Volker hieß er. Er sagte zu mir, in der Grundschule: „Heute in der zweiten Pause!“ Ich war schon damals manchmal zu witzig. In der zweiten Pause dann empfing ich den ersten Faustschlag in den Magen meines Lebens. Mir blieb buchstäblich die Luft weg. Das war das einzige Duell meines Lebens. Über diese seltsame Art, Konflikte aufzulösen, geht es in der heutigen Sendung.
Download der Episode hier.
Opener: „Ehre – In 2 minuten Erklärt .D“ von Igor Gnatz
Closer: „Monty Python – The Black Knight – Tis But A Scratch“ von Dex Shirts
Musik: „he’s honest (2011)“ von HUG THE DRAGON / CC BY-NC-ND 3.0
Wir haben da als einigermaßen moderne Gesellschaft natürlich Probleme. Denn wir wissen auch nicht mehr genau, was Ehre ist. Historisch gesehen würde ich das so definieren: Ehre ist die veraltete Vorstellung, dass die Anerkennung in einer Gruppe der Gesellschaft, gesammelt oder verloren werden kann. Wie Pokemons.
Und zwar in Abhängigkeit vom eigenen Verhalten. Ehre kann auch verliehen werden. Mit Adels-, Ordens- oder akademischen Titeln z.B. Und natürlich kann einem Ehre auch genommen werden. Zum Beispiel durch eine Ohrfeige oder eine Beleidigung.
Und ich glaube, ein bisschen unserer Verunsicherung zu Themen wie Ehrenmorden kommt daher, dass wir kulturgeschichtlich durchaus wissen, was das ist mit der Ehre. In Europa haben sich Männer über Jahrhunderte wegen dieser komischen Ehre duelliert.
Woher diese ritualisierte Form einer waffenbasierten Kommunikation genau kommt, ist ungewiss. Aber der Verdacht steht nahe, dass es mit Gottesurteilen zu tun hat. Die kennen wir mittlerweile am ehesten aus Games of Thrones. Aber das war wirklich im Mittelalter eine gängige Methode Streitigkeiten zu lösen. Schon damals haben sich Gerichte Zeugenaussagen angehört und versucht sich ein Urteil zu bilden. Aber manchmal steht einfach Aussage gegen Aussage.
Und dann hat man das Urteil eben dem lieben Gott überlassen. Dann wurde das eben ausgefochten. Und wie in Games of Thrones konnte man diese Streitigkeit eben auch Profis überlassen. Die für einen die Sache ausduellierten. Allerdings war das historisch gesehen sehr viel seltener so blutig wie in der Fernsehserie von HBO. Schließlich war das ein richtiger Berufsstand und man kannte sich. Ein Sieg bei einem Gottesurteil war auch nicht unbedingt das Ende der Verhandlungen, sondern oft erst der Anfang.
Es ist dieser Mythos von den tapferen Rittern, den waffentragenden Adeligen, die das Duell prägte. Als die Ritter schon längst ausgestorben war, begann, wahrscheinlich in Italien, die Kultur des Duells. Ehre konnte in einem Zweikampf verteidigt werden. Und wieder gewonnen werden.
Von da aus breitete sich diese Zivilisationstechnik aus wie eine Epidemie. Man schätzt, dass in Frankreich in den Jahren zwischen 1598 und 1610 alleine 8000 französischen Adelige ihr Leben in Duellen verloren. Für Deutschland heißt die Schätzung, dass man als Adeliger eine Chance von 1:3 hatte, ohne Duell durch das Edelleben zu kommen.
Denn das Duell war den waffentragenden Ständen vorbehalten. Und das bedeutete lange dem Adel, Offizieren und Studenten. Daher fetzen sich die schlagenden Verbindungen auch heute noch kontrolliert Fleischfetzen bevorzugt aus dem Gesicht.
In Österreich und Preußen war es sogar lange so, dass ein Offizier, sollte er ein Duell ablehnen, seinen Job verlor. Schließlich war er dann unehrenhaft und nicht für den Krieg zu gebrauchen. Könnte auch damit zu tun haben, dass beide Nationen die Vorstellung hatten, dass ausgerechnet inzestuöse Edelmänner besonders gut geeignet wären, Kriege zu führen. Dieser Annahme verdanken wir wahrscheinlich auch ein bisserl den ersten Weltkrieg.
Alles in allem waren Duelle aber weniger tödlich, als wir uns das heute so vorstellen. Mark Twain hat auf seiner Europareise auch Duelle in Paris beobachtet. Er machte die Beobachtung, dass sich die Zuschauer aus Sicherheitsgründen hinter den Duellierenden platzierten. Weil da die Wahrscheinlichkeit, getroffen zu werden, am geringsten war. Aber das ist natürlich Satire.
