Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0495: Lebensborn


Ende der Siebziger gab es eine Welle vor allem italienischer Filme, die leicht pornographisch und mit einer Portion Sadismus, die Themen Nationalsozialismus und Sex verkuppelte. Eine der Quelle für diese Vorstellung mag der Lebensborn gewesen sein. Lange als Bordell-Organisation für arische SS-Offiziere im Schwange. War aber wieder ‘mal nicht so.

Download der Episode hier.
Closer: „Dylan Moran on Germany“ von Pea Bee
Musik: „Old News“ von Hot Fiction / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Eines der eher vernebelteren Kapitel des Dritten Reiches ist der Verein „Lebensborn“. Hartnäckig halten sich immer noch Gerüchte, dass es sich da um Arierzuchtstationen handelte. Oder aber um Bordelle für SS-Offiziere. Die Autorin Sibylle Lewitscharoff z.B. behauptete noch vor zwei Jahren in ihrer berüchtigten Dresdner Rede, es seien „Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen.“ Zitatende.

Diese Vorurteile gegenüber Lebensborn haben ihre Wurzeln wahrscheinlich noch im Dritten Reich selber. Auch wenn die Organisation nicht im Geheimen operierte, so waren die Umstände für die Bevölkerung eher mysteriös. Aber auch in der Geschichtsschreibung wurde diese Ansicht noch lange geteilt.

Erst in jüngster Zeit wissen wir etwas mehr über den Lebensborn. Und ja, es hat mit der arischen Rasse zu tun. Und ist deswegen auch, wie zu erwarten, im Kopf von Heinrich Himmler entstanden. Nach dem ersten Weltkrieg sanken die Geburtenzahlen in Deutschland erst einmal drastisch. Aus dem ganz einfachen Grund, dass so viele Männer tot auf europäischen Schlachtfeldern herumlagen.

Das beunruhigte den Boss der Schutzstaffel, der SS, aber sehr. Nicht nur, weil dieses Phänomen in anderen europäischen Ländern nicht so stark ausgeprägt war, also beim Feind. Sondern natürlich auch, weil man Nachwuchs für das Militär brauchte. Und da gibt es, so Himmlers wahrscheinlich frei erfundenen Zahlen, in Deutschland noch dazu jedes Jahr 600.000 Abtreibungen. Zwanzig Regimenter toter Babies. So ging’s ja nicht.

Auf seine Veranlassung hin wurde schon 1935 also der Verein Lebensborn gegründet. Zwar eine eigenständige juristische Person, aber doch der SS unterstellt. Chef war Himmler selber. Großzügig mit Kapital ausgestattet, kaufte der Verein in ganz Deutschland Immobilien oder man verwendete gleich geraubte Villen aus ehemals jüdischem Besitz.

Und die wurden ausgebaut zu gynäkologischen Kliniken. Hier sollten Frauen, wenn sie das wollten, in angenehmer Atmosphäre ihre Schwangerschaft verbringen können und auch noch entbinden. Für jede einzelne Schwangere standen dabei mehrere Pflegekräfte zur Verfügung und auch die ärztliche Betreuung war umfassend und hochprofessionell.

Man zielte natürlich auf Frauen mit unehelichen Kindern, die, weitab von ihrem Wohnort, so ihre Schwangerschaft auch verheimlichen konnten, wenn sie das wollten. Tatsächlich waren das sicher auch viele Geliebte von SS-Granden, die so ein Problem mit ihrem Lebenswandel verbergen konnten.

Aber Lebensborn war trotzdem kein SS-Bordell. Vor allem in angelsächsischen Medien kursiert diese Vorstellung noch immer. Es kursiert hier die Geschichte einer Hildegard Trutz, die extra in ein Lebensborn-Haus ging, um sich von arischen SS-Offiziern schwängern zu lassen. Sie hätte dabei die Auswahl aus mehreren Begattern gehabt. Und drei Mal die Woche für den Führer Sex gehabt.

Das ist eben eine typische Geschichte, wie sie schon im Dritten Reich kursierte. Denn obwohl der Lebensborn kein Geheimbund war, so sprach man natürlich nicht groß darüber. Denn für die meisten Deutschen war die Ehe noch etwas Wichtiges und die ganze Geschichte eben anrüchig.

Es wurde natürlich auch peinlich darauf geachtet, die Namen der Frauen und gegebenfalls der Väter zu verheimlichen. Dazu gab es sozusagen ein eigenes Geheimstandesamt in jedem der Häuser.

