Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0483: Grundeinkommen


Menschen brauchen keine Arbeit. Menschen brauchen eine Beschäftigung. Also ich zumindest. Und noch ein paar Dinge mehr. Und weil das so ist, werden wir früher oder später etwas haben wie ein Grundeinkommen. Aus Gründen.

Download der Episode hier.
Opener: „People work“ von British Council | LearnEnglish Kids
Closer: „The Simpsons – Half-Ass Work Ethic“ von Ulises Rodriguez
Musik: „Work, Work, Work (2016)“ von ALLIE FARRIS / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Das Grundeinkommen taucht in Gesprächen immer häufiger auf. Warum? Wer hat’s erfunden? Die Schweizer. Nein, nicht wirklich. Aber die Volksabstimmung in der Schweiz hat das Ganze doch noch einmal populärer gemacht. Alle 23 Städte waren dagegen und insgesamt 77% der Bevölkerung. Damit haben sich die Schweizer brav an die Empfehlung ihres Bundesrats gehalten. Die Sensation ist aber eigentlich, dass eben 23 Prozent dafür waren. Damit hätte eigentlich niemand gerechnet.

Noch dürfen die Konservativen sich in den Zeitungen austoben. Die Welt zum Beispiel, die da von einer Marxschen Schnapsidee schäumt. Doch mit jedem Monat wird die Liste der Befürworter länger und länger. Da wäre der konservative und berühmte Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, Mark Zuckerberg, die Googles, Barack Obama, die iranische & die finnische Regierung sowie die von Alaska und einige afrikanischer Länder. In 2016 und 2017 werden zahlreiche Feldversuche weltweit unser Datenmaterial verbessern.

Warum denken aber immer mehr Menschen, das mit dem Grundeinkommen wäre eine gute Idee? Weil wir in nicht allzu ferner Zukunft ein Problem haben werden. Uns wird die Arbeit ausgehen. Und das wird ganz schnell gehen.

Fangen wir doch z.B. mit den selbstfahrenden Autos an. Alle entwickeln gerade daran herum, egal ob Apple, Google, Mercedes oder BMW. Oder jede andere Autofirma auf der Welt.

Im ersten Schritt werden wir selbstfahrende LKWs haben, dann Busse, Trams, Bahnen und dann Taxis. Das Verkehrssystem wird sich komplett verändern, private KFZ werden in den Großstädten wahrscheinlich überflüssig. Früher oder später wird es nur noch wenige Berufskraftfahrer geben. Das sind in Deutschland zur Zeit aber 800.000 Menschen.

Aber es geht noch weiter. Der BakeBot-Robot im MIT kann schon per Laserscanner und Stereokameras Gerichte analysieren und nachkochen. Oder nachbacken. In einzelnen McDonalds-Fillialen kann man ja schon per iPad bestellen. Wenn man dann noch per Apple Money bezahlt, dann braucht man eigentlich niemanden mehr in so einem McDonald-Restaurant. Ach was, wenn eine kleine Drohne die Burger schnell vorbeifliegt, braucht man nicht einmal das Restaurant.

Und dann wäre dann ja noch der 3D-Drucker. Das ist mittlerweile noch ein Spielzeug für Nerds und noch recht teuer. Die Handhabung ist unintuitiv und man muss noch selber mitbasteln. Aber, wenn ich einen 3D-Drucker habe und kleine Kinder, warum sollte ich jemals wieder Legosteine kaufen? Oder Schleichtiere? Oder Barbiepuppen? Oder all den anderen Plastikmüll, der Kinderzimmer so füllt?

Bis jetzt drucken wir nämlich Kunststoff, aber das muss nicht immer so bleiben. Wenige Dinge werden nicht mehr ausdruckbar sein, bereits jetzt gibt es einen 3D-Drucker zum Ausdrucken. Klingt wie eine schlechte Geschäftsidee, aber dient der Verbreitung der Technologie. Wenn wir wollen, können wir bald alle eine kleine Fabrik im Haus stehen haben. Ach, und das Haus selber, das wird uns auch jemand ausgedruckt haben. Diesen Drucker gibt es bereits auch schon.

Es gibt wirklich wenige Berufe, die nicht auf Dauer in Gefahr sind, von moderner Technologie abgelöst zu werden. Ich würde keine Ausbildung mehr machen zum Berufskraftfahrer, zum Bibliothekar, zum Fremdenführer, Busfahrer, Müllmann, Lieferfahrer, zum Sekretär, zum Hausmeister oder aber zum Bäcker. Ach, die gibt’s ja schon nicht mehr wirklich…

Die Schätzungen sind sehr verschieden. Die Boston Consulting Group ist am vorsichtigsten. Die sagt, nur ein Viertel aller Jobs werden bis 2025 von Robotern erledigt werden. Am anderen Ende der Skala stehen die Professoren Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der University of Oxford. Die meinen, bis ins Jahr 2033 seien 47% aller Berufe in den USA und Europa automatisiert. Kein Scherz, sondern konkrete Forschung.

