Ich bin wirklich nicht gerne zur Schule gegangen. Nicht, weil ich gemobbt worden wäre, sondern, weil viele Fächer sooo langweilig waren! Aber ich bin ja auch nur ein dummer Junge gewesen. Die Jungen heute, die sind deswegen angeblich auch in einer Krise. Mal schauen…
Download der Episode hier.
Opener & Closer: „best thing I can ever be“ von gn77b
Musik: „Boys, Girls, Toys & Words“ von MODERN PITCH / CC BY-SA 3.0
Sie begründet das auch sehr aufwendig und detailliert. Und hat als Mutter von zwei Jungs dabei nicht im Sinne eine Femi-Nazi-Weltregierung auf die Beine zu stellen. Die Entwicklungen, die sie aufzeichnet, gelten dabei erst einmal in hohem Maße für die USA.
Für jeden jungen Mann, der da auf’s College geht, gibt es zwei junge Frauen. Mehr als die Hälfte aller Doktorarbeiten werden von Frauen geschrieben. In 40% aller Partnerschaften verdient bereits die Frau mehr Geld als der Mann. 75% aller Eltern wünschen sich als erstes Kind lieber eine Tochter. In Filmen dürfen auch Frauen mittlerweile gewalttätig sein – „tolle Sache“. Während aber die Väter in fast allen TV-Serien immer die hirnlosen Loser sind. Oder, besonders kurios: Mittlerweile müssen auch junge Männer sich um ihre Körperbehaarung sorgen. Und so weiter und so fort.
Natürlich ist dieser Trend noch nicht in den Chefetagen angekommen. Natürlich werden Frauen noch immer schlechter bezahlt als Männer. Und natürlich sind die Reihenhaussiedlungen um unsere Großstädte herum tagsüber weitgehend ein Lebensraum ohne Männer. Die alten Rollenbilder sind schon noch da.
Aber trotzdem beunruhigt diese Entwicklung auch viele Menschen. Vor allem viele Männer, um genau zu sein. Und es ist auch schon jemand ausgemacht, der die Schuld trägt: Es ist die Lehrerin. Speziell die Grundschullehrerin. Denn die Misere des modernen, verunsicherten Mannes beginnt in der Grundschule, so die These. Oder gar im Kindergarten.
Denn an den Grundschulen lehren fast nur Frauen. Und die können halt mit den Mädchen besser. Die lauten Jungs und ihr Kräftemessen und ihre Zappeligkeit, damit können die nicht umgehen. Die braven Mädchen, die sitzen still da, hören zu und malen immer so schöne Bildchen in ihre Hausaufgaben. Darum kriegen die auch die Fleißbildchen und die besseren Zeugnisse.
Und es lässt sich ja auch beobachten: Mehr als die Hälfte der Schulabbrecher sind Jungs. Schon seit Jahren machen mehr Mädchen als Jungs das Abitur, letztes Jahr stand’s 55 zu 45. Noch 1898 beschlossen Männer, Frauen überhaupt nicht zum Medizinstudium zuzulassen. Mittlerweile sind 65% der Studierenden weiblichen Geschlechts. Und auch schon mehr als 40% der Niedergelassenen.
Und, was einigen selbsternannten Grundschulreformern besonders unangenehm auffällt: Viermal so viele Jungs leiden angeblich an diesem ADHS. Dem Zappelphillip-Syndrom. Dabei wollen die halt nur ‘rumlaufen und müssen immer nur ‘rumsitzen. Alles nur Lügenpsychiatrie!
Die Krise der Jungens und damit die Krise der Männer lässt sich also ganz einfach lösen: Es müssen mehr Männer an den Grundschulen lehren! Dann geht’s den Jungs besser und dann können die auch an die Unis. So einfach ist das.
Aber so einfach ist das nicht. Marcel Helbig von der WZB hat eine Metastudie zu diesem Thema verfasst und dabei Daten von 2,4 Millionen Schülern in 40 Ländern ausgewertet. Und das Ergebnis ist sehr deutlich: Die Jungens werden sowohl von Lehrern als auch von Lehrerinnen durch die Bank schlechter bewertet als die Mädchen. Der Anteil an Frauen bei der Lehrerkonferenz hat keinerlei Einfluss auf die Entscheidung, ob ein Junge auf eine höhere Schule kann oder nicht.
Und, noch besser: Mädchen hatten an den Grundschulen auch schon vor 100 Jahren deutlich die besseren Noten. Sie konnten halt bloß in einer patriarchalischen Welt nichts damit anfangen.
