Was sie immer machen. Die Notenbanken kaufen private und staatliche Wertpapiere. Das klingt gut, aber man könnte genauso sagen: Sie drucken Geld.

Das Konzept dabei ist so ähnlich wie bei Baby Schimmerlos und dem Kleberfabrikanten Heinrich Haffenloher aus der Fernsehserie „Kir Royal“. „Ich schiebe et Dir von hinten und von vorne rein, Schimmerlos. Ich scheiß Dich so zu mit meinem Geld, dass Du keine ruhige Minute mehr hast!“

So das Prinzip. Wenn wir alle nicht mehr wissen wohin mit dem Geld – Zinsen bringt es ja nicht mehr – dann gehen wir halt shoppen. Und wenn wir shoppen steigt das Wirtschaftswachstum. Und es kommt zur ersehnten Inflation. Und dann steigen auch wieder die Zinsen.

So die Theorie. Die aber nicht so richtig funktioniert bisher. Und das mit dem Geld drucken lässt sich ja auch nicht unbegrenzt machen. Das unsere Wirtschaft nicht mehr so funktioniert wie noch in den Siebzigern hat nämlich andere Gründe. Man könnte sagen, Europa leidet an seinem Frieden. Daran, dass wir so erfolgreich waren.

Kurz gesagt: Je länger so eine kapitalistische Wirtschaft erfolgreich läuft, desto mehr Güter werden angehäuft, desto mehr Sachkapital gebildet. Und desto uninteressanter wird es, zu investieren. In allen Wirtschaften gilt diese Regel: Der Ertrag von Kapital nimmt stets ab. Nicht nur in der EU, Amerika, Japan, auch in China oder in Schwellenländern.

Denn unsere Gesellschaft basiert auf einem Zinssystem. Das ist uns mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Wir können uns Geld leihen. Und wenn wir es zurückzahlen, dann müssen wir etwas drauflegen. Denn der Verleiher konnte es in der Zeit ja nicht selber benutzen. Und er will auch nicht, dass er weniger zurückkriegt. Also muss die Inflation da auch noch reingerechnet werden.

Ist ja umgekehrt auch so: Wenn wir der Bank unser Geld leihen, dann wollen wir dafür auch einen Zins. Logisch. Daran haben wir uns völlig gewöhnt. Denn Zinsen sind wahrscheinlich so alt wie Eigentum überhaupt. Schon im Codex Hammurabi werden Höchstzinsen festgelegt, damit sich niemand an Wucherei bereichert. Maximal 20% auf Silber und 33% auf Gerste. Steht da.

Aber mittlerweile bereitet der Zins uns als Gesellschaft halt beträchtliche Probleme. Denn wer die Zinsrechnung beherrscht, weiß, dass da eine Exponentialfunktion verborgen ist. Der Zinseszins.

Darum wachsen große Vermögen größer als kleine. Und große Schulden eben auch. Bei 3,5% Zinsen verdoppelt sich eine Million in 20 Jahren. Egal, ob auf dem Konto ein Plus oder ein Minus davorsteht.

Und das Tückische ist ja, dass wir alle Zinsen zahlen müssen. Denn Produzenten und Dienstleister berechnen uns ja ihre Zinskosten weiter. Müssen sie ja, um Geld zu verdienen. Bei Trink- oder Abwasser beträgt das im Durchschnitt schon 15%, bei den Mieten ist es mehr als die Hälfte. Meine Miete zahlt der Vermieterin die Zinsen für den Kredit, den sie aufnahm, als sie das Haus kaufte.

Dieser Zinsdienst ist nicht wenig. Im Durchschnitt gibt jeder Bundesbürger 30% seines Geldes für diese versteckten Zinsen auf. Rechnet man das also zusammen, ergibt sich ein hässliches Bild: Bei 80% aller Deutschen bleibt dann ein Minus. 80% zahlen mehr versteckte Zinsen, als sie für ihr Erspartes bekommen. Lediglich 10% sind es, wo sich das die Waage hält. Und nur die obersten 10%, die Reichen, die profitieren vom Zinsprinzip.