Für Deutschland wären das 20 Millionen Arbeitslose. Aber kurze Pause: Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen zu konkret, wir wissen: Zukunftsprognosen stimmen nie. Das alles errechnet sich, indem man davon ausgeht, dass die Entwicklungen, die wir beobachten, sich in die Zukunft fortsetzen.

Nur eine kleine Wirtschaftskrise und alles kann ganz anders kommen. Aber auf der anderen Seite könnte es natürlich auch technologische Durchbrüche geben, von denen wir noch nicht die geringste Ahnung haben. Quantencomputer könnten z.B. schneller Wahrheit werden als gedacht. Denn bis jetzt schaut es in diesem Bereich noch nach einem langen Weg aus. Aber auch hier sind alle fröhlich am Forschen. Microsoft, IBM, Google und Apple können es schon gar nicht mehr erwarten.

Unser gesellschaftlicher Sozialvertrag sieht bis jetzt vor, dass man für Essen arbeiten muss. Oder für Geld, wenn man so will. „Wer nichts arbeitet, soll auch nichts essen“, so die Redensart. Arbeit ist für unser Selbstbewusstsein wirklich wichtig, Erfolg im Beruf der Maßstab für den Erfolg im Leben. Das haben wir alle brav gelernt und verinnerlicht.

Aber mit 20 Millionen errechneten Arbeitslosen wird man das so nicht mehr machen können. Wir können ja schlecht einem von drei Bürgern sagen, dass sie jetzt wertlos sind und von Hartz IV leben müssen. Nicht nur, weil die dann auf schlechte Gedanken kommen könnten. Z.B. soziale Unruhen anzetteln oder gar die AfD wählen, damit wieder alles so toll wird wie früher.

Sondern auch, weil dann das ganze System nicht mehr funktioniert. Wir können auf diese Entwicklungen nur reagieren, wenn wir unsere Vorstellungen im Kopf verändern. Wenn wir neu verhandeln über den Zusammenhang von Arbeit, Einkommen und einer sinnvollen Existenz.

Wir müssen diesen Sozialvertrag neu verhandeln. Es betrifft nicht nur die 40-Stunden-Woche, die Rente, Kinderarbeit, Mindestlohn, die Arbeitslosenversicherung oder auch das Steuersystem. Es betrifft den ganzen Gesellschaftsvertrag und die Art und Weise, wie wir uns vor uns selber rechtfertigen.

Ein Grundeinkommen wird kommen. Oder ein Mindesteinkommen. Und wir sind nicht weit davon entfernt. Schon jetzt verwenden wir 30% des gesamten f***ing Bruttosozialprodukts für soziale Leistungen. Die haben wir bloß unübersichtlich in vielen verschiedenen Töpfen verteilt und haben ihnen viele verschiedene fancy names gegeben.

Und das nimmt jedes Jahr zu. Bei uns, bei unseren Nachbarn, bei allen Industrienationen. Das ist im Kern kein Problem, sondern das sind einfach schon die Auswirkungen der Automatisierung. Denn dieser Prozess läuft ja schon seit Beginn der industriellen Revolution. Jede Fabrik in Manchester 1848 war ein Schritt in dieser Entwicklung, die jetzt nur mithilfe von Computerchips ein paar Schritte weitergeht.

Da können die angeblichen Wirtschaftsfachleute der konservativen Zeitung „Die Welt“ schäumen und schimpfen, wie sie wollen. Das Grundeinkommen wird kommen.

Der Kapitalismus mag ja den Kalten Krieg als System überlebt haben. Vielleicht, weil der real existierende Sozialismus nicht wirklich etwas mit Sozialismus zu tun gehabt hat. Aber durch die Hintertür kommt er schon lange wieder zurück.

Unsere ganze Gesellschaft braucht eine neue Lösung, einen neuen Gesellschaftsvertrag. Im Kern schafft sich der Kapitalismus gerade selber ab. Und merkt es nicht einmal.

Zu beschreiben, wie unsere Gesellschaft dann aussehen wird, das wäre Glaskugelleserei. Die bisherigen Experimente, was das Grundeinkommen betrifft, waren nicht gerade groß angelegt oder gut auswertbar. Hilft halt nicht, wenn man irgendeine kleine Gemeinde inmitten einer kapitalistischen Welt umstellt. Aber in zwei Jahren werden wir schon viel mehr wissen.

Jeremy Rifkin, der schon 1995 von dieser Entwicklung schrieb, malt uns auf jeden Fall das Bild einer neuen Renaissance. Wo Menschen machen können, was sie wirklich machen wollen. Wo die Künste wieder aufleben und das kleine Handwerk. Wo sich Menschen wieder Zeit nehmen können füreinander. Für die Kinder, die Freunde, die Alten und die Partner.

Könnte schon sein. Aber nicht mit Hartz IV und einer überholten Arbeitsmoral.


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 July 12, 2016  13m