Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0478: Generation What


700.000 junge Europäer haben sich an der Umfrage „Generation What“ beteiligt. Doch leider ist das Ergebnis wissenschaftlich gesehen wertlos. Es geht nur um den Hype. Und um den Wunsch, die 18- bis 34-Jährigen mögen doch bitte einmal wieder den Fernseher anmachen.

Download der Episode hier.
Opener: „Louis C K Generation of Spoiled Idiots“ von ENTAIRWORLD
Closer: „Millennials Don’t Exist! Adam Conover at Deep Shift“ von Adam Conover
Musik: „Sense in Working“ von Thomas Allan / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Ich bin ein Baby-Boomer. Gerade noch ein Baby-Boomer. Als Jahrgang 1964 bin ich gerade so an der Grenze. Hätte die Schwangerschaft überraschenderweise 14 Monate länger gedauert, dann wäre ich Teil der Generation X. Und damit ein grundlegend anderer Mensch geworden. Die Generation X gilt dann bis einschließlich 31.12.1980, dann kommt die sagenumwobene Generation Y.

Um die sich meine Generation große Sorgen macht. In Amerika nennt man die die Millenials, und dort macht man sich gleich noch größere Sorgen. Diese Millennials, diese Generation der Digital Natives, die sind so faul und narzisstisch. Glotzen immer nur in ihre Handys und wollen in der Welt nichts erreichen. Die haben einfach Null Bock auf Kapitalismus.

Ach, halt ‘mal. Die Null-Bock-Generation, das waren doch wir. Die Punker, die Ökos, die Friedensbewegten, die Gesellschaftsverweigerer. Dichtete auf jeden Fall der Stern damals, als er unseren Eltern in einer langen Bilderstrecke ihre eigenen Kinder erklärte.

Tja, aber dann ließ sich meine Generation irgendwie den Neoliberalismus verkaufen. Und Privatfernsehen, bezahlbare Flüge in alle Welt, Karriere, Kinder und Doppelhaushälften. Statt die Gesellschaft zu ändern und die Welt zu retten, haben wir alles noch viel kaputter gemacht. (weinerlich) Aber irgendwo muss doch die Rente herkommen!

Zurück zu den bösen Millenials, der Generation Y, die in einer Reihe von Artikeln, Fernsehsendungen und Blogs auf einmal als „Generation What“ erscheint. Das kommt von einer groß angelegten Online-Umfrage, die gerade in ganz Europa stattfindet. In Deutschland unter der Federführung des ZDF und des Bayerischen Rundfunks.

Da gibt’s im Internet einen multimedial aufbereiteten Fragebogen. Gar lieblich anzuschauen. Die 18-34 Jährigen sind dazu aufgefordert, ihre Meinung abzugeben. Und zwar zu so drolligen Themenfeldern wie z.B. „Abschluss oder Loser“, „Chillen oder Nicht-Chillen“, „OK mit Mama und Papa?“ oder „Schlange stehen vor’m Amt“. Respekt, ihr Marketinfuzzis. Es ist herrlich, wie zielgruppengerecht das gedichtet ist. (geflüstert) Schon klar, die Dreißigjährigen sind ein bisschen debil, denen muss man mit Jugendslang kommen.

Das eigentlich Erschreckende aber ist, dass das jetzt schon über 700.000 junge Menschen getan haben. Und das ist natürlich eine Zahl, wo Statistiker und Soziologen schon mal schweißnasse Hände bekommen. Das ist die allergrößte Jugendumfrage aller Zeiten, freut sich auch das ZDF.

Und was sind die erschütternden Ergebnisse? Wie sind unsere Jungen so drauf? Gibt es noch eine Hoffnung für das christliche Abendland? Oder werfen die Millennials alles, alles über Bord?

Schauen wir uns also ein paar Ergebnisse an. Wählen wir doch einmal „Die Sache mit dem Geld“. 90% der deutschen Jungen denkt, es gibt zu viele Arme. Also nicht wie in Gliedmaßen, sondern Kohlearme halt. 71% denkt, es gäbe zu viele Reiche. 86% denken, die Ungleichheit nimmt zu und 89% glauben, dass Geld in unserer Gesellschaft ein zu große Rolle spielt.

Brav, brav. Dann wechseln wir die Kategorie zu „Alle korrupt“. 79% sind der Meinung, die Politik hätte durchaus noch Macht. 90% denken, dass unser Finanzsystem die Welt bestimmt. 60% können sich nicht vorstellen, ohne aktuelle News und Infos glücklich zu sein. 58% sind NICHT der Meinung, es gäbe zu viele Beamte.