Das ist keine marxistische Greuelpropaganda, das kann euch jeder Wirtschaftler so bestätigen. 60% aller Zinszahlungen in Deutschland landen bei diesen Reichen. Alleine durch unser Zinssystem. Und somit ist es auch einer der Gründe, warum bei uns die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinandergeht.

Und dabei geht es den Staaten im Prinzip genauso wie uns als kleinen Bundesbürger. Manche Staaten haben so große Schuldenberge aufgehäuft, dass das ganze Bruttosozialprodukt nicht reicht, um nur die Zinsen und Zinseszinsen und Zinseszinseszinsen zu zahlen. Wie Griechenland. Aber auch wir in Deutschland zahlen keine Kredite zurück.

Das mit der berühmten Schwarzen Null heißt nur, dass wir nicht noch mehr Schulden machen. Und das können wir nur, weil die Wirtschaft wächst. Im Hintergrund wachsen aber die Schulden, die wir schon haben, trotzdem fleißig weiter. Durch das Zinssystem.

Das somit auch daran schuld hat, wenn die heutige Politik ihren Handlungsspielraum immer weiter verliert. Weil sie nicht mehr die Mittel hat, um zu investieren. Und lieber die Infrastruktur verrotten lässt oder einen Staatsbetrieb nach dem anderen privatisiert.

Aber es gab auch schon immer andere Modelle. Und einige, die besonders fremdartig klingen, werden auf einmal ernsthaft wieder in die Hand genommen.

Zum Beispiel die sogenannte Freiwirtschaft. Das ist ein Konzept, das sich Silvio Gesell ausgedacht hat. Und zwar schon vor hundert Jahren. Denn das oben geschilderte Problem ist eben schon alt. Hauptziel der Freiwirtschaft ist eine sozial gerechte Marktwirtschaft. Und das wird durch Freiland und Freigeld erreicht.

Das ist jetzt harter Tobak und klingt ungewohnt. Freiland bedeutet, dass es überhaupt kein privaten Immobilienbesitz mehr gibt. Alle mieten sich ihr Land von der Gesellschaft. Und Freigeld ist einfach Geld, dass automatisch immer wertloser wird. Um es umlaufzusichern, d.h. in der Wirtschaft zu lassen. Geldhorten macht dann keinen Sinn mehr. Geld wird der Wirtschaft nicht mehr entzogen.

Das ist sträflich einfach erklärt. Aber Silvio Gesell war durchaus Kaufmann und Finanztheoretiker, das hat schon Hand und Fuß, auch wenn es so exotisch klingt. John Maynard Keynes, z.B., der Wirtschaftswissenschaftler, dessen Ideen die Politik noch heute folgt, hat das schon 1936 für ein gesundes Konzept gehalten.

Und auch international gab es schon mehrere Feldexperimente, die zwar von der konventionellen Wirtschaftslehre verlacht wurden, die aber alles in allem sehr positive Ergebnisse zeigten. Googelt mal das „Wunder von Wörgl“, z.B.

Nach Jahrzehnten des Verlachens gibt es in der Wirtschaftslehre mittlerweile viele, auch etablierte Anhänger. Auch in EZB oder bei der FED.

Das ganze Konzept und überhaupt, die Kritik am Zinssystem ist wahrscheinlich aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsforschung geraten, weil es verdächtig nach der antisemitischen Hetz-Propaganda der Nazis und Faschisten klang.

Noch trauen sich aber weder EZB noch die FED, uns mit dem Konzept von negativen Zinsen zu konfrontieren. Aber wahrscheinlich gibt es für ein friedliches Weiterbestehen unser westlichen Kultur kaum Alternativen. Außer eben Geld, dass von selber schlecht wird. Wie bei Silvio Gesell.

Denn bisher haben wir die Probleme mit den Zinsen immer dadurch gelöst, das wir regelmäßig alles zu Klump gehauen haben und das Geld komplett entwertet. Mit neu gemischten Karten und veränderten Besitzverhältnissen ging es dann wieder von vorne los.
Das wünschen wir uns aber alle nicht, oder?

Wenn ihr Tipps zur Geldanlage braucht, kann ich nur raten, in einen aufstrebenden Podcaster zu investieren. Und diese Sendung mit großzügigen Spenden zu unterstützen. Alles dazu auf explikator.de


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 June 28, 2016  14m