Nach der Entbindung wurden die anonymen Babies dann feierlich geweiht. Man hatte dazu ein eigenes Namensgebung-Ritual erfunden. Eine krude Mischung aus Taufe und erfundenem germanischen Schnickschnack. Jedem der Neugeborenen stand bis zur Volljährigkeit die komplette staatliche Versorgung zu. Und die braven teutschen Eltern, die so ein Kind adoptierten, wurden dafür auch noch bezahlt.

Das klingt soweit ja alles auch ganz nett. Weshalb der Lebensborn bei den Nürnberger Prozessen auch einen Persilschein bekam. Sichtlich, so das Urteil, sei dies eine wohltätige Einrichtung gewesen. Beweise für das Gegenteil gab es nicht. Denn als am Ende des Krieges alle Häuser zusammengelegt wurden, vernichtete man schnell alle vorhandenen Unterlagen.

So kamen die Ärzte alle auch mehr oder wenig straffrei aus. Aber die hatten durchaus Dreck am Stecken.

Lebensborn war nicht wirklich ein Wohlfahrts-Einrichtung. Auch wenn das alles hübsch klingt. Denn natürlich galten diese Vorteile nur für arische Babies und Mütter. Vorzulegen war der große Abstammungsnachweis, d.h. auch die Großeltern mussten reinrassige Arier sein. Ein Erbgesundheitsbogen musste bearbeitet werden, um nachzuweisen, dass man aus einer geistig und körperlich gesunden Familie stammte. Und natürlich gab es noch ein ärztliches Gutachten zu den Fragen der Rassereinheit.

Die unverheirateten Mütter mussten weiters eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass der Mann, den sie da als Erzeuger nannten, auch wirklich derjenige war, welcher. Und der musste ebenso diese ganzen Test durchlaufen. Aber er musste übrigens nicht zwangsweise der SS angehören.

Man wollte Regimenter, klar, aber bitteschön blond und blauäugig. Weswegen auch behinderte Kinder natürlich sofort entsorgt wurden. Denn auch Arier können behinderte Kinder bekommen, wer hätte es gedacht?

Aber der Laden lief nicht so richtig. Himmler, der mit dem Lebensborn wohl auch diese blöde christliche Institution der Ehe schwächen wollte, hatte nicht damit gerechnet, wie schlecht das Image seiner Organisation bleiben würde.

In den zehn Jahren seiner Existenz gelang es dem Lebensborn in all’ seinen Häusern nur 11.000 Babies auf diese Weise zur Welt zu bringen. Weswegen man dann bald auf die Idee verfiel, Kinder in den besetzen Gebieten zu klauen. Die schickte man aus Slowenien, Tschechien oder Polen in Lebensbornhäuser. Dort fällten dann die Ärzte nach den sogenannten Ariertabellen das Urteil.

Die echten Arier bekamen neue Namen, neue Papiere und durften nur noch deutsch sprechen, um sie zu arisieren. Hatten die Kinder den Test nicht bestanden, kamen sie in die Ausmerze. Das heißt in ein Vernichtungslager.

Von einem Raubzug in Tschechien z.B. weiß man, dass neun Kinder germanisiert werden sollten, 82 aber kamen nach Sobibor zur Vernichtung. Rassenverdelung, wie Himmler das nannte, und die Euthanasie, das gehörte natürlich zusammen.

Den Lebensborn-Kindern ging es nach dem Krieg nicht besonders, kann man sich denken. Viele Pflegeeltern schickten sie ins Heim, die finanzielle Unterstützung war ja jetzt weg. Sie waren dazu verdammt niemals herausfinden zu können, wer ihre Eltern waren, alle Unterlagen waren vernichtet. Und oft wurden sie als Nazi-Babies auch noch lange nach dem Krieg stigmatisiert.

Eine psychologische Untersuchung attestiert den Lebensborn-Kindern Anzeichen wirklichkeitsfremde Einstellungen, Störungen der Umweltbeziehungen, Angst, Haltlosigkeit, Gefühlsarmut, Kontakthemmungen in einem statistisch deutlich erhöhten Maße.

Erst in den letzten 10, 20 Jahren haben sich mittlerweile an manchen Orten Selbsthilfegruppen gebildet. Um, auch nach dem neuen Stand der Forschung, über das Leben als Lebensborn-Kind auszutauschen.

Lebensborn war ein unmenschlicher, hochgradig rassistischer, menschenverachtender Verein, der zur Germanisierung Europas beitragen sollte. Ein Unternehmen, dass großartig gescheitert ist und viele traumatisierte Opfer hinterließ. Aber ein SS-Bordell oder ein Kopulationsheim – was für ein Wort, das war es nicht.


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 August 3, 2016  12m