Das ist ja alles enttäuschend langweilig und unüberraschend. Die Befragten trauen der Polizei, der Politik und den Medien mehrheitlich nicht mehr über den Weg. Aber dafür der Justiz. Das steht da so einfach hingemalt neben ach so dringenden Informationen, dass 63% sich keinen gleichgeschlechtlichen Sex vorstellen können und nur 34% jemals ein Sexspielzeug benutzt haben. Dafür hatte fast noch niemand mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig. Wer’s glaubt, wird selig…

Die angebliche Generation What, kann sich mehrheitlich ganz gut vorstellen ohne Autos, Kinder, Fernsehen oder den lieben Gott glücklich zu sein. Aber 53% wären unglücklich, wenn sie vom Internet abgeschnitten wären. Auch das ist nicht wirklich überraschend, finde ich. Zwanzigjährige, die vom Eigenheim träumen und der Samstag-Abend-Show im Fernsehen und sich freuen am Sonntag mit ihren drei Kindern in die Messe zu dackeln, DA müsste man sich wirklich Sorgen machen.

Es ist ja auch schön, dass 74% Männer doof finden, die Frauen hinterher pfeifen und dass über die Hälfte weder den String-Tanga noch die Calvin-Klein-Boxer über dem Hosenrand sehen wollen. Aber wen interessiert’s? Welche Relevanz hat diese allergrößte Jugendbefragung aller Zeiten?

Gar keine, wenn ihr mich fragt. Das dürfen ruhig schon 700.000 Europäer beantwortet haben, aber wissenschaftlich gesehen ist das alles für die Katz. Klar werden sich da einige Bachelor- und Masterarbeiten daraus basteln lassen, aber die Macher haben nicht wirklich ein Interesse an der Soziologie.

Der Fragebogen lässt sich nur am Rechner richtig ausfüllen, die Begleitvideos funktionieren auf meinem iPhone nicht einmal. Die Fragen sind nicht sachlich gestellt – ich meine „Alle korrupt?“ – als Fragekategorie? Und zu guter Letzt kann da einfach jeder mitmachen. Ich weiß zumindest von einem Babyboomer, der die Umfrage – natürlich nur zu Recherchezwecken – mitgemacht hat.

Wer will, loggt sich als 20jährige Slowakin ein, beantwortet ein paar Fragen, drückt dann den Reload-Button im Browser und kann dann als 30jähriger Brite weiter klicken, wie er nur lustig ist. Und so weiter und so weiter und so weiter…

Das macht den Betreibern aber auch nichts, denn das ernsthafte Aussagen über die jungen Menschen in Europa gefunden werden, das ist denen herzlich wurst. Macher dieser Aktion sind nämlich zahlreiche europäische Fernsehsender. Die EBU, um ganz genau zu sein. Die European Broadcasting Union. Der wir auch den European Song Contest verdanken.

Die haben das Format allen Mitgliedern angeboten und viele sind aufgesprungen. Auf diese Art kommt man leicht zu Material. Und kostenlos. Und, darum geht es: Das Fernsehen hat mit einer Generation nämlich echte Problem. Nämlich genau mit der befragten Generation. Der ist das Programm von ZDF und dem Bayerischen Rundfunk so etwas von egal, dass das die Sender mit tiefer Traurigkeit erfüllt.

Alleine das ZDF hat aus „Generation What“ schon vier Halbstünder gebastelt, die auch bei YouTube prima laufen. Mit den zahlreichen, handausgewählten Interviews versucht man so das Bild einer Generation zu zeichnen. Oder tut so. Die Umfrage immer im Hintergrund.

Und jetzt hofft man in den Redaktionen, dass diese Aktion eben diese Generation so interessiert, dass sie auch einmal wieder das ZDF einschalten. Wenn halt gerade nicht Musikantenstadl läuft…

Die ganze Generationenforschung, so wie sie sich in den Medien spiegelt, ist nämlich sowieso von vorne bis hinten ein einziger Hype. Es gibt eine ganze Berufsgruppe in Deutschland, die von diesen Thesen und Behauptungen lebt. Matthias Horx oder Reinhard Mohr oder Claus Leggewie, um nur die nervigsten zu nennen. Lauter alte Männer, die seit dreißig Jahren immer wieder neue Generationen aufspüren und neue Trends und neue Bevölkerungsgruppen.

Und deren Vorhersagen und Prognosen praktisch nie stimmen. Das ist genau so wie bei Hellsehern: Wenn man ganz, ganz viel behauptet, dann trifft man schon auch einmal etwas. Und an den ganzen alten Mist, der nicht gestimmt hat, für den interessiert sich ja, Gott sei Dank, keiner.

Liebe Eltern, wenn ihr wissen wollt, wie eure Kinder und deren Freunde so empfinden und was sie von der Zukunft so denken, dann fragt sie halt einfach! Aber glaubt nicht an die populistische Mär von der Generation X, Y oder Z.

Was mich auf etwas Anderes bringt: Jetzt gerade sitzt ja die sogenannte Generation Z in den Schulen. Kein Witz. Hat sich eigentlich schon einmal wer überlegt, wie das dann 2025 weitergeht? Fangen wir dann von vorne an? Generation A? Generation 1? Generation Alpha? The Next Generation?


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 July 5, 2016  14m