Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0476: Sommernachtsmärchen


„Der Sommernachtstraum“ von Shakespeare ist mein Lieblingsstück aus seiner Feder. Und der Held ist natürlich Puck. Und die anderen Wesen der Feenwelt. Was das alles aber jetzt mit Autofahren und Trampen zu tun hat, erklärt das heutige Hörspiel.

Download der Episode hier.
Backgroundsound: „SFX – SOUND EFFECT: DRIVING IN CAR INTERIOR – AUTOFAHREN LIVE (von innen)“ von Sound Effects HD Indie Studios / CC BY-SA 3.0
Opener: „Peter Pan – I Do Believe In Fairies“ von Eve Pan
Closer: „(FNAF)Three Wishes“ von shgurr
Musik: „King of Fairies (2008)“ HILLARIOUS / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Sommer 2016. Die Autobahn dampft nach dem heftigen Schauer. Es ist schwül, der Tag dämmert weg. Handelsvertreter Hans Kinkel dachte sich gerade heute: „Kuckma! Ein Tramper! Ich dachte, die sind ausgestorben!“ Weswegen er die durchnässte, leicht heruntergekommene Gestalt mit den verfilzten Haaren großzügig in seinen BMW gelassen hat.

H: Na, komm rein! Das war ja ein ganz schöner Wolkenbruch! Stehst Du schon lange da?
F: Seit halb zwei. Trampen ist nicht mehr so einfach wie in den Siebzigern.
H: Das stimmt. Da waren überall Tramper. Aber woher willst Du das wissen? Du bist doch höchstens 16 oder 17 Jahre.
F: Oh, ich bin viel älter als ich aussehe.
H: Ja, aber keine 50 oder 60.
F: Nein. Nicht 50. Und nicht 60. Sagen wir einfach: Aus Erzählungen.
H: Ja, das waren coole Zeiten. 78 war’s, da bin ich mit meiner Freundin nach Griechenland und zurück getrampt. Unsere Eltern dachten, wir fahren mit Magic Bus, aber die Kohle haben wir uns gespart und haben in Griechenland gelebt wie die Götter. Wir waren auch nicht älter als Du. Damals ging das.
F: Ja, die guten alten Zeiten.

(Schweigen)

H: Ach, hab’ ich ja ganz vergessen: Wo willst Du denn heute noch hin?
F: Nach Gülpe.
H: Wohin? Gülle?
F: Nein. Gülpe. Bei Havelaue.
H: Kenn’ ich auch nicht.
F: Bei Brandenburg?
H: In Brandenburg, meinst Du?
F: Bei Berlin? Kennen Sie Berlin?
H: Haha. Ja, das hab’ ich schon einmal gehört! Heute ist Dein Glückstag, Kleiner! Ich fahre nämlich nach Potsdam!
F: (matt) Hurra! Und würden Sie mich mitnehmen?
H: Na klar! Kein Problem! Ich fahre und Du unterhältst Dich mit mir, damit ich nicht einschlafe.
F: O.k. Deal!

(Schweigen)

H: Du weißt, wie das geht. Dieses „Unterhalten“? Oder
F: Wird stark überschätzt. Aber ich muss mich ja an den Deal halten.
H: Woher kommst Du denn?
F: Äh. Von einem Einsatz in Frankfurt.
H: Einsatz? Wo denn das?
F: Bei einer… äh… Messe.
H: Echt? Welcher denn?
F: Der äh… äh… ach, die sind doch alle gleich, oder?
H: Das kann man nicht behaupten. Was wurde denn da verkauft.
F: Äh… Kosmetikartikel! Genau! Es war eine Kosmetikmesse!
H: Die Cosmetica! Klar. Aber die ist doch schon seit 10 Tagen vorbei.
F: Ich äh… ich habe beim Abbauen geholfen.
H: (skeptisch) Verstehe. Hmm…

(Schweigen)

F: Was denn?
H: Ich habe irgendwie den Eindruck, dass Du mich anflunkerst!
F: Echt? Wieso?
H: Keine Ahnung. Abbauen dauert immer nur zwei Tage. Auf dem Gelände steht jetzt schon die nächste Messe. Die funds excellence.
F: Da hab ich beim Aufbauen geholfen!
H: Ha! Hab’ ich Dich! Das ist ein Kongress der Vermögensverwalter. Da muss man nichts Aufbauen!