Ende des 19ten Jahrhunderts hatten Pistolen die Säbel und Degen abgelöst. Aber aus Gründen griff man auf veraltete Vorderlader mit nicht gedrehten Läufen zurück. Die Zielgenauigkeit war damit maximal schlecht. Es war auch nicht unüblich, dass beide Kombattanten rituell extra vorbeischossen. Denn eigentlich gab es keinen Gewinner bei einem Duell. Die Vorstellung war, dass die Ehre wiederhergestellt ist, selbst, wenn man offiziell das Duell verloren hat.
Alleine der Mut, für seine Ehre – oder die der Geliebten, Frau, Familie oder eben des Standes – das Leben auf’s Spiel zu setzen, reichte völlig. Habt ihr toll gemacht, Puschkin, Tolstoi, Heinrich Heine oder Ferdinand Lasalle. Wobei zwei davon bei der Wiederherstellung ihrer Ehre auch starben, nämlich Puschkin und Lasalle. Alle vier Prominente dieser Liste waren übrigens deutlich gegen dieses archaische Ritual der Ehre. Half aber damals eben nichts.
Aber auch wenn es verboten war seit 1871, so duellierten sich Männer munter weiter. Weil auch die Justiz noch lange diesen seltsamen Begriff der Ehre nur zu gut verstand, kam es aber nur äußerst selten zu Urteilen gegen Duellierende. Speziell wenn es nicht zu einem Tod kam.
Das letzte bekannte Duell in Europa ist also wie lange her? Na. 50 Jahre erst. Da war also der Abgeordnete René Ribiere, der in einer Sitzung des französischen Parlaments dauernd mit seinen Zwischenrufen das Procedere unterbrach. Gaullistisches Großmaul.
Was den Fraktionschef der Sozialisten, Gaston Deferre, erboste. Er wählte also die Worte: „Halte den Mund, Du Idiot“, um diesen Störungen Einhalt zu gebieten. Darum forderte der 47-Jährige den elf Jahre älteren Abgeordneten der Gegenseite zu einem Duell auf. Tadaaa! Vielleicht war er nicht so richtig nüchtern bei dieser Tat. Denn eigentlich geht das ja nicht so. Das müssen die Sekundanten machen.
Wurst. Natürlich waren Duelle 1967 auch in Frankreich verboten. Aber das hielt den Konservativen nicht davon ab, „Die Ehre gilt mir mehr als das Gesetz“ zu posaunen. Eigentlich ja nicht eine tolle Sache für einen Abgeordneten.
Den Regeln gerecht kam es also am nächsten Tag zum Showdown im Garten einer Villa in der Nähe von Paris. Der Herausforderer hatte den Degen als Waffe gewählt. Und als Modus der Auseindersetzung „Bis auf’s Blut“. Klingt dramtaisch. Sich bis auf’s Blut streiten, klingt ja grausam. Aber eigentlich bedeutet das, das Gefechte dauert, bis das erste Blut fließt. Wie gesagt, sooo grausam war das Duell nicht.
Ribiere, das Großmaul, hatte aber einen Nachteil. Er konnte überhaupt nicht fechten. Und der offizielle Fechtlehrer des französichen Parlaments – ja, das gab es – war dummerweise gerade in Urlaub. Also fuchtelte er halt einfach wild durch die Luft. Weswegen ihn sein sozialistischer Gegner auch schon bald in den Arm piekste. Ein Tropfen Blut quillt aus der Wunder.
Duell vorbei. Ehre wieder hergestellt. Alle klopfen sich auf die Schulter. Auch der Sekundant von René Ribiere. Der hieß übrigens Jean Marié Le Pen, falls euch der Name etwas sagt.
Zwei Jahre später haben auch wir Deutschen das Duell aus dem Strafgesetzbuch genommen. Da hatten wir noch einen Paragraphen von 1871 mitgenommen. Ein Duell ist jetzt schwere oder leichte Körperverletzung. Oder eben Totschlag.
Und das ist ja auch gut so. Wer braucht schon Ehre? Gesellschaftliche Anerkennung – pfft! Brauch’ ich doch nicht. Ich brauche höchstens… das neueste iPhone. Ein cooles Auto wäre auch nicht schlecht. Und eine Doppelhaushälfte. In einem coolen Vorort. Mit Ausblick auf einen See. Und einen coolen Prominenten als Freund zu haben, vielleicht. Und diese sauteure Nikon-Spiegelreflex. Eigentlich fotografiere ich ja nicht, aber die schaut so geil aus! Und meine Kinder sollten schon studieren. Erfolgreich. Und ein Segelboot wäre nett. Aber gesellschaftliche Anerkennung – hah!