Die Krise der Männer kommt daher, dass wir in unserer Gesellschaft bald keine Berufe mehr „in der Mitte“ haben. In der nahen Zukunft brauchen wir noch immer Menschen, die simple Hilfstätigkeiten ausführen können, die Roboter halt nicht beherrschen. Das ist der „untere“ Teil. Der Mittlere: Handwerker, Facharbeiter, Fließbandarbeiter, LKW-Fahrer, die werden zunehmend automatisiert. Und das spüren wir halt jetzt schon.
Und oben, das sind dann die hochqualifizierten Menschen. Die mit den guten Noten.
Und die brauchen eben die Fähigkeit, konzentriert arbeiten zu können. Wie in der Grundschule geübt. Die müssen denken, kommunizieren und belastbare soziale Netzwerke aufbauen. Das sind die Job-Vorraussetzungen und das wird mittlerweile auch von Führungskräften verlangt. Der Typ Chef, den man als cholerischen Tyrannen empfindet, der hat ausgedient. Diese modernen Fähigkeiten passen wohl mehr zum gegenwärtigen Bild des Frauseins als zum Bild des Mannseins.
Und die Krise der Jungens spiegelt das einfach wieder. Dass wir ein neues Bild von Männlichkeit brauchen, ist in den Pausenhöfen einfach noch nicht angekommen. Sexismus in Film, Fernsehen und Familie scheinen dem Nachwuchs immer noch vorzugaukeln, dass man – als Mann – keine guten Noten braucht.
Dass einem beruflicher Erfolg als Mann einfach zufällt. Dass es einem Mann sogar zusteht. Und so setzen sich die Jungs immer noch gegenseitig unter Druck – peer pressure nennt man das wohl – auf Teufel komm’ raus kein Streber zu sein. Die coolste Sau ist immer noch die, die für die Schule nur das Nötigste macht. Sich gerade so durchschummelt. Und lieber vor irgendeinem Bildschirm seine Freizeit verbringt als mit Hausaufgaben.
Mädchen haben aber, das belegen zahlreiche Genderstudien, durch gute Noten viel geringere Schwierigkeiten sich in ihren Netzwerken, mit ihren Freundinnen, zu integrieren.
Zugegeben. Das klingt stark vereinfachend. Liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass es das natürlich auch ist. Eine grenzwertige Zuspitzung. Aber nachdem diese Entwicklungen nicht nur in Deutschland so stattfinden, sondern sich in vielen, vielen Ländern – auch und gerade Schwellenländern – so beobachten lassen, kann es eigentlich nicht an den Grundschullehrerinnen alleine liegen. In Indien z.B. lassen sich ähnliche Entwicklungen zeigen, obwohl das die Mehrheit der Lehrenden Männer sind.
Die Krise der Männer beruht darauf, dass wir uns noch nicht an die neuen Bedürfnisse angepasst haben. Als Gesellschaft. Und die Krise der Jungens ebenso. Die Rollenbilder, die noch wirken, passen in zunehmender Art und Weise nicht mehr mit den beruflichen Erfordernissen zusammen.
Und das kann man auch nicht auf die Schnelle so ändern. Das sind komplexe Muster, die wir tief verinnerlicht haben. Ich möchte wetten, dass auch auf modernen Schulhöfen die meisten begehrenden Blicke nicht primär auf den Jungen mit den besten Noten fallen, sondern eben immer noch auf die coole Sau.
Aber es ist kein Problem der Männer. Und es trägt auch kein überbordernder Feminismus die Schuld. Es sind nicht die Frauen, die die Männer bei einem Wettrennen abhängen. Weil sie endlich die Welt regieren wollen.
Die Gesellschaft ändert nur unmerklich die Spielregeln. Und wir müssen uns anpassen. Männer und Frauen. Na klar, geht es um Gerechtigkeit. Und wenn die Antwort auf 20.000 Jahre Unterdrückung der Frau nach hundert Jahren Emanzipation 20.000 Unterdrückung des Mannes wären, dann wäre das eine dumme Sache. Aber ich sehe nirgendwo im Diskurs irgend jemanden, der das fordert.
Vielmehr zeigt dieses Phänomen, dass eben auch Jungens und Männer unter dem ganzen sexistischen Scheiß zu leiden haben, der uns immer noch umgibt! Echte Helden brauchen mittlerweile sogar mehr Bizeps als früher und H&M-Unterwäschemodelle müssen sich immer noch rolliger rekeln können.
Und so lange wir DAS nicht ändern, werden wir immer eine Krise haben. Männer und Frauen. Mädchen und Jungs.