F: O.k., o..k.! Ich habe gelogen. Ich musste einem Kind schöne Träume bescheren. Denn ich bin ein Fee.
H: (verblüfft) Was? Wie? Ein Fee? (lacht) Schon gut, veräppel’ mich nur!
F: Das ist die ganze Wahrheit. Ich bin ein Fee. Punkt. Aus. Äpfel. Amen.
H: Das behauptest Du im Ernst? Feen sind aus dem Märchen! Frei erfunden!
F: Schau’ ich erfunden aus?
H: Und Feen sind immer Frauen!
F: Im Ernst? Das glaubst Du? Woher kommen Deiner Meinung denn dann die kleinen Feen? Jungfernzeugung? Klonen? Oder baut man Feen auf Äckern an? Deiner Meinung…

H: Ich kenne nur weibliche Feen.
F: Ich wette, Du kennst überhaupt keinen Fee.
H: Doch, das ist die Fee Amaryllis…
F: Das ist Deine Quellenlage? Der Räuber Hotzenplotz? Glaubst Du auch an Zauberer? Wie Petrosililus Zwackelmann?
H: Nein, Quatsch! Aber ich glaube auch nicht an Feen!
F: Auch, wenn ich hier sitze und eben nicht Zauberer Zwackelmann?
H: Und Tinkerbell! Tinkerbell ist auch eine Fee! Auch eine Frau. Oder ein Mädchen.
F: Genau. Und die kann fliegen, verstraut „Feenstaub“ und passt in meine Laptoptasche.
H: Kannst Du nicht fliegen?
F: Nein. Sonst würde ich wohl kaum bei dem Wetter an der Autobahn rumstehen. Im Regen. Und mich mit einem Menschen unterhalten.
H: Und dann die gute Fee bei Pinocchio!
F: Ja. Und vergiß’ nicht die Feen bei Dornröschen. Mann, das sind alles Märchengeschichten! Und ich bin echt und sitze neben Dir!
H: O.k. Ich soll also glauben, dass es Feen gibt. Gibt’s dann auch Riesen? Oder Elfen? Oder Zwerge?
F: Klar gibt’s die. Ich persönlich z.B. habe überhaupt nichts gegen Elfen. Einige meiner besten Freunde sind…

H: Moment, Moment! Wir leben hier in diesem dicht bevölkerten Land. Und da gibt’s Riesen und das ganze andere Märchenzeug. Wo lebt ihr denn?
F: Du willst, dass ich Dir verrate, wo das Reich der Fee ist?
H: Na ja, ungefähr halt.
F: Du weißt, wenn Du das nur einmal betrittst, kannst Du nie mehr zurück kommen?
H: Ich habe nicht vor, es zu betreten.
F: Versprochen? Ich könnte sonst echt Ärger kriegen!
H: Großes Indianerehrenwort!
F: O.k. Sagen wir es so: Das Reich der Fee liegt bei Gülpe.
H: Im Havelland? Aber da lebt doch kein Mensch.
F: Du sagst es.

(Schweigen)

H: Ich weiß nicht. Ich glaube Dir immer noch kein Wort. Du verarscht mich doch. Irgend so ein seltsamer Scherz von einem Teenager.
F: Ich bin kein Teenager. Ich bin 1260 Jahre alt.
H: Du bist im achten Jahrhundert geboren?
F: So ist es.
H: Na, dann hast Du Dich aber gut gehalten!
F: Fee altern nicht. Damals war das Reich der Fee übrigens in der Bretagne. Und nicht in Gülpe.
H: So so.

(Schweigen)

H: Weißt Du was? Ich glaube Dir, wenn Du mir das beweist! Erfülle mir doch drei Wünsche!
F: Nein, das mache ich nicht.
H: O.k. Dann halt einen Wunsch!
F: Das mach’ ich auch nicht.
H: Warum denn? Ich wünsche mir auch nicht noch mehr Wünsche…
F: Ich erfülle keine Wünsche. Ich bin nicht Bibi Blocksberg. Oder Gandalf. Oder Dumbledore. Ich kann keine Wünsche erfüllen.
H: Was machst Du dann?
F: Ich weiß alles. Ich kann Fragen beantworten. Alle Fragen beantworten.
H: Das ist aber enttäuschend.
F: Weißt Du ‘was. Lass’ mich doch bitte hier ‘raus. Das ganze Reden macht mich fertig.
H: O.k., o.k. Schade. War eigentlich ganz interessant, das Gespräch. Und aus irgendeinem Grund habe ich beinahe schon geglaubt, dass Du eine Fee bist.
F: Ein Fee.
H: Genau. Also, hier. An diesem Parkplatz?
F: Pass’ auf, Hans Kinkel…
H: Hey, woher kennst Du meinem Namen?
F: Weil ich ein Fee bin und alles weiß. Darum kann ich auch Namensschilder auf Jacketts lesen.
H: He? Ach so!
F: Als Dank für Deine gute Tat, einem Fee zu helfen, beantworte ich Dir drei Fragen.
H: Ich darf Dir irgendwelche Fragen stellen?
F: Ja, genau.
H: Und die sind dann hundertprozentig richtig?
F: Hundertprozentig. Eine Frage bleibt Dir noch.
H: Was? Wieso? Willst Du mich verarschen?
F: Ja, will ich. Das war die dritte. Aber denk’ Dir nichts: Läuft immer so! Leb’ wohl, Hans Kinkel!

Nachdem die Autotür ins Schloß gefallen ist, wird es sehr ruhig im Auto. Ein Tropfen fällt vom völlig durchnässten Beifahrersitz auf die Fußmatte. Man kann das hören.


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 July 1, 2016  13m